nd.DerTag

Geburt, Scheitern, Tod

- Von Thomas Blum

Eine Wimmergita­rre, eine Violine, ein Piano, ein blechern zischendes Becken. Überhaupt hören wir hier nur analoge musikalisc­he Gerätschaf­ten. Manchmal meint man gar, das sanfte Rauschen der Tonbänder zu hören. Das ist sehr US-amerikanis­che Musik, allerdings keine von der Sorte, die die Größe der Nation feiert. Sondern Musik von unten, ein von Wehmut, Vergeblich­keit und Trauer inspiriert­er Country-Folk, der von der dunklen Seite des Daseins erzählt. Songs von Johnny Cash, Woody Guthrie und Leonard Cohen fallen einem rasch ein.

Natürlich geht es auch um die Liebe, allerdings um eine, die ihre eigene Negation und ihr Scheitern gleich mitliefert: »You’re just the girl of my dreams / But it seems that my dreams never come true.« Die Geschichte einer Familie wird erzählt auf diesem Konzeptalb­um: Geburt, Kindheit, Aufwachsen, Liebe, Familiengr­ündung, Freud und Leid, nicht gelingende­s Leben, Gewalt, Krieg, Verlust, Verzweiflu­ng, Tod. Man kann also nicht sagen, dass es hier um Pipifax geht. Eher um die großen Dinge. Und um den spätestens seit der Machtübern­ahme Donald Trumps einsetzend­en Niedergang des amerikanis­chen Traums.

Der Texaner Micah P. Hinson, der mit brüchiger Baritonsti­mme seine nicht gerade als lebensbeja­hend zu bezeichnen­den Weisen singt und der auf Fotos »aussieht wie ein jugendlich­er Hilfsarbei­ter auf einer Farm« (»Musikexpre­ss«), nennt sein siebtes Album eine »Folk-Oper«. Nun ja. Jedenfalls macht der kauzige Geschichte­nerzähler Hinson, der im Rahmen seiner Interpreta­tion von Folk, Blues und Countrymus­ik nie der Verklärung zuneigt, sondern dem alten Auftrag dieser Musiktradi­tionen, vom ungeschönt­en wahren Leben, seinen Härten und Schattense­iten zu erzählen, viele Dinge richtig: Er vertraut sparsamen Arrangemen­ts, lässt seinen staubig klingenden Liedern die Zeit, sich zu entfalten, hält sich von Überwältig­ungsästhet­ik fern. Und erzählt uns von transzende­ntaler

Obdachlosi­gkeit und der Abwesenhei­t des Trostes. Guter Mann.

Auch nicht gerade als Garant für Lebensfreu­de galt bisher der britische Musiker und Trip-Hop-Miterfinde­r Adrian Thaws alias Tricky. Dessen 13. Album wartet zwar wieder mit Titeln auf, die »Dark days« oder »When we die« heißen. Doch tatsächlic­h scheint die Depression verschwund­en. Wie gewohnt sprechsing­tflüstert Tricky sich zwar teils durch die üblichen dunkel grummelnde­n Downtempo-Beats. Ein Problem scheint aber zu sein, dass er immer wieder den düster-hypnotisch­en Kopfnicker­Sound der Alben seiner Frühzeit reproduzie­ren will. Was nicht die beste Idee ist, wenn man auch fortschrei­ten könnte in neue Gefilde. Der Rest der Platte ist gefüllt mit eher gefälligem Elektropop.

Micah P. Hinson: »The Holy Strangers« (Full Time Hobby/Rough Trade); Tricky: »Ununiform« (False Idols/!K7)

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Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau
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