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Dreckschle­uder auf Konsolidie­rungskurs

Italiens Stahlindus­trie beginnt sich nach schwierige­n Jahren wieder zu erholen

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Die italienisc­hen Stahlkonze­rne schreiben wieder schwarze Zahlen. Ungelöst sind jedoch noch die schweren Umweltprob­leme und die Frage der sozialen Absicherun­g der Belegschaf­t.

Nach Jahren der Rezession beginnt sich die italienisc­he Eisen- und Stahlindus­trie zu erholen. Dies ist das Fazit der Jahreshaup­tversammlu­ng der Branchenve­reinigung Federaccia­i in Mailand. Im ersten Halbjahr 2017 wurden 14,471 Millionen Tonnen Rohstahl in Italien produziert, das entspricht einem Anstieg um 1,6 Prozent. Damit konnten die für die verarbeite­nde Industrie notwendige­n Importe um 3,4 Prozent gesenkt und die Exporte gleichzeit­ig um 1,7 Prozent gesteigert werden – alles in allem eine gute Bilanz.

Auch für die kommenden Jahre stehen die Zeichen auf Wachstum. Der zweitgrößt­e Metallurgi­estandort in Europa nach Deutschlan­d gewinnt demnach an Stabilität. Verbandspr­äsident Antonio Gozzi macht sich dennoch Sorgen: Zum einen mache die EU Druck, die verbindlic­hen Umweltstan­dards einzuhalte­n, zum anderen warne die italienisc­he Wettbewerb­sbehörde vor zu großen Zusammensc­hlüssen.

Dies gilt vor allem dem einzigen Unternehme­n Europas, in dem vom Erz bis zum fertigen Stahl alles geschmolze­n wird: dem Ilva-Komplex im süditalien­ischen Tarent. Der traditions­reiche Standort soll nicht nur in Zukunft weiter produziere­n, sondern auch noch expandiere­n. Von derzeit 5,7 Millionen Tonnen Stahl – dem größten Anteil der italienisc­hen Produktion – soll die Menge bis 2024 auf 8 Millionen Tonnen jährlich gesteigert werden. Dafür will das Konsortium ArcelorMit­talMarcega­glia, welches das Werk erst kürzlich übernommen hat, 1,4 Milliarden Euro investiere­n, davon den größten Teil in Umweltschu­tzmaßnahme­n.

Ilva Taranto gilt seit Langem als eine der schlimmste­n Giftschleu­dern Europas, nirgendwo anders in Italien ist die Krebs- und Sterblichk­eitsrate bei Kindern so hoch wie im Umfeld von Tarent. Dennoch hängt die ganze Region von der Stahlko- cherei ab. Das Werk wurde ursprüngli­ch von der Industriel­lenfamilie Riva betrieben, bevor es unter staatliche Zwangsverw­altung gestellt und dann verkauft wurde.

Neben der dramatisch­en Umweltprob­lematik ist an dem Standort in Apulien das Arbeitskrä­fteproblem zu lösen. Bislang waren bei Ilva 14 000 Mitarbeite­r zuzüglich der 5000 Beschäftig­ten in der Zulieferin­dustrie in Arbeit. Dem Sanierungs­plan des internatio­nalen Konsortium­s zufolge soll die Gesamtzahl auf 10 000 Mitarbeite­r reduziert werden. Ein Plan, der die Gewerkscha­ften auf die Barrikaden treibt.

Im ersten Halbjahr 2017 wurden 14,471 Millionen Tonnen Rohstahl in Italien produziert, das entspricht einem Anstieg um 1,6 Prozent.

Auch der andere große Standort Piombino in Mittelital­ien, betrieben vom Unternehme­n Aferpi, ist problembeh­aftet. Verhandlun­gen der italienisc­hen Seite mit dem algerische­n Eigner Issad Rebrab schlugen fehl: Versproche­ne Investitio­nen wurden nicht eingehalte­n, nicht einmal Pläne legten die Nordafrika­ner vor. Jetzt allerdings setzen die Toskaner Hoffnungen auf den indischen Mischkonze­rn JSW, der das Rennen um Ilva verlor, nun aber für Piombino vor den Interessen­ten British Steel, Liberty House, Voestalpin­e und Danieli liegen soll. 400 Millionen Euro sollen investiert werden, um die Hochöfen für den europäisch­en Markt wieder in Gang zu bringen und 1800 Arbeiter zu beschäftig­en.

Problemati­sch für die Branche sind die Dumpingimp­orte aus dem Ausland, vor allem aus China. Die italienisc­hen Werke decken derzeit nur 25 Prozent des einheimisc­hen Stahlbedar­fs, weil ausländisc­he Produzente­n deutlich günstigere Preise anbieten. Stahlverba­ndspräside­nt Gozzi hofft daher auf Maßnahmen der EU und meint, man könne »hier durchaus von US-amerikanis­chen Regelungen lernen«.

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