Dicke Autos, saubere Luft?
Ein Umweltschützer und ein Industriegewerkschafter über Antriebe und Getriebene, Abgase und saubere Luft, Arbeitsplätze und dicke SUVs. Ein Streitgespräch
Auswege aus dem Dieselskandal – Umweltschützer Jürgen Resch und IG-MetallGewerkschafter Roman Zitzelsberger liefern sich eine Kontroverse.
Übereinander geredet hatten sie indirekt schon oft, miteinander noch nie: Zwei Jahre nach Auffliegen des Dieselbetrugs sitzen Roman Zitzelsberger, IG Metall Baden-Württemberg, und Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe, erstmals an einem Tisch. Sie diskutieren darüber, wie saubere Luft in den Städten erreichbar ist – und werden sich nicht einig.
Jürgen Resch ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, die mit ihren Klagen vor Gericht die Einhaltung der seit 2010 verbindlichen Luftqualitätswerte durch Fahrverbote für Diesel-Stinker erstreitet. Resch arbeitet auch in der vom Bundesverkehrsministerium einberufenen Arbeitsgruppe zur technischen Nachrüstung von Diesel-Fahrzeugen mit. Der 57-jährige Umweltexperte hat Verwaltungswissenschaften studiert und lebt in Süddeutschland. In den Diskussionen um den Dieselbetrug stehen Umweltverbände und IG Metall oft auf verschiedenen Seiten. Wann waren Sie zuletzt gemeinsam für oder gegen etwas im Bunde?
Jürgen Resch: Mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten kämpfen wir derzeit gemeinsam für den Erhalt von Arbeitsplätzen in der Getränkewirtschaft. Bei der IG Metall kann ich mich an gemeinsame Initiativen eher nicht erinnern. Sie ist nicht gerade der natürliche Freund der Umweltverbände.
Roman Zitzelsberger: Schon der erste Einspruch. Zum Beispiel mit dem BUND arbeiten wir in Baden-Württemberg eng zusammen, etwa im Nachhaltigkeitsbeirat der Landesregierung. Ich bin überzeugt, dass man den vermeintlichen Widerspruch zwischen gut bezahlter Arbeit und guter Umwelt auflösen kann. Auch Menschen, die Autos bauen, wollen gesund bleiben und in einer intakten Umwelt leben.
Resch: Auf der abstrakten Ebene kann ich zustimmen. Aber unser Wunsch, mit der IG Metall in einen intensiveren Dialog zu kommen, hat bis jetzt nicht gefruchtet. Wir würden zum Beispiel gern daran mitwirken, die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zukunftsfähig zu machen. Das können für eine Übergangszeit sogar Verbrennungsmotoren sein. Aber ohne ehrliche, saubere Produkte wird das nicht gelingen.
Wer wollte das bestreiten? Resch: Die Autoindustrie. Die illegalen Abschalteinrichtungen finden Sie weiterhin bei vielen der aktuell verkauften Diesel-Neufahrzeugen. Zitzelsberger: Das halte ich für Spekulation. Seit 1. September müssen Autos für die Neuzulassung nicht nur auf dem Prüfstand, sondern über reale Testmessungen deutlich schärfere Abgasnormen erfüllen. Man muss im Detail unterscheiden: Wo wurde objektiv nachgewiesen betrogen? Wo herrschte eine ungünstige Mischung zwischen unzureichenden Messverfahren und einer Logik seitens der Automobilindustrie vor, nur Minimalstandards zu erreichen? Und wo gehen einzelne Produkte sogar über den geforderten Standard hinaus?
Resch: Stimmt nicht, die Autoindustrie trickst und verkauft derzeit ausschließlich Diesel nach der alten Abgasnorm. Die derzeit in vielen Euro5+6-Diesel verbauten Abschalteinrichtungen halten die Deutsche Umwelthilfe, Staatsanwaltschaften und die Anti-Betrugsbehörde in Frankreich für illegal. Nicht die Messverfahren sind unzureichend – in Deutschland fehlt der Wille, Recht und Gesetz gegen die Autokonzerne durchzusetzen. Wie wollen wir die Luft in unseren Städten sauber bekommen, wenn nun mit »Umweltprämien« ausgerechnet besonders durstige Geländewagen und DieselPkw mit höchsten Stickoxidemissionen auch noch die höchste Prämie erhalten?
Zitzelsberger: Die Fahrzeuge sind durch das Kraftfahrbundesamt zugelassen worden.
Resch: Das Kraftfahrbundesamt ist durch die Abgabe falscher Zulassungserklärungen betrogen worden. Kein Hersteller hat die verbauten Abschalteinrichtungen im Antrag offengelegt. Damit sind die Betriebsgenehmigungen nichtig.
Zitzelsberger: Was Betrug ist, müssen Gerichte entscheiden. Tatsache ist, dass die Typenzulassungen nach den Kriterien des Kraftfahrbundesamtes erfolgt sind. Wenn dabei objektiv nachprüfbar betrogen wurde, müssen Zulassungen einkassiert werden. Aber wenn alles im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt geltenden Verordnungen geschehen ist, wird das einigermaßen schwierig.
Resch: So lange müssen wir nicht warten. In mehreren Fällen konnten wir zwischenzeitlich dem Kraftfahrtbundesamt nachweisen, dass die Typgenehmigung wie bei Porsche Cayenne Diesel zu Unrecht erteilt wurde. Porsche darf derzeit keinen Cayenne Diesel mehr verkaufen. Weitere Typgenehmigungen werden in den kommenden Wochen ebenfalls entzogen werden.
Was muss mit den Fahrzeugen passieren, bei denen die Stickoxid-Abgaswerte manipuliert wurden? Resch: Die 8,7 Millionen betrogenen Besitzer von Euro-5+6-Diesel müssen eine technische Nachrüstung erhalten, durch die sie die Euro-6- Grenzwerte auf der Straße einhalten. Oder der Hersteller muss den Wagen zurücknehmen und den Kaufpreis erstatten.
Zitzelsberger: Hardware könnte im Wesentlichen bei der Euro-5-Flotte nachgerüstet werden, die keine stickoxidreduzierenden SCR-Katalysatoren hat.
Resch: Zustimmung, aber auch bei vielen Euro-6-Pkw. Die kriminellen Temperaturabschaltungen finden sowohl bei Fahrzeugen mit Speicherkat als auch mit einem Harnstoffsystem statt.
Zitzelsberger: Die Temperaturabschaltungen sind vor allem ein SCRProblem.
Resch: Ganz falsch, sie wird am exzessivsten genutzt bei Diesel-Pkw mit Abgasrückführung und Speicher-Katalysatoren, also den Volumenmodellen. Diese Fahrzeuge brauchen eine neue, auch bei Kälte funktionierende Abgasanlage.
Zitzelsberger: Aber die entscheidende Frage ist doch: Welche Nachrüstungen sind in einem überschaubaren Zeitraum unkompliziert machbar, so dass die Emissionen in Summe verringert werden?
Sie meinen Softwareupdates. Zitzelsberger: Für einen großen Teil der Fahrzeuge, ja.
Resch: Reine Mickey-Mouse-Software-Updates bringen nach übereinstimmender Bewertung von Umweltbundesamt und Umwelthilfe nur fünf bis sechs Prozent Minderung.
Ist es tatsächlich nach zwei Jahren Dieselbetrug noch umstritten, wie wirkungsvoll diese Updates sind? Zitzelsberger: Bei einem aktuellen Test von »auto motor sport« der Mercedes-V-Klasse ließen sich allein durch Softwareupdates die Stickoxidwerte von über 500 auf etwa 90 Mikrogramm senken. Natürlich bringen die was. Die Softwarenachrüstung kann bis Ende nächsten Jahres gelingen. Eine flächendeckende Hardwareumrüstung würde deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Resch: Die Industrie verspricht selbst im Durchschnitt nur 25 bis 30 Prozent und das auch nur im Sommer. Im Winter sollen die Motoren so schmutzig bleiben wie bisher. Wir brauchen saubere Luft in unseren Städten, und zwar jetzt. Das geht nur durch Fahrverbote. Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat bereits entschieden, dass Softwarenachrüstungen nicht geeignet sind, Fahrverbote zu ersetzen.
Zitzelsberger: Im Ziel sind wir uns einig, nur beim Weg dorthin unterscheiden sich unsere Vorstellungen. Unser Vorschlag ist die blaue Plakette, mittels derer sich generelle Fahrverbote vermeiden lassen. Stattdessen dürften in bestimmte Zonen nur Fahrzeuge mit blauer Plakette einfahren, die bestimmte Grenzwerte einhalten. Das können dann auch nachgerüstete Fahrzeuge sein. Zudem müssen ältere Fahrzeuge mit den höchsten Emissionen schnellstmöglich aus dem Verkehr gezogen werden.
Wie wollen Sie die von der Straße holen?
Zitzelsberger: Die Halter müssen durch Prämien ausreichend attraktive Angebote bekommen, damit sie ihre Fahrzeuge durch saubere Neufahrzeuge ersetzen. Die Politik könnte den Austausch beschleunigen: bei städtischen Bussen, dem Taxigewerbe, also allem, was gewerblich und in öffentlicher Hand unterwegs ist. Wenn wir den Austausch der Flotte zügig hinkriegen, bekommen wir das Problem in den nächsten drei bis vier Jahren in den Griff.
Resch: Neukauf, das wünscht sich die Autoindustrie, und offensichtlich auch die IG Metall. Die Industrie läuft Sturm gegen die Nachrüstung, denn ein nachgerüstetes Fahrzeug kann länger fahren und das ist Gift für Neuverkäufe. Aber nicht alle Menschen haben Geld für neue Autos. Wir fordern von den Herstellern, auf eigene Kosten die mit nicht funktionstüchtigen Kats ausgelieferten Diesel-Fahrzeuge nachzubessern. Im ÖPNV und damit bei den Stadtwerken ist ein schneller Austausch von Neufahrzeugen erst recht illusorisch. Die haben dafür leider kein Geld.
Seit Jahren ist die Luft in Städten dreckiger als erlaubt. Herr Zitzelsberger sagt nun, mit den Vorschlägen der IG Metall sei das Problem in drei bis vier Jahren zu lösen. Reicht das, Herr Resch? Resch: Was die IG Metall vorschlägt, bedeutet viele Tausend weitere Todesfälle in unseren Städten in den nächsten Jahren. Die Gericht geben uns recht: Ab dem 1. Januar 2018. muss die Luft in den heute über 90 belasteten Städten wieder sauber werden. Der Stuttgarter Richter Kern hat von allen möglichen Maßnahmen nur die Fahrverbote für schmutzige Diesel-Fahrzeuge als geeignet angesehen, um ab 2018 »Saubere Luft für Stuttgart« zu erreichen. Der Versuch von Ministerpräsident Kretschmann, dies auf 2020 zu verschieben, wurde vom Gericht rundweg abgelehnt.
Nicht mal ein grüner Ministerpräsident unterstützt die Umwelthilfe. Gibt Ihnen das zu denken? Resch: In meinem Gespräch von Mitte Januar konnte ich ihn von Fahrverboten ab 2018 überzeugen, diese hat er dann tatsächlich Ende Februar für Anfang 2018 angekündigt. Allerdings ist die Automobilindustrie dagegen Sturm gelaufen. Ich sehe den Richtungswechsel in seiner Politik eher als Beleg für den Umstand, dass nicht die gewählten Politiker, sondern bestimmte Konzerne dieses Land regieren.
Zitzelsberger: Es stimmt doch nicht, dass es nur Druck von der Industrie gibt. Jede Bundesregierung, egal, wie die sich nach dem 24. September zusammensetzt, wird unter massivem Druck stehen, die Situation in den Innenstädten zu verbessern.
Resch: Wir führen im Augenblick 62 Rechtsverfahren, 16 davon vor Gericht, um saubere Luft in Deutschland ab 2018 durchzusetzen. Leider wagt es bislang keine einzige Landesregierung, ohne Gerichtsentscheidung eigenständig die notwendigen Maßnahmen wie eben DieselFahrverbote anzuordnen. Im vertraulichen Gespräch gibt es die immer selbe Begründung: Drohung der Autokonzerne mit Arbeitsplatzabbau. Wir haben übrigens bisher jedes einzelne Gerichtsverfahren zur Luftreinhaltung gewonnen, bis hoch zum Europäischen Gerichtshof.
Zitzelsberger: Fahrverbote sind Enteignung. Sie wollen die Menschen in ihrer Mobilität einschränken und zum Beispiel daran hindern, zur Arbeit zu kommen. Sie haben zugelassene Fahrzeuge gekauft und müssen diese auch nutzen können.
Resch: Unsinn. Die Fahrverbote schaffen einen Rechtsanspruch der betroffenen Dieselbesitzer: entweder technische Nachrüstung auf Kosten der Hersteller oder Rückabwicklung des Kaufvertrags. Wir helfen damit den beim Kauf getäuschten DieselEignern und erhalten ihre Mobilität. Nur unwirksame Software-Updates bedeutet hingegen Wertverlust und Fahrverbot. Helfen Sie den betrogenen Diesel-Besitzern und nicht den Aktionären.
Wo unterscheidet sich die Position der IG Metall von der der Autobosse?
Zitzelsberger: Da gibt es große Unterschiede. Wir fordern, die allgemeinen Zusagen rechtsverbindlich zu machen. Das wäre beim Dieselgipfel ein Zeichen gewesen, dass sich die Politik nicht länger auf der Nase herumtanzen lässt. Stattdessen hat man sich lediglich auf ein läppisches Protokoll geeinigt.
Resch: Ich sehe kein Blatt Papier zwischen der Position der Auto-Vorstände und den Arbeitnehmervertretern in den Aufsichtsräten. In den letzten zwei Jahren hat die IG Metall komplett versagt bei der Aufarbeitung des Abgasskandals und dem Einsatz für
Wie wollen wir die Luft in unseren Städten sauber bekommen, wenn nun mit »Umweltprämien« ausgerechnet besonders durstige Geländewagen und Diesel-Pkw mit höchsten Stickoxid-Emissionen auch noch die höchste Prämie erhalten?
Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilfe
zukunftsfähige Fahrzeuge. Vor allem hätte ich mir mehr Unterstützung für die systematisch betrogenen Kunden gewünscht.
Ist nicht nur die Politik, sondern auch die IG Metall zu eng mit der Autolobby verflochten? Zitzelsberger: Entschuldigung, aber es ist grober Unfug zu behaupten, dass die IG Metall eins zu eins mit der Industrie wegguckt. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Herrn Resch und mir. Die Umwelthilfe treibt Umweltthemen – das ist ihre Aufgabe. Aber wir vertreten Mitglieder in ganz unterschiedlichen Rollen, 2,3 Millionen übrigens: Sie sind Beschäftigte in Betrieben, die gute, sichere Arbeit wollen. Sie sind Bewohner in Städten und wollen saubere Luft. Und sie sind Käufer von Fahrzeugen. Zwischen diesen Interessen müssen wir abwägen.
Kommen Gesundheit und Klima nicht zu kurz? Zitzelsberger: Wir diskutieren nicht erst seit dem Dieselskandal über die Mobilität der Zukunft. Schon Ende der 80er Jahre haben wir – ausgelöst durch die Debatte über begrenzte Ölvorkommen – versucht, die Mobilitätswende voranzutreiben. Diese hat viele Facetten: Die Autos müssen emissionsärmer bis emissionsfrei werden. Es reicht auch nicht, nur Verbrenner durch Elektro zu ersetzen. Es geht um integrierte Verkehrskonzepte und eine Energiewende. Diese Perspektive vertreten wir generell – auch in den Aufsichtsräten der Unternehmen. Zugegeben: Wir haben diese Debatten nicht zu jeder Zeit gleich intensiv geführt. In den 90er Jahren war die Metall- und Elektroindustrie bundesweit im Umbruch. Etwa eine Million Arbeitsplätze ging verloren. Dass sich dann der Fokus einer Gewerkschaft verschiebt, ist vielleicht verständlich.
Der Dieselskandal zwingt nun auch die Letzten zu einer Zukunftsdebatte. Manche sehen die deutsche Automobilindustrie am Abgrund, weil sie die Wende zur Elektromobilität verpasst hat.
Resch: Beispiel Baden-Württemberg: Das Masterland des Automobilbaus ist behäbig geworden. Im Moment haben die drei hier produzierenden Hersteller Mercedes, Porsche und Audi kein einziges bestellbares reines Elektroauto mehr im Angebot. Der vom Steuerzahler subventionierte Ausbau der Ladenetze durch die deutschen Autobauer wurde gerade durch BMW gestoppt. Reichweitenstarke Elektro-Pkw erhalten Sie heute von Nissan, Renault oder Tesla. Es gibt kein einziges reichweitenstarkes E-Auto. Stattdessen 35 neue SUVs auf der Internationalen Automobil-Ausstellung – für ein Land ohne unbefestigte Straßen. Allenfalls Revierförster im Bayrischen Wald brauchen sowas. Die IAA ist zum Jurassic Parc der Automobilwirtschaft mutiert, in dem die aussterbenden Dinosaurier des Dieselzeitalters angepriesen werden können. Zitzelsberger: Der Ausbau der Infrastruktur ist keine primäre Aufgabe der Automobilhersteller, sondern der Energieversorger und der Politik. Selbst wenn es all die Elektrofahrzeuge gäbe, würde das nichts nützen. Die Rahmenbedingungen stimmen nicht. Das ist extrem ärgerlich.
Das soll der Grund sein, weshalb so wenig E-Autos produziert werden? Zitzelsberger: Die Frage nach Henne und Ei ... Klar, im Moment hat Tesla die Nase vorn. Die deutschen Produzenten könnten mehr im Portfolio haben. Aber das, was da ist, wird in den nächsten zwei, drei Jahren auf den Markt kommen. Und dann wird die Anzahl der deutschen Elektrofahrzeuge in die Höhe schnellen.
Sie klingen erstaunlich entspannt, Herr Zitzelsberger. Zitzelsberger: Die Wende hin zu Elektroantrieben wird nicht heute, sondern in den nächsten fünf bis sieben Jahren entschieden. Die Industrie hat sich auf den Weg gemacht. Jetzt geht es darum, auch die Infrastruktur zu schaffen. Dafür reicht es nicht, irgendwo ein paar Säulen hinzustellen, sondern es müssen Kabel verlegt werden. Wenn Sie im Augenblick drei Schnellladestationen in einer Wohnstraße aufbauen, kocht da abends niemand mehr.
Resch: Ich setze gar nicht ausschließlich auf die Elektromobilität. Wir brauchen in der Übergangszeit auch andere Technologien. Diese müssen aber sauber und effizient sein. Hier verpasst die deutsche Autoindustrie vielleicht die letzte Chance, sich zu erneuern. Deutschland hat die Hybridtechnik vergeigt, obwohl sie mit dem Lohner-Porsche schon 1899 entwickelt wurde. Ebenso die Brennstoffzelle, die immer noch als Vorserie in Frankfurt gezeigt, seit Jahren in Japan aber verkauft wird. Wenn nicht einmal die Arbeitnehmervertreter dafür kämpfen, dass BMW, Daimler und VW nur noch ehrlich saubere und effiziente Fahrzeuge entwickelt, wird die Autoindustrie das Schicksal von Nokia erleiden. Herr Zetsche als ihr aktueller Wortführer fährt die deutsche Automobilwirtschaft mit Vollgas gegen eine Betonmauer. Und die IG Metall sitzt auf dem Beifahrersitz. Unternimmt die IG Metall etwas gegen die Ausrichtung auf dicke SUVs? Zitzelsberger: Lassen Sie mich erst noch etwas zur Brennstoffzelle sagen: Sowohl Audi als auch Daimler sind an der Technologie dran. Momentan fehlt aber auch dafür eine flächendeckende Ladeinfrastruktur. Was SUVs betrifft: Der Markt wächst seit Jahren und logischerweise bringt eine Firma das auf den Markt, was die Kunden kaufen. Das kann man doch in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem einem Unternehmen nicht vorwerfen. Selbst wenn man das gesellschaftlich als unvernünftig betrachten kann ...
Tun Sie das? Zitzelsberger: Über die Sinnhaftigkeit von Geländefahrzeugen auf deutschen Straßen kann man streiten. Die sind ja halbwegs gut.
Resch: Wenn wir uns einig sind, dass diese Fahrzeuge Unsinn sind, warum steuern Sie nicht dagegen?
Zitzelsberger: Tatsache ist, die Dinger werden halt einfach gekauft. Dass ich es persönlich für cleverer halten würde, stärker andere umweltverträglichere Produkte auf den Markt zu bringen, da brauchen wir nicht drüber diskutieren.
Resch: Den Menschen wird ihr Bedürfnis nach immer schnelleren und geländegängigeren Diesel-SUVs durch Marketingkampagnen und bis zu 47 Prozent Rabatt geweckt. Firmen wie Streetscooter oder Tesla werden hingegen ihre Elektrofahrzeuge buchstäblich aus den Händen gerissen, fast ohne Werbung. Ich sehe bei emissionsfreien Antrieben keinen ernsthaften Willen, sondern nur unverbindliche Versprechen für die Zeit nach 2020.
Zitzelsberger: Doch, der Wille ist da. Aber natürlich drängen wir darauf, die Mobilität der Zukunft noch viel mehr nach vorne zu bringen, weil wir die Arbeitsplätze sichern wollen. Porsche war der erste, der am alten Standort Zuffenhausen einen voll elektrifizierten Sportwagen mit einer hohen eigenen Fertigungstiefe bauen will. Das ist eine gute Entscheidung.
Resch: Nur eine unverbindliche Ankündigung.
Zitzelsberger: Herr Resch, Entschuldigung, das ist ein Beschluss, an dessen Umsetzung gerade gearbeitet wird.
Resch: Bei der Mercedes-A-Klasse mit Brennstoffzelle hieß es bereits vor 20 Jahren, Serienfahrzeuge kommen in wenigen Jahren. Bis heute gibt es keinen kaufbaren Brennstoffzellen-Pkw eines deutschen Herstellers. Trotz mehrerer Milliarden Euro Steuermittel an Förderung. Die Industrie muss sich neu aufstellen. Eine Abkehr vom Diesel wird Arbeitsplätze kosten. Worauf richtet sich die IG Metall ein? Zitzelsberger: Das kommt darauf an, was sich durchsetzt. Es nützt ja nichts, die komplette individuelle Mobilität zu elektrifizieren, wie es China macht. Die bauen noch ein paar Atom- und Braunkohlekraftwerke mehr, dadurch sind die Innenstädte zwar sauberer, aber der Mist wird anderswo in die Luft geblasen. Letztlich muss die Technologie primär zum Zug kommen, die in der Lage ist, die ökologische Gesamtbilanz am besten abzubilden.
Wohin muss es gehen? Zitzelsberger: Die Weiche geht klar in Richtung Batterieelektrik. Das hat viel mit dem Weltmarkt zu tun. Ob sich das am Ende des Tages als der richtige Weg herausstellt? Kann sein, muss aber nicht. Insbesondere, wenn wir in 15 Jahren massenhaft Batterien entsorgen müssen.
Resch: In der Tat gibt es einen Regelungsbedarf für den Bau und Rückbau der Batteriespeicher. Aber alle aktuellen Ökobilanzen belegen, dass die derzeit lieferbaren Elektro-Pkws über die gesamte Nutzungsdauer betrachtet einen klaren ökologischen Vorteil haben gegenüber vergleichbaren Verbrennern.
Für den Bau von Elektroautos werden weniger Menschen gebraucht. Wie vermitteln Sie das Ihren Mitgliedern, Herr Zitzelsberger? Zitzelsberger: Für den reinen Antriebstrang sind es weniger. Wir kämpfen aber dafür, dass sämtliche Komponenten, die für das Auto gebraucht werden, hier gebaut werden und nicht irgendwo in Osteuropa, weil da der Strom besonders billig ist. Zweitens: Das Fahrzeug wird nicht nur beim Antrieb neu erfunden, sondern durch Konzepte des vernetzten, autonomen, geteilten Fahrens entstehen ganz neue Arbeitsplätze im Bereich von Services und Diensten. Vieles hängt von der Geschwindigkeit des Umbaus ab. Und davon, ob es gelingt, Menschen, die gestern noch in der mechanischen Fertigung gearbeitet haben, so zu qualifizieren, dass sie eine komplett neue Tätigkeit ausüben können.
Resch: Ich staune immer wieder über die Diskussion. Der Bestand an NichtElektroautos liegt bei über 99 Prozent. Ich sehe eine andere, wirklich kurzfristige Gefahr für die Auto-Arbeitsplätze in Deutschland: Durch den fortgesetzten Betrug bei den Dieselabgasen, den unglaublichen Tricksereien bei den Partikelemissionen neuer Benzin-Motoren und den illegalen Praktiken zur Ermittlung niedriger Spritverbrauchsangaben ruinieren die Autobauer ihr Ansehen und damit ihre nationalen wie internationalen Marktchancen. Wir brauchen eine Rückbesinnung auf das Primat der Politik. Der Staat muss der Automobilindustrie mit väterlicher Strenge den Weg aus der Illegalität zurück beleuchten.
Welche »väterlichen Regeln« stellen Sie sich vor?
Resch: Beispielsweise dass Gesetze von den Behörden konsequent durchgesetzt werden, die besagen, dass die Abgasreinigung im »normalen Gebrauch« genauso funktionieren wie im Labor. Oder dass wir für Fahrzeuge mit hohen CO2-Emissionen eine exponentiell steigende KfzSteuer nach dem Muster von Portugal oder Norwegen einführen. Zitzelsberger: Das könnte man fordern. Aber die Beschäftigten bei den baden-württembergischen Fahrzeugherstellern arbeiten nun mal bei den drei Premiumherstellern. Und die fertigen genau die Produkte, die davon betroffen wären.
Warum startet die IG Metall nicht eine Auto-Umwelt-Kampagne für klimafreundliche Kleinwagen? Resch: Ja, warum nicht? Kombi statt SUV.
Zitzelsberger: Die IG Metall ist nicht die geeignete Institution, um eine Werbeoffensive für andere Fahrzeuge nach vorne zu bringen.
Kleinere Fahrzeuge. Zitzelsberger: Ich habe gerade darauf hingewiesen, speziell in BadenWürttemberg ist das Hauptprodukt eben nicht das Kleinfahrzeug. Da hängen schlicht und ergreifend Zehntausende Beschäftigte dran. Entscheidend ist, dass die Richtung eine andere werden muss. Dazu gehört eine bessere Vernetzung der verschiedenen Mobilitätsmöglichkeiten, auch im Güterverkehr. Bei der Belieferung von Supermärkten zum Beispiel könnte in Zukunft der Verbrennungs-Lkw die Waren vor den Städten abladen und der Elektro-Lkw fährt sie in die Innenstädte. Für eine solche Gesamtverkehrsoffensive wirbt die IG Metall.
Resch: Genau: Die IG Metall tritt für die großen und schweren Diesel-Dinosaurier ein. Ich möchte die Schritte sehen, nicht die Visionen. Mich interessiert, was morgen ist. Und wir möchten nächstes Jahr saubere Luft in deutschen Städten. Dazu schlagen wir geeignete Maßnahmen vor. Hier wünsche ich mir die IG Metall als Gesprächspartner. Die Wende hin zu Elektroantrieben wird nicht heute, sondern in den nächsten fünf bis sieben Jahren entschieden. Die Industrie hat sich auf den Weg gemacht. Jetzt geht es darum, auch die Infrastruktur zu schaffen.
Dafür reicht es nicht, irgendwo ein paar Säulen hinzustellen.
Roman Zitzelsberger