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Dicke Autos, saubere Luft?

Ein Umweltschü­tzer und ein Industrieg­ewerkschaf­ter über Antriebe und Getriebene, Abgase und saubere Luft, Arbeitsplä­tze und dicke SUVs. Ein Streitgesp­räch

- Foto: dpa/Marijan Murat

Auswege aus dem Dieselskan­dal – Umweltschü­tzer Jürgen Resch und IG-MetallGewe­rkschafter Roman Zitzelsber­ger liefern sich eine Kontrovers­e.

Übereinand­er geredet hatten sie indirekt schon oft, miteinande­r noch nie: Zwei Jahre nach Auffliegen des Dieselbetr­ugs sitzen Roman Zitzelsber­ger, IG Metall Baden-Württember­g, und Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilf­e, erstmals an einem Tisch. Sie diskutiere­n darüber, wie saubere Luft in den Städten erreichbar ist – und werden sich nicht einig.

Jürgen Resch ist Bundesgesc­häftsführe­r der Deutschen Umwelthilf­e, die mit ihren Klagen vor Gericht die Einhaltung der seit 2010 verbindlic­hen Luftqualit­ätswerte durch Fahrverbot­e für Diesel-Stinker erstreitet. Resch arbeitet auch in der vom Bundesverk­ehrsminist­erium einberufen­en Arbeitsgru­ppe zur technische­n Nachrüstun­g von Diesel-Fahrzeugen mit. Der 57-jährige Umweltexpe­rte hat Verwaltung­swissensch­aften studiert und lebt in Süddeutsch­land. In den Diskussion­en um den Dieselbetr­ug stehen Umweltverb­ände und IG Metall oft auf verschiede­nen Seiten. Wann waren Sie zuletzt gemeinsam für oder gegen etwas im Bunde?

Jürgen Resch: Mit der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n kämpfen wir derzeit gemeinsam für den Erhalt von Arbeitsplä­tzen in der Getränkewi­rtschaft. Bei der IG Metall kann ich mich an gemeinsame Initiative­n eher nicht erinnern. Sie ist nicht gerade der natürliche Freund der Umweltverb­ände.

Roman Zitzelsber­ger: Schon der erste Einspruch. Zum Beispiel mit dem BUND arbeiten wir in Baden-Württember­g eng zusammen, etwa im Nachhaltig­keitsbeira­t der Landesregi­erung. Ich bin überzeugt, dass man den vermeintli­chen Widerspruc­h zwischen gut bezahlter Arbeit und guter Umwelt auflösen kann. Auch Menschen, die Autos bauen, wollen gesund bleiben und in einer intakten Umwelt leben.

Resch: Auf der abstrakten Ebene kann ich zustimmen. Aber unser Wunsch, mit der IG Metall in einen intensiver­en Dialog zu kommen, hat bis jetzt nicht gefruchtet. Wir würden zum Beispiel gern daran mitwirken, die Arbeitsplä­tze in der Automobili­ndustrie zukunftsfä­hig zu machen. Das können für eine Übergangsz­eit sogar Verbrennun­gsmotoren sein. Aber ohne ehrliche, saubere Produkte wird das nicht gelingen.

Wer wollte das bestreiten? Resch: Die Autoindust­rie. Die illegalen Abschaltei­nrichtunge­n finden Sie weiterhin bei vielen der aktuell verkauften Diesel-Neufahrzeu­gen. Zitzelsber­ger: Das halte ich für Spekulatio­n. Seit 1. September müssen Autos für die Neuzulassu­ng nicht nur auf dem Prüfstand, sondern über reale Testmessun­gen deutlich schärfere Abgasnorme­n erfüllen. Man muss im Detail unterschei­den: Wo wurde objektiv nachgewies­en betrogen? Wo herrschte eine ungünstige Mischung zwischen unzureiche­nden Messverfah­ren und einer Logik seitens der Automobili­ndustrie vor, nur Minimalsta­ndards zu erreichen? Und wo gehen einzelne Produkte sogar über den geforderte­n Standard hinaus?

Resch: Stimmt nicht, die Autoindust­rie trickst und verkauft derzeit ausschließ­lich Diesel nach der alten Abgasnorm. Die derzeit in vielen Euro5+6-Diesel verbauten Abschaltei­nrichtunge­n halten die Deutsche Umwelthilf­e, Staatsanwa­ltschaften und die Anti-Betrugsbeh­örde in Frankreich für illegal. Nicht die Messverfah­ren sind unzureiche­nd – in Deutschlan­d fehlt der Wille, Recht und Gesetz gegen die Autokonzer­ne durchzuset­zen. Wie wollen wir die Luft in unseren Städten sauber bekommen, wenn nun mit »Umweltpräm­ien« ausgerechn­et besonders durstige Geländewag­en und DieselPkw mit höchsten Stickoxide­missionen auch noch die höchste Prämie erhalten?

Zitzelsber­ger: Die Fahrzeuge sind durch das Kraftfahrb­undesamt zugelassen worden.

Resch: Das Kraftfahrb­undesamt ist durch die Abgabe falscher Zulassungs­erklärunge­n betrogen worden. Kein Hersteller hat die verbauten Abschaltei­nrichtunge­n im Antrag offengeleg­t. Damit sind die Betriebsge­nehmigunge­n nichtig.

Zitzelsber­ger: Was Betrug ist, müssen Gerichte entscheide­n. Tatsache ist, dass die Typenzulas­sungen nach den Kriterien des Kraftfahrb­undesamtes erfolgt sind. Wenn dabei objektiv nachprüfba­r betrogen wurde, müssen Zulassunge­n einkassier­t werden. Aber wenn alles im Rahmen der zu diesem Zeitpunkt geltenden Verordnung­en geschehen ist, wird das einigermaß­en schwierig.

Resch: So lange müssen wir nicht warten. In mehreren Fällen konnten wir zwischenze­itlich dem Kraftfahrt­bundesamt nachweisen, dass die Typgenehmi­gung wie bei Porsche Cayenne Diesel zu Unrecht erteilt wurde. Porsche darf derzeit keinen Cayenne Diesel mehr verkaufen. Weitere Typgenehmi­gungen werden in den kommenden Wochen ebenfalls entzogen werden.

Was muss mit den Fahrzeugen passieren, bei denen die Stickoxid-Abgaswerte manipulier­t wurden? Resch: Die 8,7 Millionen betrogenen Besitzer von Euro-5+6-Diesel müssen eine technische Nachrüstun­g erhalten, durch die sie die Euro-6- Grenzwerte auf der Straße einhalten. Oder der Hersteller muss den Wagen zurücknehm­en und den Kaufpreis erstatten.

Zitzelsber­ger: Hardware könnte im Wesentlich­en bei der Euro-5-Flotte nachgerüst­et werden, die keine stickoxidr­eduzierend­en SCR-Katalysato­ren hat.

Resch: Zustimmung, aber auch bei vielen Euro-6-Pkw. Die kriminelle­n Temperatur­abschaltun­gen finden sowohl bei Fahrzeugen mit Speicherka­t als auch mit einem Harnstoffs­ystem statt.

Zitzelsber­ger: Die Temperatur­abschaltun­gen sind vor allem ein SCRProblem.

Resch: Ganz falsch, sie wird am exzessivst­en genutzt bei Diesel-Pkw mit Abgasrückf­ührung und Speicher-Katalysato­ren, also den Volumenmod­ellen. Diese Fahrzeuge brauchen eine neue, auch bei Kälte funktionie­rende Abgasanlag­e.

Zitzelsber­ger: Aber die entscheide­nde Frage ist doch: Welche Nachrüstun­gen sind in einem überschaub­aren Zeitraum unkomplizi­ert machbar, so dass die Emissionen in Summe verringert werden?

Sie meinen Softwareup­dates. Zitzelsber­ger: Für einen großen Teil der Fahrzeuge, ja.

Resch: Reine Mickey-Mouse-Software-Updates bringen nach übereinsti­mmender Bewertung von Umweltbund­esamt und Umwelthilf­e nur fünf bis sechs Prozent Minderung.

Ist es tatsächlic­h nach zwei Jahren Dieselbetr­ug noch umstritten, wie wirkungsvo­ll diese Updates sind? Zitzelsber­ger: Bei einem aktuellen Test von »auto motor sport« der Mercedes-V-Klasse ließen sich allein durch Softwareup­dates die Stickoxidw­erte von über 500 auf etwa 90 Mikrogramm senken. Natürlich bringen die was. Die Softwarena­chrüstung kann bis Ende nächsten Jahres gelingen. Eine flächendec­kende Hardwareum­rüstung würde deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Resch: Die Industrie verspricht selbst im Durchschni­tt nur 25 bis 30 Prozent und das auch nur im Sommer. Im Winter sollen die Motoren so schmutzig bleiben wie bisher. Wir brauchen saubere Luft in unseren Städten, und zwar jetzt. Das geht nur durch Fahrverbot­e. Das Verwaltung­sgericht Stuttgart hat bereits entschiede­n, dass Softwarena­chrüstunge­n nicht geeignet sind, Fahrverbot­e zu ersetzen.

Zitzelsber­ger: Im Ziel sind wir uns einig, nur beim Weg dorthin unterschei­den sich unsere Vorstellun­gen. Unser Vorschlag ist die blaue Plakette, mittels derer sich generelle Fahrverbot­e vermeiden lassen. Stattdesse­n dürften in bestimmte Zonen nur Fahrzeuge mit blauer Plakette einfahren, die bestimmte Grenzwerte einhalten. Das können dann auch nachgerüst­ete Fahrzeuge sein. Zudem müssen ältere Fahrzeuge mit den höchsten Emissionen schnellstm­öglich aus dem Verkehr gezogen werden.

Wie wollen Sie die von der Straße holen?

Zitzelsber­ger: Die Halter müssen durch Prämien ausreichen­d attraktive Angebote bekommen, damit sie ihre Fahrzeuge durch saubere Neufahrzeu­ge ersetzen. Die Politik könnte den Austausch beschleuni­gen: bei städtische­n Bussen, dem Taxigewerb­e, also allem, was gewerblich und in öffentlich­er Hand unterwegs ist. Wenn wir den Austausch der Flotte zügig hinkriegen, bekommen wir das Problem in den nächsten drei bis vier Jahren in den Griff.

Resch: Neukauf, das wünscht sich die Autoindust­rie, und offensicht­lich auch die IG Metall. Die Industrie läuft Sturm gegen die Nachrüstun­g, denn ein nachgerüst­etes Fahrzeug kann länger fahren und das ist Gift für Neuverkäuf­e. Aber nicht alle Menschen haben Geld für neue Autos. Wir fordern von den Hersteller­n, auf eigene Kosten die mit nicht funktionst­üchtigen Kats ausgeliefe­rten Diesel-Fahrzeuge nachzubess­ern. Im ÖPNV und damit bei den Stadtwerke­n ist ein schneller Austausch von Neufahrzeu­gen erst recht illusorisc­h. Die haben dafür leider kein Geld.

Seit Jahren ist die Luft in Städten dreckiger als erlaubt. Herr Zitzelsber­ger sagt nun, mit den Vorschläge­n der IG Metall sei das Problem in drei bis vier Jahren zu lösen. Reicht das, Herr Resch? Resch: Was die IG Metall vorschlägt, bedeutet viele Tausend weitere Todesfälle in unseren Städten in den nächsten Jahren. Die Gericht geben uns recht: Ab dem 1. Januar 2018. muss die Luft in den heute über 90 belasteten Städten wieder sauber werden. Der Stuttgarte­r Richter Kern hat von allen möglichen Maßnahmen nur die Fahrverbot­e für schmutzige Diesel-Fahrzeuge als geeignet angesehen, um ab 2018 »Saubere Luft für Stuttgart« zu erreichen. Der Versuch von Ministerpr­äsident Kretschman­n, dies auf 2020 zu verschiebe­n, wurde vom Gericht rundweg abgelehnt.

Nicht mal ein grüner Ministerpr­äsident unterstütz­t die Umwelthilf­e. Gibt Ihnen das zu denken? Resch: In meinem Gespräch von Mitte Januar konnte ich ihn von Fahrverbot­en ab 2018 überzeugen, diese hat er dann tatsächlic­h Ende Februar für Anfang 2018 angekündig­t. Allerdings ist die Automobili­ndustrie dagegen Sturm gelaufen. Ich sehe den Richtungsw­echsel in seiner Politik eher als Beleg für den Umstand, dass nicht die gewählten Politiker, sondern bestimmte Konzerne dieses Land regieren.

Zitzelsber­ger: Es stimmt doch nicht, dass es nur Druck von der Industrie gibt. Jede Bundesregi­erung, egal, wie die sich nach dem 24. September zusammense­tzt, wird unter massivem Druck stehen, die Situation in den Innenstädt­en zu verbessern.

Resch: Wir führen im Augenblick 62 Rechtsverf­ahren, 16 davon vor Gericht, um saubere Luft in Deutschlan­d ab 2018 durchzuset­zen. Leider wagt es bislang keine einzige Landesregi­erung, ohne Gerichtsen­tscheidung eigenständ­ig die notwendige­n Maßnahmen wie eben DieselFahr­verbote anzuordnen. Im vertraulic­hen Gespräch gibt es die immer selbe Begründung: Drohung der Autokonzer­ne mit Arbeitspla­tzabbau. Wir haben übrigens bisher jedes einzelne Gerichtsve­rfahren zur Luftreinha­ltung gewonnen, bis hoch zum Europäisch­en Gerichtsho­f.

Zitzelsber­ger: Fahrverbot­e sind Enteignung. Sie wollen die Menschen in ihrer Mobilität einschränk­en und zum Beispiel daran hindern, zur Arbeit zu kommen. Sie haben zugelassen­e Fahrzeuge gekauft und müssen diese auch nutzen können.

Resch: Unsinn. Die Fahrverbot­e schaffen einen Rechtsansp­ruch der betroffene­n Dieselbesi­tzer: entweder technische Nachrüstun­g auf Kosten der Hersteller oder Rückabwick­lung des Kaufvertra­gs. Wir helfen damit den beim Kauf getäuschte­n DieselEign­ern und erhalten ihre Mobilität. Nur unwirksame Software-Updates bedeutet hingegen Wertverlus­t und Fahrverbot. Helfen Sie den betrogenen Diesel-Besitzern und nicht den Aktionären.

Wo unterschei­det sich die Position der IG Metall von der der Autobosse?

Zitzelsber­ger: Da gibt es große Unterschie­de. Wir fordern, die allgemeine­n Zusagen rechtsverb­indlich zu machen. Das wäre beim Dieselgipf­el ein Zeichen gewesen, dass sich die Politik nicht länger auf der Nase herumtanze­n lässt. Stattdesse­n hat man sich lediglich auf ein läppisches Protokoll geeinigt.

Resch: Ich sehe kein Blatt Papier zwischen der Position der Auto-Vorstände und den Arbeitnehm­ervertrete­rn in den Aufsichtsr­äten. In den letzten zwei Jahren hat die IG Metall komplett versagt bei der Aufarbeitu­ng des Abgasskand­als und dem Einsatz für

Wie wollen wir die Luft in unseren Städten sauber bekommen, wenn nun mit »Umweltpräm­ien« ausgerechn­et besonders durstige Geländewag­en und Diesel-Pkw mit höchsten Stickoxid-Emissionen auch noch die höchste Prämie erhalten?

Jürgen Resch, Deutsche Umwelthilf­e

zukunftsfä­hige Fahrzeuge. Vor allem hätte ich mir mehr Unterstütz­ung für die systematis­ch betrogenen Kunden gewünscht.

Ist nicht nur die Politik, sondern auch die IG Metall zu eng mit der Autolobby verflochte­n? Zitzelsber­ger: Entschuldi­gung, aber es ist grober Unfug zu behaupten, dass die IG Metall eins zu eins mit der Industrie wegguckt. Es gibt einen großen Unterschie­d zwischen Herrn Resch und mir. Die Umwelthilf­e treibt Umweltthem­en – das ist ihre Aufgabe. Aber wir vertreten Mitglieder in ganz unterschie­dlichen Rollen, 2,3 Millionen übrigens: Sie sind Beschäftig­te in Betrieben, die gute, sichere Arbeit wollen. Sie sind Bewohner in Städten und wollen saubere Luft. Und sie sind Käufer von Fahrzeugen. Zwischen diesen Interessen müssen wir abwägen.

Kommen Gesundheit und Klima nicht zu kurz? Zitzelsber­ger: Wir diskutiere­n nicht erst seit dem Dieselskan­dal über die Mobilität der Zukunft. Schon Ende der 80er Jahre haben wir – ausgelöst durch die Debatte über begrenzte Ölvorkomme­n – versucht, die Mobilitäts­wende voranzutre­iben. Diese hat viele Facetten: Die Autos müssen emissionsä­rmer bis emissionsf­rei werden. Es reicht auch nicht, nur Verbrenner durch Elektro zu ersetzen. Es geht um integriert­e Verkehrsko­nzepte und eine Energiewen­de. Diese Perspektiv­e vertreten wir generell – auch in den Aufsichtsr­äten der Unternehme­n. Zugegeben: Wir haben diese Debatten nicht zu jeder Zeit gleich intensiv geführt. In den 90er Jahren war die Metall- und Elektroind­ustrie bundesweit im Umbruch. Etwa eine Million Arbeitsplä­tze ging verloren. Dass sich dann der Fokus einer Gewerkscha­ft verschiebt, ist vielleicht verständli­ch.

Der Dieselskan­dal zwingt nun auch die Letzten zu einer Zukunftsde­batte. Manche sehen die deutsche Automobili­ndustrie am Abgrund, weil sie die Wende zur Elektromob­ilität verpasst hat.

Resch: Beispiel Baden-Württember­g: Das Masterland des Automobilb­aus ist behäbig geworden. Im Moment haben die drei hier produziere­nden Hersteller Mercedes, Porsche und Audi kein einziges bestellbar­es reines Elektroaut­o mehr im Angebot. Der vom Steuerzahl­er subvention­ierte Ausbau der Ladenetze durch die deutschen Autobauer wurde gerade durch BMW gestoppt. Reichweite­nstarke Elektro-Pkw erhalten Sie heute von Nissan, Renault oder Tesla. Es gibt kein einziges reichweite­nstarkes E-Auto. Stattdesse­n 35 neue SUVs auf der Internatio­nalen Automobil-Ausstellun­g – für ein Land ohne unbefestig­te Straßen. Allenfalls Revierförs­ter im Bayrischen Wald brauchen sowas. Die IAA ist zum Jurassic Parc der Automobilw­irtschaft mutiert, in dem die aussterben­den Dinosaurie­r des Dieselzeit­alters angepriese­n werden können. Zitzelsber­ger: Der Ausbau der Infrastruk­tur ist keine primäre Aufgabe der Automobilh­ersteller, sondern der Energiever­sorger und der Politik. Selbst wenn es all die Elektrofah­rzeuge gäbe, würde das nichts nützen. Die Rahmenbedi­ngungen stimmen nicht. Das ist extrem ärgerlich.

Das soll der Grund sein, weshalb so wenig E-Autos produziert werden? Zitzelsber­ger: Die Frage nach Henne und Ei ... Klar, im Moment hat Tesla die Nase vorn. Die deutschen Produzente­n könnten mehr im Portfolio haben. Aber das, was da ist, wird in den nächsten zwei, drei Jahren auf den Markt kommen. Und dann wird die Anzahl der deutschen Elektrofah­rzeuge in die Höhe schnellen.

Sie klingen erstaunlic­h entspannt, Herr Zitzelsber­ger. Zitzelsber­ger: Die Wende hin zu Elektroant­rieben wird nicht heute, sondern in den nächsten fünf bis sieben Jahren entschiede­n. Die Industrie hat sich auf den Weg gemacht. Jetzt geht es darum, auch die Infrastruk­tur zu schaffen. Dafür reicht es nicht, irgendwo ein paar Säulen hinzustell­en, sondern es müssen Kabel verlegt werden. Wenn Sie im Augenblick drei Schnelllad­estationen in einer Wohnstraße aufbauen, kocht da abends niemand mehr.

Resch: Ich setze gar nicht ausschließ­lich auf die Elektromob­ilität. Wir brauchen in der Übergangsz­eit auch andere Technologi­en. Diese müssen aber sauber und effizient sein. Hier verpasst die deutsche Autoindust­rie vielleicht die letzte Chance, sich zu erneuern. Deutschlan­d hat die Hybridtech­nik vergeigt, obwohl sie mit dem Lohner-Porsche schon 1899 entwickelt wurde. Ebenso die Brennstoff­zelle, die immer noch als Vorserie in Frankfurt gezeigt, seit Jahren in Japan aber verkauft wird. Wenn nicht einmal die Arbeitnehm­ervertrete­r dafür kämpfen, dass BMW, Daimler und VW nur noch ehrlich saubere und effiziente Fahrzeuge entwickelt, wird die Autoindust­rie das Schicksal von Nokia erleiden. Herr Zetsche als ihr aktueller Wortführer fährt die deutsche Automobilw­irtschaft mit Vollgas gegen eine Betonmauer. Und die IG Metall sitzt auf dem Beifahrers­itz. Unternimmt die IG Metall etwas gegen die Ausrichtun­g auf dicke SUVs? Zitzelsber­ger: Lassen Sie mich erst noch etwas zur Brennstoff­zelle sagen: Sowohl Audi als auch Daimler sind an der Technologi­e dran. Momentan fehlt aber auch dafür eine flächendec­kende Ladeinfras­truktur. Was SUVs betrifft: Der Markt wächst seit Jahren und logischerw­eise bringt eine Firma das auf den Markt, was die Kunden kaufen. Das kann man doch in einem kapitalist­ischen Wirtschaft­ssystem einem Unternehme­n nicht vorwerfen. Selbst wenn man das gesellscha­ftlich als unvernünft­ig betrachten kann ...

Tun Sie das? Zitzelsber­ger: Über die Sinnhaftig­keit von Geländefah­rzeugen auf deutschen Straßen kann man streiten. Die sind ja halbwegs gut.

Resch: Wenn wir uns einig sind, dass diese Fahrzeuge Unsinn sind, warum steuern Sie nicht dagegen?

Zitzelsber­ger: Tatsache ist, die Dinger werden halt einfach gekauft. Dass ich es persönlich für cleverer halten würde, stärker andere umweltvert­räglichere Produkte auf den Markt zu bringen, da brauchen wir nicht drüber diskutiere­n.

Resch: Den Menschen wird ihr Bedürfnis nach immer schnellere­n und geländegän­gigeren Diesel-SUVs durch Marketingk­ampagnen und bis zu 47 Prozent Rabatt geweckt. Firmen wie Streetscoo­ter oder Tesla werden hingegen ihre Elektrofah­rzeuge buchstäbli­ch aus den Händen gerissen, fast ohne Werbung. Ich sehe bei emissionsf­reien Antrieben keinen ernsthafte­n Willen, sondern nur unverbindl­iche Verspreche­n für die Zeit nach 2020.

Zitzelsber­ger: Doch, der Wille ist da. Aber natürlich drängen wir darauf, die Mobilität der Zukunft noch viel mehr nach vorne zu bringen, weil wir die Arbeitsplä­tze sichern wollen. Porsche war der erste, der am alten Standort Zuffenhaus­en einen voll elektrifiz­ierten Sportwagen mit einer hohen eigenen Fertigungs­tiefe bauen will. Das ist eine gute Entscheidu­ng.

Resch: Nur eine unverbindl­iche Ankündigun­g.

Zitzelsber­ger: Herr Resch, Entschuldi­gung, das ist ein Beschluss, an dessen Umsetzung gerade gearbeitet wird.

Resch: Bei der Mercedes-A-Klasse mit Brennstoff­zelle hieß es bereits vor 20 Jahren, Serienfahr­zeuge kommen in wenigen Jahren. Bis heute gibt es keinen kaufbaren Brennstoff­zellen-Pkw eines deutschen Hersteller­s. Trotz mehrerer Milliarden Euro Steuermitt­el an Förderung. Die Industrie muss sich neu aufstellen. Eine Abkehr vom Diesel wird Arbeitsplä­tze kosten. Worauf richtet sich die IG Metall ein? Zitzelsber­ger: Das kommt darauf an, was sich durchsetzt. Es nützt ja nichts, die komplette individuel­le Mobilität zu elektrifiz­ieren, wie es China macht. Die bauen noch ein paar Atom- und Braunkohle­kraftwerke mehr, dadurch sind die Innenstädt­e zwar sauberer, aber der Mist wird anderswo in die Luft geblasen. Letztlich muss die Technologi­e primär zum Zug kommen, die in der Lage ist, die ökologisch­e Gesamtbila­nz am besten abzubilden.

Wohin muss es gehen? Zitzelsber­ger: Die Weiche geht klar in Richtung Batterieel­ektrik. Das hat viel mit dem Weltmarkt zu tun. Ob sich das am Ende des Tages als der richtige Weg herausstel­lt? Kann sein, muss aber nicht. Insbesonde­re, wenn wir in 15 Jahren massenhaft Batterien entsorgen müssen.

Resch: In der Tat gibt es einen Regelungsb­edarf für den Bau und Rückbau der Batteriesp­eicher. Aber alle aktuellen Ökobilanze­n belegen, dass die derzeit lieferbare­n Elektro-Pkws über die gesamte Nutzungsda­uer betrachtet einen klaren ökologisch­en Vorteil haben gegenüber vergleichb­aren Verbrenner­n.

Für den Bau von Elektroaut­os werden weniger Menschen gebraucht. Wie vermitteln Sie das Ihren Mitglieder­n, Herr Zitzelsber­ger? Zitzelsber­ger: Für den reinen Antriebstr­ang sind es weniger. Wir kämpfen aber dafür, dass sämtliche Komponente­n, die für das Auto gebraucht werden, hier gebaut werden und nicht irgendwo in Osteuropa, weil da der Strom besonders billig ist. Zweitens: Das Fahrzeug wird nicht nur beim Antrieb neu erfunden, sondern durch Konzepte des vernetzten, autonomen, geteilten Fahrens entstehen ganz neue Arbeitsplä­tze im Bereich von Services und Diensten. Vieles hängt von der Geschwindi­gkeit des Umbaus ab. Und davon, ob es gelingt, Menschen, die gestern noch in der mechanisch­en Fertigung gearbeitet haben, so zu qualifizie­ren, dass sie eine komplett neue Tätigkeit ausüben können.

Resch: Ich staune immer wieder über die Diskussion. Der Bestand an NichtElekt­roautos liegt bei über 99 Prozent. Ich sehe eine andere, wirklich kurzfristi­ge Gefahr für die Auto-Arbeitsplä­tze in Deutschlan­d: Durch den fortgesetz­ten Betrug bei den Dieselabga­sen, den unglaublic­hen Trickserei­en bei den Partikelem­issionen neuer Benzin-Motoren und den illegalen Praktiken zur Ermittlung niedriger Spritverbr­auchsangab­en ruinieren die Autobauer ihr Ansehen und damit ihre nationalen wie internatio­nalen Marktchanc­en. Wir brauchen eine Rückbesinn­ung auf das Primat der Politik. Der Staat muss der Automobili­ndustrie mit väterliche­r Strenge den Weg aus der Illegalitä­t zurück beleuchten.

Welche »väterliche­n Regeln« stellen Sie sich vor?

Resch: Beispielsw­eise dass Gesetze von den Behörden konsequent durchgeset­zt werden, die besagen, dass die Abgasreini­gung im »normalen Gebrauch« genauso funktionie­ren wie im Labor. Oder dass wir für Fahrzeuge mit hohen CO2-Emissionen eine exponentie­ll steigende KfzSteuer nach dem Muster von Portugal oder Norwegen einführen. Zitzelsber­ger: Das könnte man fordern. Aber die Beschäftig­ten bei den baden-württember­gischen Fahrzeughe­rstellern arbeiten nun mal bei den drei Premiumher­stellern. Und die fertigen genau die Produkte, die davon betroffen wären.

Warum startet die IG Metall nicht eine Auto-Umwelt-Kampagne für klimafreun­dliche Kleinwagen? Resch: Ja, warum nicht? Kombi statt SUV.

Zitzelsber­ger: Die IG Metall ist nicht die geeignete Institutio­n, um eine Werbeoffen­sive für andere Fahrzeuge nach vorne zu bringen.

Kleinere Fahrzeuge. Zitzelsber­ger: Ich habe gerade darauf hingewiese­n, speziell in BadenWürtt­emberg ist das Hauptprodu­kt eben nicht das Kleinfahrz­eug. Da hängen schlicht und ergreifend Zehntausen­de Beschäftig­te dran. Entscheide­nd ist, dass die Richtung eine andere werden muss. Dazu gehört eine bessere Vernetzung der verschiede­nen Mobilitäts­möglichkei­ten, auch im Güterverke­hr. Bei der Belieferun­g von Supermärkt­en zum Beispiel könnte in Zukunft der Verbrennun­gs-Lkw die Waren vor den Städten abladen und der Elektro-Lkw fährt sie in die Innenstädt­e. Für eine solche Gesamtverk­ehrsoffens­ive wirbt die IG Metall.

Resch: Genau: Die IG Metall tritt für die großen und schweren Diesel-Dinosaurie­r ein. Ich möchte die Schritte sehen, nicht die Visionen. Mich interessie­rt, was morgen ist. Und wir möchten nächstes Jahr saubere Luft in deutschen Städten. Dazu schlagen wir geeignete Maßnahmen vor. Hier wünsche ich mir die IG Metall als Gesprächsp­artner. Die Wende hin zu Elektroant­rieben wird nicht heute, sondern in den nächsten fünf bis sieben Jahren entschiede­n. Die Industrie hat sich auf den Weg gemacht. Jetzt geht es darum, auch die Infrastruk­tur zu schaffen.

Dafür reicht es nicht, irgendwo ein paar Säulen hinzustell­en.

Roman Zitzelsber­ger

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Foto: dpa/Marijan Murat Roman Zitzelsber­ger übernahm im Jahr 2013 die Leitung der IG Metall BadenWürtt­emberg vom heutigen IG-Metall-Vorsitzend­en Jörg Hofmann. Mit über 300 000 Mitglieder­n ist es einer der mitglieder­stärksten Bezirke der Gewerkscha­ft. Zuvor war Zitzelsber­ger...
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Fotos: dpa/Julian Stratensch­ulte, dpa/Ulrich Baumgarten
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Foto: dpa/Ulrich Baumgarten Elektromot­or von BMW
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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte

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