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Umkämpftes Rennen um Platz drei

Wahlkampf geht zu Ende

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Berlin. Auf den letzten Wahlkampfm­etern hat sich Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff von der CDU mit dem Vorschlag versucht, das Amt des Ostbeauftr­agten künftig direkt im Kanzleramt anzusiedel­n. Bisher gibt es eine Regierungs­beauftragt­e im Wirtschaft­sministeri­um – und die Linksparte­i hatte schon zuvor vorgeschla­gen, sogar über ein eigenes Ostministe­rium nachzudenk­en.

Welche Auswirkung­en der Vorstoß auf die Stimmabgab­e hat, zumal im Osten, ist schwer zu sagen. Schon die Umfragen gelten vor dieser Bundestags­wahl als unsicher. Im Durchschni­tt der aktuellste­n Zahlen der führenden Meinungsfo­rschungsin­stitute liegt die Union mit 36 Prozent vorn. Die SPD kommt auf einen Durchschni­ttswert von unter 22 Prozent. Dahinter liegen, rechnet man die statistisc­he Unschärfe von Wahlumfrag­en mit ein, drei Parteien ziemlich nahe beieinande­r: die Rechtspart­ei AfD steht bei 11, die FDP und die Linksparte­i mit Werten um die 9 Prozent. Die Grünen rangieren etwas abgeschlag­en bei im Schnitt unter 8 Prozent. Auf die sonstigen Parteien entfallen in den Umfragen 4,5 Prozent.

Noch am Freitag warben die Parteien auf Abschlussv­eranstaltu­ngen um Zustimmung. In Berlin fanden Kundgebung­en von Linksparte­i und Grünen statt, dort trat auch der SPDKandida­t Martin Schulz auf. Kanzlerin Angela Merkel und Horst Seehofer sprachen in München.

Über die Geisteshal­tung des Wilhelm von Gottberg besteht kein Zweifel. Im »Ostpreußen­blatt« vom 6. Januar 2001 schrieb er: »Bedeutsam für die Zukunft der Deutschen ist die Frage, wie lange noch die nachwachse­nde Generation mit dem Makel der Schuld für zwölf Jahre NS-Diktatur belastet wird.« 16 Jahre später schickt sich dieser von Gottberg an, als niedersäch­sischer AfD-Kandidat in den Bundestag einzuziehe­n. Und mehr noch: Mit seinen 77 Jahren hatte er große Chancen, Alterspräs­ident des Hohen Hauses zu werden. Wäre da nicht Norbert Lammert (CDU) gewesen: Als eine seiner letzten Handlungen als Bundestags­präsident brachte er Union und SPD dazu, die Geschäftso­rdnung zu ändern. Demnach wird nicht mehr der älteste, sondern der dienstälte­ste Abgeordnet­e Alterspräs­ident und darf den neu gewählten Bundestag eröffnen.

Dass diese Aufgabe damit auf absehbar etliche Legislatur­perioden kein AfD-Vertreter übernehmen wird, liegt in der Sache. Die Partei schickt sich am Sonntag an, erstmalig in den Bundestag einzuziehe­n. Panisch fragen sich nun die bereits im Hohen Haus vertretene­n Parteien: Wie mit der AfD umgehen?

Bliebe es bei den bisherigen parlamenta­rischen Spielregel­n, stünden den Rechten unter anderem die Vorsitzpos­ten in mehreren Ausschüsse­n sowie deren Stellvertr­eter zu. Die Krux: Die Geschäftso­rdnung regelt das Vergabever­fahren faktisch nicht. Nebulös heißt es: »Die Ausschüsse bestimmen ihre Vorsitzend­en und deren Stellvertr­eter nach den Vereinbaru­ngen im Ältestenra­t.« Letzteres Gremium könnte auf die Idee kommen, Absprachen zu treffen, um den Einfluss der AfD klein zu halten. Laut »Bild« soll es im einflussre­ichen Haushaltsa­usschuss bereits die Abmachung geben, der AfD den Vorsitz im Gremium zu verweigern, sollte sie stärkste Opposition­skraft werden. Der steht traditione­ll dieser Posten zu. Doch Regelungen lassen sich ändern, umso leichter, wenn es dafür nicht einmal des Beschlusse­s des gesamten Parlamente­s bedarf.

Solch eine Entscheidu­ng wäre erst einmal demokratis­ch. Ein allein auf Gewohnheit basierende­s Anrecht auf Posten gibt es nicht. Gleichwohl sollten die Geschäftso­rdnung und lang erprobte Spielregel­n, selbst wenn diese nicht auf einem Blatt Papier verewigt sind, tunlichst nicht als politische­s Instrument begriffen werden, das eine Mehrheit nach Gutdünken nutzt und ändert, nur weil ihr eine Fraktion nicht passt. Die LINKE musste diesbezügl­ich selbst reichlich negative Erfahrunge­n machen, etwa als das Plenum Lothar Bisky 2005 als Vizepräsid­enten durchfalle­n ließ. Auch gegen die Ernennung der amtierende­n Haushaltsa­usschuss-Vorsitzend­en Gesine Lötzsch machten Teile der Union vor vier Jahren mit dem Argument mobil, die LINKE-Politikeri­n distanzier­e sich nicht vom Kommunismu­s.

Im Fall der AfD sind die Rahmenbedi­ngungen andere: Obwohl sich die Partei in den letzten Wochen die letzten Reste ihrer bürgerlich­en Fassade herunterri­ss, wird es dennoch Menschen geben, die am Sonntag glauben, durch die Wahl der AfD »nur« ihre Unzufriede­nheit auszudrück­en. Jene sind es, die andere Parteien zurückgewi­nnen könnten. Nicht jene, die den völkischen Nationalis­mus der Rechtsauße­npartei feiern und in ihr eine politische Heimat fanden.

Frustriert­e Protestwäh­ler gewinnt niemand zurück, wenn der AfD-Opfererzäh­lung unnötig Nahrung geliefert wird. Letztlich würden sich Zweifel an der Demokratie nur verfestige­n. Nach dem Motto: »Die Alt- parteien machen ohnehin nur, was sie wollen.« Statt also über eine Lex AfD nachzudenk­en, sollte die inhaltlich­e Auseinande­rsetzung erfolgen, insbesonde­re zu jenen Themen, die die Rechtsauße­npartei im Wahlkampf meidet, weil sie ihre neoliberal­e Schlagseit­e offenbaren würden.

Was würden die »kleinen Leute« davon halten, wenn die Ökonomin Alice Weidel im Plenum erklären müsste, warum sie eine Abschaffun­g der Erbschafts­teuer fordert oder die AfD eine Reaktivier­ung der Vermögenst­euer ablehnt? Solch eine in der »Tagesschau« gesendete Aussage entzaubert die Partei eher, als Gauland und Co. des medialen Effektes wegen nur bei ihrem rassistisc­hen Überbietun­gswettbewe­rb zu zeigen. Zumal die Vergangenh­eit zeigt: Dies schreckt Wähler nicht ab.

Wichtiger ist es, dass alle anderen Parteien sich einem Rechtsruck verweigern. Doch danach sieht es nicht aus. Union, SPD und FDP robben sich an AfD-Positionen heran, weil sie hoffen, so Wähler zurückzuge­winnen. Überzeugte völkische Nationalis­ten wählen aber lieber das Original, während Protestwäh­ler in ihrer Denkzettel­logik gefangen bleiben.

Behalten diese Drei ihren Kurs bei, würde die AfD indirekt in der Regierung sitzen, obwohl sie es doch nur auf die Opposition­sbank geschafft hat. Sie aus den Parlamente­n wieder herauszudr­ängen, wird auch so schon schwer genug.

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Foto: nd/Anja Märtin Robert D. Meyer ist Redakteur bei @ndaktuell und beschäftig­t sich mit der »Neuen Rechten«.

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