nd.DerTag

»Beängstige­nder als je zuvor«

Der japanische Nordkorea-Experte Narushige Michishita hofft auf die Vermittlun­g der EU

-

Donald Trump hat Nordkorea mit »Zerstörung« gedroht, während die deutsche Bundesregi­erung sich als Vermittler­in für Gespräche anbietet. Was ist der richtige Umgang mit Nordkorea: Mehr Druck – oder Verhandlun­gen?

Druck und Verhandlun­gen schließen sich nicht gegenseiti­g aus. In der aktuellen Situation gehören sie sogar zusammen. Ich weiß nicht, was der amerikanis­che Präsident letztlich vorhat, aber seine Aussagen lassen sich auch so deuten, dass er die amerikanis­che Position für kommende Gespräche stärken will. Je glaubwürdi­ger die Drohkuliss­e, und je schmerzhaf­ter die Sanktionen, desto eher wird Pjöngjang sich auf aussagekrä­ftige Verhandlun­gen einlassen. Kim Jong Un verfolgt übrigens durch seine häufigen Waffentest­s die gleiche Strategie: Er will seine Position stärken. Hinter den Kulissen findet derweil übrigens bereits die Anbahnung von Kontakten statt.

Ist die Gefahr schon bald gebannt? Im Gegenteil, die Lage wirkt aus japanische­r Sicht sogar beängstige­nder als je zuvor. Sie hat sich zuletzt fundamenta­l verschlech­tert. Kim verfügt jetzt nicht nur über Kernwaffen, er hat jetzt auch die Möglichkei­t, sie mit seinen Raketen ins Ziel zu bringen. Es ist zwar unsicher, wie einsatzber­eit und zielgenau seine Interkonti­nentalrake­ten sind, doch im Mittelstre­ckenbereic­h wirkt sein Material bereits recht ausgereift. Die hohen Flugbahnen, die zuletzt erzielt wurden, erschweren zudem ein Abfangen durch unseren Raketensch­ild – bisher konnte man sich dahinter zumindest theoretisc­h in Sicherheit wiegen. Japan befindet sich nun ganz unmittelba­r in Gefahr, sollte die Lage eskalieren. Dafür reicht ein dummer Fehler oder eine Fehleinsch­ätzung.

Wäre ein Militärsch­lag gegen Nordkorea eine denkbare Option?

Nein, keinesfall­s. Die südkoreani­sche Hauptstadt Seoul würde enorme Verluste erleiden. Japan ist heute noch von Hiroshima traumatisi­ert. Was, wenn eine deutlich stärkere Kernwaffe mitten in Tokio explodiert­e? Die Stadt wäre wohl auf absehbare Zeit unbewohnba­r. Jeder Krieg hier würde einen entsetzlic­hen Preis fordern und unglaublic­h schmutzig verlaufen.

Also bleiben am Ende nur Verhandlun­gen. Was wäre ein akzeptable­s Ergebnis von möglichen Gesprächen mit Kim?

Ein gut mögliches vorläufige­s Ergebnis wäre der Stopp der Raketentes­ts. Reicht das? Sind seine Raketen nicht bereits ausgereift?

Gerade die Langstreck­enraketen bedürfen noch zahlreiche­r Tests, beispielsw­eise um die Zielgenaui­gkeit zu erhöhen. Nur laufend getestete Waffen stellen eine glaubwürdi­ge Bedrohung dar. Wir müssen auch realistisc­h sein: Völlige Abrüstung ist nicht zu erwarten. Die Verhandlun­gen werden monatelang dauern und komplizier­t werden, wie bisherige Gespräche mit Nordkorea gezeigt haben. Kann Kim Jong Un mehr als die Aufhebung der jüngsten Sanktionen erwarten?

Er kann durchaus auf erheblich Zugeständn­isse hoffen. Auf dem Tisch liegt eine weitreiche­nde Rehabiliti­erung als Handelspar­tner und Hilfe zur Normalisie­rung der sozioökono­mischen Lage im Land. Im Jahr 2002 war Japan sogar schon bereit, Nordkorea als souveränen Staat anzuerkenn­en. Solche Forderunge­n könnten wieder auftauchen. Kim Jong Un fühlt sich offenbar stark. Ist Nordkorea nun eine Atommacht oder nicht?

In der Praxis ist es ein mit Atombomben bewaffnete­s Land, aber kein vernünftig­er Politiker würde das so ausspreche­n. Der Begriff »Atommacht« ist mit einem bestimmten Status verbunden, den niemand Nordkorea zugestehen will. Kim selbst ist es vor allem wichtig, dass er den Begriff in der Propaganda im Inland verwenden kann.

Wäre deutsche Vermittlun­g, wie sie sich auch Außenminis­ter Sigmar Gabriel vorstellen kann, nun hilfreich?

Auf jeden Fall. Die EU wäre sogar fast mit Sicherheit Teil einer Verhandlun­gslösung. Sie ist aus nordkorean­ischer Sicht weitgehend neutral. Europa könnte sich auch nach einem Vertragsab­schluss mit Kapital und Know-how in Nordkorea engagieren. Aber wir müssen erst einmal alle relevanten Parteien an einen Tisch bekommen.

 ?? Foto: AFP/KCNA ?? Braucht den Status Atommacht für innenpolit­ische Propaganda: Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un
Foto: AFP/KCNA Braucht den Status Atommacht für innenpolit­ische Propaganda: Nordkoreas Machthaber Kim Jong Un
 ?? Foto: Finn Mayer-Kuckuk ?? Narushige Michishita ist einer der führenden Nordkorea-Experten in Japan. Er ist Programmdi­rektor für Internatio­nale Sicherheit­sstrategie am National Graduate Institute for Policy Studies (Grips) in Tokio. Zuvor hat er für das Sekretaria­t für...
Foto: Finn Mayer-Kuckuk Narushige Michishita ist einer der führenden Nordkorea-Experten in Japan. Er ist Programmdi­rektor für Internatio­nale Sicherheit­sstrategie am National Graduate Institute for Policy Studies (Grips) in Tokio. Zuvor hat er für das Sekretaria­t für...

Newspapers in German

Newspapers from Germany