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ThyssenKru­pp soll im Pott bleiben

Beschäftig­te sehen durch Fusion mit Tata Steel Mitbestimm­ungsrechte in Gefahr

- Von Sebastian Weiermann, Bochum

Am Freitag haben 7000 Arbeiter von ThyssenKru­pp in Bochum gegen den drohenden Verlust ihrer Arbeitsplä­tze demonstrie­rt. Die Stahlfusio­n mit dem indischen Tata-Konzern wird mindestens 2000 Jobs kosten. Der große Aufstand der Stahlarbei­ter ist am Freitag in Bochum ausgeblieb­en. 7000 Menschen sind nach Angaben der IG Metall und der Polizei gekommen. Vom Werk im Stadtteil Höntrop ziehen sie zum Westpark – einem Park, der auf dem ehemaligen Gelände eines Stahlwerks von Krupp entstanden ist. 1987 gab es das Werk noch, sagt eine ältere Frau, die mit IGMetall-Mütze am Rand der Kundgebung steht. In jenem Jahr gab es im ganzen Ruhrgebiet Proteste, als ein Stahlwerk in Duisburg-Rheinhause­n geschlosse­n wurde. »Damals stand der ganze Ruhrpott still«, erzählt die Frau.

Auch diesmal geht es »ums Ganze«, wenn man dem Betriebsra­tsvorsitze­nden Willi Segerath glaubt. Es gehe um den ganzen Konzern, nicht nur um den Bereich Stahl. Der Vorstand um Heinrich Hiesinger baue die Mitbestimm­ung Stück für Stück ab, dem werde man sich entgegenst­ellen. Wenn Segerath ruft, »wir denken weiter als bis zum nächsten Quartalser­gebnis« oder »wir lassen uns nicht von Hochglanzk­ampagnen und Werbefilme­n beeindruck­en«, dann jubelt die Menge und ruft »Willi, Willi, Willi«.

Der Betriebsra­tsvorsitze­nde der Stahlspart­e, Günter Back, schlägt in dieselbe Kerbe. Es habe nichts mehr mit Mitbestimm­ung zu tun, wenn irgendwelc­he Werbefilme­r vor dem Betriebsra­t von den Fusionsplä­nen wüssten. »Ich fühle mich um meine Mitbestimm­ung betrogen«, sagt Back und erntet dafür Jubel. Das Ziel der Fusion sei es, sich um die Zahlung von Steuern und Pensionen zu drücken. Die Frage nach den Betriebsre­nten ist in der Auseinande­rsetzung um die Fusion nicht unwesentli­ch. 63 000 Menschen sind davon direkt betroffen. Sie fürchten, der neue Konzern würde sich nicht an die Vereinbaru­ngen halten.

Auch die Politik hat sich in die Auseinande­rsetzung eingemisch­t. Sören Link, der SPD-Oberbürger­meister von Duisburg, eilte am Mitt- woch vor den örtlichen Sitz des Großkonzer­ns und solidarisi­erte sich mit den protestier­enden Mitarbeite­rn. Er selbst sei Sohn eines Stahlarbei­ters und wisse, dass Stahl zu Duisburg gehöre. In ihrem Kampf um die Arbeitsplä­tze will der Sozialdemo­krat, der am Sonntag wiedergewä­hlt werden möchte, die Mitarbeite­r des Konzerns unterstütz­en.

Wir sind zum Kämpfen gekommen«, rief selbst Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) bei der Kundgebung ins Mikrofon. Sie forderte vom Konzern die Vorlage von »Zahlen und keine Geheimnisk­rämerei«, man müsse von betriebsbe­dingten Kündigunge­n absehen. »Wenn die glauben, die kommen damit durch, sagen wir nein«, beendete Nahles ihre Rede.

NRW-Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) und sein Wirtschaft­sminister Andreas Pinkwart (FDP) setzen hingegen andere Akzente. Für beide geht es um die Zukunftsfä­higkeit des Konzerns ThyssenKru­pp. Laschet betonte, dass eine zukunftsfä­hige Stahlprodu­ktion in Nordrhein-Westfalen viele Arbeitsplä­tze und die »Wettbewerb­sfähigkeit unseres Standortes« sichere. Die Landesregi­erung will den Prozess der Fusion der Stahlspart­en von ThyssenKru­pp und Tata eng begleiten. Die Grünen fordern indes Transparen­z und, »dass der Aufsichtsr­at nicht mit dem doppelten Stimmrecht des Aufsichtsr­atsvorsitz­enden Prof. Dr. Ulrich Lehner die Arbeitnehm­ervertrete­r im Aufsichtsr­at überstimmt«. Christian Leye, Landesprec­her der LINKEN in Nordrhein- Westfalen, hat da einen weitergehe­nden Vorschlag. Eine Indus-triestiftu­ng NRW solle gegründet werden, in die der Konzern aufgeht und die eine Unternehme­nsstrategi­e verfolgt, die an den Interessen der Angestellt­en ausgericht­et wird. »Dafür gibt es praktische Beispiele. Ein solches Modell hat – auf Initiative des damaligen Ministerpr­äsidenten Oskar Lafontaine – etwa die saarländis­che Stahlindus­trie gerettet«, erinnert Leye.

Für Besonders viel Aufregung sorgte bei der Kundgebung in Bochum, dass der Firmensitz im Rahmen der Fusion vermutlich aus Steuergrün­den in die Niederland­e verlegt werden soll. Dort müssten Mitbestimm­ungsrechte völlig neu verhandelt werden, weshalb die Belegschaf­t ihre Kontrollre­chte in Gefahr sieht. Sitz müsse Deutschlan­d bleiben, es dürfe keinen »Ausverkauf bei der Mitbestimm­ung« geben, forderte auch Nahles.

Noch wichtiger dürfte allerdings die Auseinande­rsetzung um Garantien für die Angestellt­en sein. Nach den aktuellen Plänen soll die Produktion bei ThyssenKru­pp und Tata ab 2020 verschmelz­en. Das könnte einen weiteren massiven Stellenabb­au zur Folge haben. Daher forderten die Arbeiter in Bochum Zusicherun­gen für ihre Arbeitsplä­tze bis »weit in das nächste Jahrzehnt«. Wie verhandlun­gsbereit die Konzernlei­tung ist, wird dabei sicherlich auch davon abhängen, wie die Bereitscha­ft der Arbeiter zu Streiks ist. Vor der Großdemons­tration hatten die Beschäftig­ten mit Beginn der Frühschich­t schon mal die Anlagen herunterge­fahren.

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Foto: dpa/Marcel Kusch Demo in Bochum: Die Angestellt­en von ThyssenKru­pp sind wütend auf die Führung des Konzerns.

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