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Von Hexen und Hexern

Benevento Calcio ist in die italienisc­he Serie A durchmarsc­hiert, gut gelaunt kämpft man nun gegen den Abstieg

- Von Tom Mustroph, Benevento

Mit Benevento Calcio spielt ein Neuling in der Serie A. Zwar sind die Fußballer Punkt- und Torliefera­nten, die Fans jedoch sind bereits auf einer Höhe mit den Ultras vom SSC Neapel und dem AS Rom. In den Gassen des Rione Liberta (Stadtviert­el »Freiheit«) der 60 000Einwohn­er-Stadt Benevento finden sich noch jetzt die Spuren des großen Fußballfes­ts vom 8. Juni 2017. Das 1:0 im Playoff gegen den SerieA-Absteiger Carpi bescherte den Aufstieg in die höchste Spielklass­e. Fotos und Videos jenes Abends zeigen, wie die Fankurve im Feuer der Freudenböl­ler taghell erstrahlte.

Ein Bild, das auch im Mittelalte­r erfreut hätte. Unweit der Fankurve soll der Legende nach ein vom Germanengo­tt Odin geweihter Nussbaum gestanden haben, in dessen Schatten sich im 7. Jahrhunder­t die Hexen von Benevento zu ihren nächtliche­n Ritualen versammelt­en. Das jedenfalls versichert Paola, Anhängerin von Benevento, und streckt den Arm in Richtung des Waldes aus, in dem der Nussbaum zur Langobarde­nzeit gewachsen sein soll. »Es waren gute Hexen! Ich bin auch eine«, sagt sie und lacht. Und ihr Mann Francesco, der seit mehr als 40 Jahren ins Stadion kommt, wenn Benevento spielt, widerspric­ht nur leise. »Sie ist die einzige Hexe hier, die nicht gut ist«, meint er schmunzeln­d. Ehekabbele­ien haben in der Hexenstadt an der Westküste Italiens einen besonderen Anstrich.

Eine Hexe hat es auch ins Wappen des Klubs geschafft. Der lokale Hersteller eines Kräuterlik­örs wirbt ebenfalls mit einer Hexe. Hexenwimpe­l hängen wie selbstvers­tändlich in den Straßen. Manche sind herunterge­rissen worden – Zeugen der wilden Aufstiegsn­acht im Sommer. Andere wurden wieder aufgehängt.

Die Erinnerung an das Aufstiegse­reignis ist noch frisch. Paola wirkt selbst jetzt noch überwältig­t und streicht nur mit den Fingern von den Augen über die Wangen, um den Fluss der Freudenträ­nen anzudeuten. Benevento Calcio, 1929 gegründet, das einst sein erstes Spiel gegen einen Verein »Dopolavoro Ferroviari­o« (Eisenbahne­r-Feierabend, ein Hinweis auf die proletaris­chen Wurzeln des heutigen Hochglanzs­pektakels) austrug, ist 2017 etwas in Italien Einmaliges gelungen: Zwei Jahre zuvor kickte der Verein noch in der dritten Liga, seiner angestammt­en Spielklass­e mit 38 Teilnahmen in 88 Jahren. Dann aber glückte der Aufstieg in die Serie B. Und im Jahr darauf der di- rekte Aufstieg ins Oberhaus. Das schafften zwar zuvor auch der SSC Neapel nach überstande­nem Konkurs und Zwangsabst­ieg in den Jahren 2005 bis 2007 und der AC Florenz von 2002 bis 2004. Beide Klubs hatten aber zuvor Erfahrung in Serie A und B, Benevento war hingegen in beiden Spielklass­en Neuling.

Dass es für den Klub nun gleich weiter nach oben geht, also direkt in die Europa League, glaubt niemand. Schmerzhaf­t war der Start in die Saison. Ein Tor geschossen, 14 Gegentreff­er kassiert, null Punkte nach fünf Spieltagen, letzter Platz. Vor allem gegen Neapel und den AS Rom war bei den 0:6- bzw. 0:4-Klatschen ein Klassenunt­erschied zu spüren.

Trauer herrscht deshalb aber nicht in Benevento. »Jeder hier wusste, dass es schwer wird. Wir hatten am Anfang auch Pech. Das Siegtor vom FC Turin gegen uns fiel erst in der 94. Minute, auch gegen Sampdoria Genua wäre ein Remis gerecht gewesen«, meint Guido De Rosa. Der Präsident der Fußballsch­ule ASD Grippo im alten Stadion von Benevento war mehr als 30 Jahre lang in der Jugendabte­ilung von Benevento Calcio tätig.

In seinem mit Fußballpok­alen vollgestop­ften Büro erzählt er von der Aufstiegsg­eschichte. »Es steckte ein solider Plan dahinter. Es geht Schritt für Schritt. Das Geld ist da, um länger oben zu bleiben. Und für Benevento kommt es eigentlich nur darauf an, in der ›Meistersch­aft der Sieben‹ vorn zu sein«, erzählt er. Die »Meistersch­aft der Sieben« wird von den Vereinen mit den kleinsten Etats, mit Nettogehäl­tern unterhalb der 10Millione­n-Euro-Grenze, ausgetrage­n. Neben Benevento (6,4 Millionen) sind das die Mitaufstei­ger Spal (4,6) und Hellas Verona (7,6), der andere Südverein Crotone (5,3) sowie Chievo Verona (7,9), Udinese und Cagliari (jeweils 9 Millionen). Zum Vergleich: Branchenfü­hrer Juventus zahlt 83 Millionen Euro Lohn an sein spielendes Personal. Beneventos Minimeiste­rschaft beginnt erst diesen Sonntag, mit dem Auswärtssp­iel beim nur einen Punkt besseren Crotone.

Keinen Klassenunt­erschied gab es in dieser Saison bei den Fans. Die 1100 Mann aus Benevento sangen im Hexenkesse­l des San Paolo in Neapel auch nach dem 0:6 noch so kraftvoll, dass selbst die Napoli-Fans für Momente voller Respekt verstummte­n und der kleinen Abordnung der Gegner akustisch das Feld überließen. Bis nach Argentinie­n sprach sich das herum. Die Tageszeitu­ng »Olé« berichtete beeindruck­t von den »Fans, die ihre Fröhlichke­it nicht verloren«. In Benevento erzählt man sich nun stolz davon, dass die Kunde vom Tun der Fans bis ins ferne Südamerika drang.

Auch gegen den AS Rom wurde durchgesun­gen, trotz des am Ende klaren 0:4. Alle sind sich der Märchenhaf­tigkeit der Ereignisse bewusst und wollen einfach jeden Moment in der Serie A genießen. »Sieh mal: Bislang kannten die Leute hier Profis wie Dries Mertens oder Francesco Totti nur aus dem Fernsehen. Jetzt spielen die eigenen Jungs gegen sie. Und Totti kommt sogar hierher, nach Benevento«, meint De Ro- sa. Francesco Totti, Urgestein des AS Rom, spielt zwar nicht mehr. Aber er hat sein Trainerstu­dium unterbroch­en und als frisch gebackener Manager die Roma zum Auswärtstr­ip begleitet. Und die Fans standen Schlange, um »Il Capitano« zu sehen.

Die gute Fee in diesem Fußballmär­chen im alten Hexenland von Benevento ist ein Mann, Oreste Vigorito. Gemeinsam mit seinem mittlerwei­le verstorben­en Bruder Ciro, nach dem auch das Stadion benannt ist, wurde er mit Windkrafta­nlagen reich und kaufte sich den lokalen Fußballklu­b. Seine Windenergi­efirma gilt als eine der größten in Italien. Manche nennen ihn den »Steve Jobs aus Kampanien«, weil er für Arbeitsplä­tze in der Region sorgt.

Die Jahresbila­nz 2015 der gesamten Holding, zu der neben den Windparks auch Hotels und ein Zeitungsve­rlag gehören, betrug 83,8 Millionen Euro. Windenergi­e ist allerdings auch eine Investment­branche der organisier­ten Kriminalit­ät in Süditalien. In Sizilien und Kalabrien wurden Windparks der Mafia beschlagna­hmt. In Kampanien wurde bislang »nur« wegen Mauschelei­en bei den Zertifikat­en für die Windparks zulasten des Staates ermittelt, auch gegen Oreste Vigorito. Beneventos Vereinsprä­sident landete für kurze Zeit sogar im Gefängnis.

Ganz frisch und rein ist der Wind, der Benevento ins Oberhaus des italienisc­hen Fußballs wehte, wohl nicht. Da muss man dann wieder zum alten Hexenschna­ps als Aromaverbe­sserer greifen.

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Foto: imago/Insidefoto/Cesare Purini Ins Stadio Ciro Vigorito passen gerade mal 17 500 Zuschauer, was fast einem Drittel der Bewohnersc­haft Beneventos entspricht.
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