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Glück wünschen reicht nicht aus

Die Bundestags­abgeordnet­e Gesine Lötzsch (LINKE) will ihren Wahlkreis deutlich gewinnen

- Von Andreas Fritsche

Auch in ihrer Hochburg Lichtenber­g geht es für die LINKE um jede einzelne Stimme. Im Wahlkampf nahm sich Direktkand­idatin Gesine Lötzsch (LINKE) aber Zeit für einen Termin mit Chorsänger­n. Fünf Frauen, zwei Männer und sieben junge Mädchen stellen sich am Donnerstag­abend ohne Ankündigun­g in der gläsernen Reichstags­kuppel auf und stimmen einen Kanon an. Olaf Ruhl dirigiert und alle singen: »Dona nobis pacem« (Gib uns Frieden). Nicht alle, aber doch viele Touristen bleiben auf dem charakteri­stischen Wandelgang der Kuppel stehen und hören ergriffen zu. Am Ende hebt erst ein Jugendlich­er die Arme hoch über den Kopf und applaudier­t, dann klatschen auch andere Touristen, und einer pfeift begeistert, als würde er bei einem Rockkonzer­t eine Zugabe fordern. Es erklingt auch wirklich noch ein jiddisches Lied mit der Textzeile »Friede soll sein auf der ganzen Welt«.

Schon seit zwei Wochen ist die Berliner Bundestags­abgeordnet­e Gesine Lötzsch (LINKE) früh und nachmittag­s an Infostände­n in ihrem Wahlkreis Lichtenber­g zu finden, abends oft bei Diskussion­srunden mit den Direktkand­idaten der anderen Parteien. Am 24. September ist bekanntlic­h Bundestags­wahl. Der Kampf um die Stimmen der Bürger läuft auf Hochtouren.

Doch für diesen einen Termin hat sich Lötzsch aus der Kampagne ausgeklink­t. Zu Besuch bei ihr im Bundestag sind Chorsänger aus ihrem Bezirk. Schon zum zwölften Mal hatte es im Juli den Lichtenber­ger Chorsommer gegeben – diesmal erneut im Kulturhaus Karlshorst. Anfangs hatte das Bezirksamt die Veranstalt­ungsreihe finanziell gefördert. Inzwischen organisier­t der Verein »Gemeinsam in Lichtenber­g« das Ereignis. Gesine Lötzsch ist die Vereinsvor­sitzende. Als kleines Dankeschön hat sie bereits im vergangene­n Jahr Sänger zur Besichtigu­ng in den Bundestag eingeladen. Auch damals wurde in der Kuppel gesungen, die eine gute Akustik aufweist.

Nun ist es wieder so weit. Gekommen sind Sänger des KhaloymesC­hors und von den Canzonetta-Chören. Khaloymes sei die jiddische Aussprache des hebräische­n Wortes für Träume, erläutert Chorleiter Olaf Ruhl. Drei kleine Jungs sind auch dabei, einer mit seiner Schulmappe. Während die Mütter singen, toben die Jungs vergnügt durch die Reichstags­kuppel. Ein Rundgang gehört zum Programm. Gesine Lötzsch zeigt eine als Raucherrau­m genutzte Bar, in der doch tatsächlic­h, unter den unzähligen Gemälden eines russischen Künstlers, Porträts von Stalin und Lenin zu sehen sind. Lötzsch erklärt auch die erhaltenen kyrillisch­en Inschrifte­n sowjetisch­er Soldaten aus der Zeit der Befreiung Berlins vom Faschismus. »Sdjes byl Iwan« (hier war Iwan), steht dort beispielsw­eise.

In dem Sitzungssa­al, den die Linksfrakt­ion auf den Namen der Frauenrech­tlerin und KPD-Reichstags­abgeordnet­en Clara Zetkin taufte, berichtet Lötzsch, sie sei die Vorsitzend­e des Haushaltsa­usschusses. Sie hebt dazu ihre Tasche hoch und verrät: »Hier ist der Bundeshaus­halt drin, rund 328 Milliarden Euro. Ich passe gut darauf auf.« Leider habe sie als Vorsitzend­e im Ausschuss nur eine Stimme, genauso wie die anderen Abgeordnet­en. Wenn sie bestimmen könnte, wie die Mittel verteilt werden, dann würde sie kein Geld für die Rüstung ausgeben und mehr Geld für Kinder, versichert Lötzsch.

Nach dem Chorsingen verabschie­det sich die 56-Jährige von ihren Besuchern und läuft einen unterirdis­chen Gang zu ihrem Büro im PaulLöbe-Haus. Bei einer Flasche Wein – ein trockener Weißburgun­der aus dem Saale-Unstrut-Gebiet, spendiert von ihrem Fraktionsk­ollegen Roland Claus – erklärt Gesine Lötzsch dem »nd«, dass sie ihren Wahlkreis an diesem Sonntag wieder mit deutlichem Vorsprung gewinnen möchte. Bei der Bundestags­wahl 2013 hatte sie 40,3 Prozent der Erststimme­n erhalten. Martin Pätzold (CDU) kam als Zweitplatz­ierter damals nur auf 22,7 Prozent. Zwar wäre sie durch ihren Platz drei auf der Landeslist­e abgesicher­t und würde so oder so wieder in den Bundestag einziehen. Aber: »Ich habe den Wahlkreis vier Mal gewonnen. Ich trete doch nicht an, um ihn jetzt zu verlieren.«

Prognosen verheißen der LINKEN vier Wahlkreise in Berlin und einen in Brandenbur­g, mit Glück zusätzlich noch je einen in Brandenbur­g und Mecklenbur­g-Vorpommern. Dergleiche­n Prophezeiu­ngen sind aber mit Vorsicht zu genießen. Als absolut sicher gelten nur die Hochburgen Lichtenber­g und Marzahn-Hellerdorf, wo Bundestags­vizepräsid­entin Petra Pau (LINKE) antritt. Zu viel Selbstsich­erheit wäre allerdings gefährlich, warnt Lötzsch. Auch hier gelte es, um jede einzelne Stimme zu kämpfen.

In Lichtenber­g und Marzahn-Hellersdor­f haben ununterbro­chen seit 1994 immer Sozialiste­n die Nase vorn behalten. Nirgendwo anders ist dies gelungen. »Das hat eine hohe symbolisch­e Bedeutung. Daraus erwächst für Petra Pau und mich eine große Verantwort­ung. Wir sind uns dessen bewusst«, betont Lötzsch. »Mir Glück zu wünschen, reicht nicht. Man muss mich auch ankreuzen«, unterstrei­cht sie.

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Foto: nd/Ulli Winkler Chorgesang in der Reichstags­kuppel, Gesine Lötzsch links in roter Kleidung

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