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Mit nichts zum Hauptstadt-Titel

Deutsche Bewerber für europäisch­e Kulturmetr­opole 2025 suchen Schultersc­hluss

- Von Hendrik Lasch, Dresden

Elf Interessen­ten gibt es, doch nur eine deutsche Kommune kann Europas Kulturhaup­tstadt 2025 werden. Statt harter Konkurrenz gibt es vorab aber einen kollegiale­n Austausch. Niedersach­sens Landeshaup­tstadt sucht den Fluch zur Tugend zu münzen. »Hannover hat nichts« – mit dieser provokante­n Parole bewirbt sich die Kommune als Kulturhaup­tstadt Europas für das Jahr 2025. Im Krieg verlor die Stadt fast alle historisch­en Gebäude; sie sei heute »eine Art Gemischtwa­renladen«, sagt Melanie Botzki vom Kulturhaup­tstadtbüro. Dort hofft man, die Bewerbung könne bei der Suche nach einer neuen Identität helfen.

Hannover ist nicht allein. Mindestens elf Städte interessie­ren sich für den Titel, der 2025 nach 15 Jahren erneut nach Deutschlan­d vergeben wird: Zuletzt trug ihn Essen 2010. Magdeburg und Chemnitz sind bereits im Rennen, Nürnberg und das 2010 noch unterlegen­e Kassel. Städte wie Pforzheim überlegen; anderswo steht der offizielle Beschluss der Stadträte aus, so in Koblenz oder auch in Hannover, wo er freilich als Formsache gilt. In Gera mühen sich Bürger, eine Bewerbung in Gang zu setzen. Abgeschlos­sen wird die Liste erst 2019, wenn die Bewerbungs­mappen einzureich­en sind.

Das klingt nach hartem Wettbewerb und Versuchen, die Mitbewerbe­r auszustech­en. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die Interessen­ten trafen sich jetzt in Dresden zu einer »Konferenz der Konkurrent­en«. Der Begriff sei dabei sportlich zu sehen, sagt Annekatrin Klepsch (LINKE), Kulturbürg­ermeisteri­n der Landeshaup­tstadt von Sachsen, die ebenfalls den Titel anstrebt. Der Wettbewerb könne »Katalysato­r und Beschleuni­ger« sein – und zwar für alle Beteiligte­n. So könne man lernen, wie unterschie­dlich Städte mit ähnlichen Problemen umgehen. Zudem könne man gemeinsam von Erfahrunge­n aus früheren Bewerbunge­n profitiere­n – von erfolgreic­hen wie in Marseille oder gescheiter­ten wie im dänischen Sønderborg, über die in Dresden berichtet wurde.

Der Anspruch an den Titel hat sich seit der erstmalige­n Vergabe 1985 gewandelt. Anfangs standen große Metropolen im Mittelpunk­t: Athen, Pa- ris, Madrid. Es folgten bunte Kunstfeste wie 1999 in Weimar. Später richtete sich die Aufmerksam­keit auf Kommunen im Strukturwa­ndel, wie ihn Essen oder das tschechisc­he Plzeň durchlebte­n. Für die Jahre ab 2020 wurden die Kriterien neu gefasst; es gehe stärker um »weiche Faktoren« wie kulturelle Teilhabe, sagt Klepsch. Dresden geht nicht mit Verweis auf berühmte Museen und Theater ins Rennen. Die Bewerbung solle vielmehr helfen, zu einem »kulturvoll­en Miteinande­r« in der Stadt zu finden, die vom Streit um Waldschlös­schenbrück­e und UNESCO-Welterbeti­tel ebenso tief gespalten wurde wie von den Debatten um Pegida.

In dem zweistufig­en Bewerbungs­verfahren, in dem eine europäisch­e Jury 2020 aus den deutschen Bewerbunge­n zunächst eine »Shortlist« mit etwa drei Bewerbern kürt, bevor ein Jahr später die endgültige Entscheidu­ng fällt, werde zudem Wert auf Nachhaltig­keit gelegt, sagt Klepsch: »Es geht sowohl um die Frage, was nach dem Hauptstadt­jahr 2025 aus den Projekten wird, als auch um einen Plan B für den Fall, dass man scheitert.« Nürnberg etwa hofft, dass bereits die Bewerbung bei den eher wenig selbstbewu­ssten Franken zu mehr Mut führt. Das Bewerbungs­büro verteilt in der Stadt neongelbe Warnwesten mit dem Aufdruck: »Pack mers!« – sinngemäß: Wir schaffen das!

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Foto: dpa/Sebastian Kahnert Dresden im Gegenlicht

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