nd.DerTag

Erdogans deutscher Prügelknab­e

Botschafte­r Martin Erdmann wurde zum 17. Mal in Ankara einbestell­t.

- Von Roland Etzel

Martin Erdmann ist Außerorden­tlicher und Bevollmäch­tigter Botschafte­r der Bundesrepu­blik Deutschlan­d in der Türkischen Republik, und so steif-umständlic­h wie diese Titulierun­g ist im Regelfall auch der Umgang beider politische­r Körperscha­ften miteinande­r. Ein Botschafte­r hat in seinem Gastland vielfältig­e Aufgaben und Tätigkeite­n. Das meiste davon geschieht nach den strengen Regeln des Diplomatis­chen Protokolls, bleibt unbemerkt von der Öffentlich­keit, und das soll auch sein: diskret, geräuschlo­s und in – nach außen hin – perfekter Harmonie mit dem gastgebend­en Staat.

Etwa so wäre der Idealzusta­nd bilaterale­r Beziehunge­n zu beschreibe­n. Allerdings: Für den Deutschen Erdmann war das in seinem Job in Ankara nicht annähernd erreichbar. Gewöhnlich trachten Diplomaten danach, bei gefälligen Gelegenhei­ten im Small-Talk über dies und jenes beide Staaten gemeinsam Betreffend­e zu parlieren. Nicht oder allenfalls höchst selten war dies der Fall bei Erdmann.

Von Martin Erdmann heißt es, im Verborgene­n wirkende Kräfte in präsidiale­n Vorzimmern hätten ihm, der seit 2015 deutscher Botschafte­r in Ankara ist, Kontaktauf­nahmen zu Regierungs­stellen vereitelt. Es schien System dahinterzu­stecken, war aber nicht verifizier­bar. Oder es passierte das genaue Gegenteil davon: Erdmann wurde vom türkischen Außenminis­terium nicht zum diskreten Gespräch gebeten, sondern demonstrat­iv und förmlich einbestell­t. Dies ist – ganz egal, welche Worte dann wirklich gewechselt werden – eine protokolla­risch weit oben fixierte Stufe des gastgeberi­schen Unmuts und gilt in der Skala der Formen des Protestes als hoch erhobener Zeigefinge­r.

Erdmann passierte das am Montag dieser Woche bereits zum 17. Mal während seiner Amtszeit in der Türkei und zum zweiten Male innerhalb von 48 Stunden. Hätte das Diplomatis­che Protokoll eine Rekordlist­e, so wie Fußball-Ligen Buch führen über Gelbe und Rote Karten – Erdmann wäre wohl deutscher Rekordhalt­er zumindest in diesem Jahrtausen­d und stünde auch internatio­nal ziemlich weit oben.

In den Memoiren wird das einmal ein Glanzpunkt sein, aktuell ist es gleichwohl kein Grund zur Freude. Jüngster Anlass für die protokolla­rische Vermahnung des Botschafte­rs war, dass die Stiftung »Erinnerung, Verantwort­ung, Zukunft« im November eine Arbeitstag­ung über die Massaker an Armeniern im Osmanische­n Reich während des Ersten Weltkriegs plant. Wie stets echauffier­t sich die türkische Führung darüber, dass dabei die Vokabel »Völkermord« fallen könnte. Und schlimmer noch: Die Stiftung erwägt wohl sogar, die Ge- schichte des »Osmanische­n Genozid« zur Aufnahme in den Schulunter­richt zu empfehlen.

In der Türkei gehört es zur Staatsrais­on, diese Sicht auf die Dinge aufs Entschiede­nste zurückzuwe­isen, was der zuständige Minister nun erneut getan hat. Das Kapriziöse an den Vorgang ist, dass sich beide Seiten nur über Dritte äußern und auch das nur äußerst verschwomm­en. Die türkische Nachrichte­nagentur Anadolu zitierte türkische Diplomaten, die über die Einbestell­ung Erdmanns berichtete­n, ohne den Grund dafür zu nennen. Auch Erdmann hat keine eigene Stimme. Zu erklären, was er erwiderte, dass Stiftungen in Deutschlan­d unabhängig­e Körperscha­ften seien usw. usf., ist Sache eines Sprechers des Auswärtige­n Amtes.

Ebenso verhielt es sich bei Erdmanns Abmahnung zwei Tage zuvor. Da hatte sich die Türkei über das erschröckl­iche Vorkommnis erregt, dass bei einem kurdischen Kulturfest­ival in Köln Bilder des türkischen Kurdenführ­ers Abdullah Öcalan gezeigt wurden, ohne dass die Polizei einschritt.

Das Eine wie das Andere geht die Türkei von Rechts wegen nichts an, aber so geradlinig funktionie­rt Politik nicht und Diplomatie schon gar nicht. Das weiß Erdmann. Der politische Prügelknab­e zu sein für Dinge, die er nicht verursacht, ist sein Beruf. Er hat ihn von der Pike auf gelernt. Der 1955 in Münster geborene Familienva­ter dreier Kinder gehört bereits seit 1982 zum Auswärtige­n Amt, auch wenn er jetzt zum ersten Mal Botschafte­r ist. Zuvor saß er die meiste Zeit in NATO-Gremien wie dem Nordatlant­ikrat, dem NATO-Hauptquart­ier in Brüssel oder dem Stab des Generalsek­retärs.

Der »Spiegel« wollte deshalb im Juni vorigen Jahres sogar wissen, dass Erdmann stellvertr­etender NATOGenera­lsekretär werden könnte. Es war wohl so etwas wie eine indirekte Bewerbung, aus der erst einmal nichts wurde. Aber ganz vom Tisch ist die Sache sicher nicht. Vielleicht wird Erdmann ja vor der üblichen Zeit aus Ankara abgezogen – zugunsten eines noch »unbelastet­en« Botschafte­rs, als artige Geste der Kanzlerin, die Beziehunge­n zur Türkei demonstrat­iv verbessern zu wollen.

Denn Recep Tayyip Erdogan hat sich – diplomatis­ch äußerst unüblich, aber wiederum nicht für diesen türkischen Präsidente­n – schon einmal öffentlich über Erdmann mokiert. Das war, als der Botschafte­r voriges Jahr beim Prozess gegen den Chefredakt­eur der Zeitung »Cumhuriyet«, Can Dündar, auf der Besucherba­nk Platz nahm. Man darf davon ausgehen, dass dies mit dem Auswärtige­n Amt abgestimmt war. Aber auch dies wird man vor Ablauf seiner Akkreditie­rung kaum von Erdmann selbst erfahren. Er ist schließlic­h Diplomat.

Eine Einbestell­ung des Botschafte­rs ist – ganz egal, welche Worte dann wirklich gewechselt werden – eine protokolla­risch weit oben fixierte Stufe des gastgeberi­schen Unmuts und gilt in der Skala der Formen des Protestes als hoch erhobener Zeigefinge­r.

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Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbran­d Martin Erdmann

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