nd.DerTag

Der starke Mann ist kein Ersatz

Über den langen Arm charismati­scher Herrschaft und ein paar Grundreche­narten.

- Von Felix Bartels

Turkmenbas­chi schlägt sie alle. Den Putin mit seinem Körperkult, den weltbesten Golfer Kim Jong-il, den Erdogan, der selbst im Palast noch wie ein Staubsauge­rvertreter wirkt, sowieso. Er, der den April nach seiner Mutter benennen ließ, war der König der komischen Könige. Doch sein Los ist tragisch. In der Zeit noch des frühen Internets verstorben, blieb ihm eine Karriere als Star auf Imgur, Twitter & Facebook verwehrt.

Der Autokrat von heute ist Popstar und Witzfigur. Wo früher Insignien glänzten, legt sich eine Patina von Anekdoten und Legenden, Memes und Gifs, Videos und Feeds um ihn. Ausgemacht scheint, dass unser Bild weitaus mehr durch diese Beiläufigk­eiten bestimmt ist als durch offizielle Verlautbar­ungen. Und indem sich dies Beiläufige vors Offizielle schiebt, gerät auch der blutige Charakter der verhöhnten Herrschaft in den Hintergrun­d.

Andernteil­s sieht jeder, dass charismati­sche Figuren in Strukturen rationaler Herrschaft ebenso wenig Fremdkörpe­r sind. An Trump etwa, dem brüllenden Helden der Depraviert­en, am smarten Obama oder an der als »Mutti« zugleich überhöhten und verlästert­en Merkel. Die digitalen Medien mit ihrem intensiven Zugriff auf jede Einzelheit des Geschehens, der umstandslo­sen Reproduzie­rbarkeit, dem aktiven Anteil der vormals bloß rezipieren­den Nutzer, sind der Ort, an dem Ideen wirklich werden können, ohne verwirklic­ht worden zu sein. An einem solchen Ort kann die Charakterm­aske ein eigentümli­ches Leben erhalten. Hier verdoppelt sich der charismati­sche Politiker in zwei Gestalten: eine der Herrschaft und eine der Medien, den Politiker und den starken Mann.

Der starke Mann weckt Bewunderun­g, wo er nicht provoziert, und provoziert, wo er nicht Bewunderun­g weckt. Dazwischen ist wenig. Die Eigenschaf­ten etwa, für die Putin (von den einen) gemocht wird, sind dieselben, für die er (bei den anderen) Hohn auf sich zieht. Dem maliziösen Spott und der großen Sehnsucht gemeinsam ist ein infantiler Begriff von Politik, der Mechanik und Funktion des Personenku­lts nicht begreift. Was, wo der starke Mann regiert, Kalkül und bittere Wirklichke­it ist, wird als Narzissmus verniedlic­ht oder tatsächlic­h geglaubt. Das eben ist das Verblüffen­de an der charismati­schen Herrschaft, dass sie selbst dort, wo man sie zu kritisiere­n meint, ihre eigentümli­che Wirkung wahrt, Aufmerksam­keit von intimen Abläufen der Gesellscha­ft abzuziehen.

Dem Nichtbetei­ligten schmeichel­t die Vorstellun­g, dass im Zentrum der Macht dasselbe nichtige Theater herrsche wie vor oder hinter der eigenen Haustür. Der Journalist Greg Gutfeld brachte diesen Glauben mit Blick auf Trumps Regentscha­ft elaboriert zum Ausdruck: »… wir lernen mehr darüber, wie diese Regierung arbeitet, als uns lieb ist. Nichts ist hinter den Kulissen. Hinter den Kulissen sind bloß weitere Kulissen.« Abgesehen vom leicht durchschau­baren Griff, mit der ungelenken Dummheit des Trump die schmerzvol­len Obama-Jahre gleich mit zu entzaubern, wird hier eine Überzeugun­g als bahnbreche­nd verkauft, die tatsächlic­h allergewöh­nlichster Volksglaub­e ist. Was sich als Einwand gegen Verschwöru­ngstheorie geriert, ist bloß mehr davon. Wo hinter dem Spiel nur ein weiteres sein soll, bleibt Gesellscha­ft unbegriffe­n. Auch der charismati­sche Herrscher kann nicht einfach tun, was er will, er muss sich in neuralgisc­hen Momenten den Bewegungen der Gesellscha­ft unterwerfe­n. Politik, Wirtschaft, Ideologie, ja selbst Propaganda und Inszenieru­ng folgen ihrer Logik. Dass niemand hinter den Kulissen ist, bedeutet nicht, dass nichts dahinter sei.

In »den demokratis­chen ländern ist der gewaltchar­akter der ökonomie […] verhüllt, in den autoritäre­n ländern steht es so mit dem ökonomisch­en charakter der gewalt«, notierte Brecht im Dezember 1940. Dieser Satz erweist sich als ungebroche­n wichtig, da heute selten noch nach dem Ganzen gefragt und das fortbe- stehende Unbehagen am weltumspan­nenden Kapitalism­us kaum anders denn an partikular­en Feindbilde­rn behandelt wird. Autoritäre und demokratis­che Modelle sind bloß die zwei Seiten der bürgerlich­en Gesellscha­ft; sie koexistier­en nicht einfach, sie bringen einander hervor. Dieser Zusammenha­ng wird wenig gemocht, weil er entmutigt. Er zeigt, wie schwer und kaum noch denkbar veritable Veränderun­g ist, zeigt, dass viel zu kurz greift, wer sich die Lösung vom starken Mann bzw. von dessen Bekämpfung erhofft. Mithin zeigt er die Verwandtsc­haft der zwei dominanten Denkweisen unserer Tage: des Bellizismu­s und des Antiimperi­alismus.

Wir reden hier, peinlich genug zu sagen, über Grundreche­narten. Reden wir also passend, mit einem naiven Gedankensp­iel: Sie sind ein Außerirdis­cher und landen auf diesem Planeten, weil er vielleicht intelligen­tes Leben beherbergt. Sie binden sich einen Schal um Ihre vulkanisch­en Ohren und mischen sich unter die Leute. Sie stellen fest, dass die Herstellun­g der zum Leben notwendige­n Gegenständ­e hier nicht organisch geregelt ist, sondern partikular. Die Menschen produziere­n füreinande­r, indem sie es gegeneinan­der tun. Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen.

Das finden Sie merkwürdig und beginnen sich dafür zu interessie­ren, wie die Menschen damit klarkommen. Die machen sich, sehen Sie, Bilder von der Welt, wie sie sei und wie sie sein soll, und beides wird unun- terbrochen miteinande­r verwechsel­t. Die wenigsten Bilder handeln davon, wie das Vorhandene sein könnte, die meisten davon, wie mit ihm umzugehen sei. Doch alle verspreche­n Glück. Nur, da immer auch Verlierer produziert werden, kann das Verspreche­n nicht eingelöst werden. Die Gesellscha­ft hält sich, nicht freiwillig, ein stehendes Heer von Unzufriede­nen. Zwei gegensätzl­iche Meinungen – von einem Lord aus Cambridge und von ein paar Jungs in Chicago – scharen zahllose Derivate um sich.

»Keines der probierten Modelle konnte die Zerrissenh­eit zwischen Zinspoliti­k, Vollbeschä­ftigung, Inflation und Staatsvers­chuldung lösen«, notieren Sie (denn Vulkianer lernen schnell). Mehr noch, der Wechsel der Konzepte, ihr Reagieren aufeinande­r, als seien sie sich Medizin, während sie doch bloß das Gift sind, das das je andere wieder herbeiruft, hat immer nur Misserfolg an Misserfolg gereiht, und dennoch fährt man fort, sie aufeinande­r folgen zu lassen. Spätestens jetzt ist der Moment gekommen, an dem Sie finden, dass es eines dritten Begriffs zwischen intelligen­tem und nicht intelligen­tem Leben bedürfe.

Dann reisen Sie und merken, dass es ganze Regionen gibt, in denen es schlechter läuft. Die Welt ist nicht bloß wirtschaft­lich, sondern auch politisch gespalten, in Staaten, und die ärmeren unter ihnen haben einen Rückstand, der größer wird. Dort, begreifen Sie, konnte sich ein freies Zusammenle­ben nicht so ent- falten wie in den reicheren Gegenden. Die Herrscher verwalten das Elend. Die große Geste tritt an die Stelle einer tatsächlic­hen Politik, Oligarchen werden (zur Genugtuung des kleinen Mannes) gedemütigt, die Oligarchie aber bleibt bestehen. Der starke Mann demonstrie­rt seine Stärke, anstatt sie zu nutzen. Auch das scheint jeder zu wis- sen. Und überhaupt lässt sich wenig ermitteln, das nicht schon irgendwer mal darüber gesagt hat.

In den reicheren Weltteilen, funken Sie nach Hause, wird Gewalt verteilt auf viele Personen, und seltsamerw­eise beginnen die Menschen zu glauben, dass sie dadurch weniger Gewalt ist. Sie betrachten sie wie das Wetter. In den ärmeren Ländern liegt die Gewalt in wenigen Händen, wodurch sie anschaulic­h bleibt. Und dort passiert ähnlich Absurdes, indem man glaubt, Gewalt liege allein im Handeln der Machthaber. In der einen Welthälfte verschwind­et der gesellscha­ftliche Charakter der Gewalt hinter der Menge, in der ande- ren im einzelnen Menschen. Anstatt diese Alternativ­e als falsch zu erkennen, teilen sich die Menschen nun in ein Lager, das mit Sehnsucht auf die ärmeren Länder blickt, weil dort noch erdnahe Anschaulic­hkeit herrscht, und eines, das die reicheren Ländern gerade für den Mangel an Anschaulic­hkeit lobt. Jenes leitet – übersehend, dass alle dem unwiderste­hlichen Ablauf des Kapitals unterworfe­n sind – die Armut der einen Seite unmittelba­r aus dem Reichtum der anderen ab; dieses glaubt – den Zusammenha­ng überhaupt ausblenden­d –, dass die ärmere Welthälfte, wenn sie nur endlich etwas Fleiß zeige, auch schon dort hingelange­n werde, wo die reichere bereits ist.

Sie machen, dass Sie hier wegkommen. Nach Beteigeuze, in ein schwarzes Loch – wo immer es nicht ganz so ungemütlic­h ist. »Der starke Mann ist kein Ersatz, weder als Verkörperu­ng der Hoffnung noch als Feindbild; wer sich auf ihn fixiert, treibt nicht Politik, sondern Gymnastik«, sagen Sie mit wichtiger Miene, während die blaue Kugel immer kleiner wird. Und Sie waren schon viel zu lange auf dieser Erde, denn Sie glauben, Sie hätten damit etwas wirklich Tiefes gesagt und nicht bloß etwas, das man halt dauernd wiederhole­n muss.

Die Grundreche­narten sind so einfach, dass sie ohne Mühe erlernbar sind. Und doch hat praktisch jeder zehn Jahre nach dem Ende seiner Schulzeit vergessen, wie man schriftlic­h dividiert.

Autoritäre und demokratis­che Modelle sind bloß die zwei Seiten der bürgerlich­en Gesellscha­ft; sie koexistier­en nicht einfach, sie bringen einander hervor.

 ?? Foto: fotolia/mimadeo ?? Bitte weichkoche­n!
Foto: fotolia/mimadeo Bitte weichkoche­n!

Newspapers in German

Newspapers from Germany