nd.DerTag

Von Loki und Smoky und den anderen

Wie die Familien der Kanzler Politik mitbestimm­ten – oder eben auch nicht.

- Von Karlen Vesper Jochen Arntz/ Holger Schmale: Die Kanzler und ihre Familien. Wie das Privatlebe­n die deutsche Politik prägt. Dumont. 272 S., geb., 22 €.

Es war eine Begegnung der besonderen Art. Er bedankte sich brav bei mir, blickte indes etwas irritiert, da sein Mitarbeite­r ihm nicht flüsterte, wer ich bin. Und ich ihm auch nicht. Ich verdiente den Dank nicht. Habe ihn nicht gewählt. Auch nicht für ihn geträllert, geklampft, getanzt. War eigentlich nicht geladen, sondern von der Redaktion losgejagt worden. Weil niemand die dpa-Vorschau genau gelesen hatte. Nicht für Text-, sondern nur für Fotojourna­listen war das Treffen im einstigen DDR-Staatsrats­gebäude zwischen Gerhard Schröder, dem frisch gekürten Kanzler, und ostdeutsch­en Künstlern, die seinen Wahlkampf unterstütz­t hatten, anberaumt. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob Doris Schröder-Köpf dabei war, die vierte Lebensabsc­hnittsgefä­hrtin des siebten bundesdeut­schen Regierungs­chefs. Man schrieb 1998.

Zweifellos bestimmt das Privatlebe­n der Politiker auch ihre Politik. Die Binsenweis­heit »Das Private ist politisch« en detail zu untersuche­n, haben sich Jochen Arntz, Chefredakt­eur der »Berliner Zeitung«, und sein Zunftkolle­ge Holger Schmale vorgenomme­n. Sie haben manch unbekannte oder auch vergessene Begebenhei­t ausgebudde­lt und unterhalts­am zu einem Buch geschnürt.

Es dürfte niemanden überrasche­n, dass der katholisch­e Rheinlände­r Konrad Adenauer, Vater von acht Kindern, ein Patriarch war. Bereits bei seiner Wahl zum ersten Kanzler der Bundesrepu­blik Deutschlan­d 1949 verwitwet, übernahm die jüngste Tochter Libet oft die protokolla­rischen Pflichten einer Kanzlergat­tin. Sein 1964, im geburtenst­ärksten Jahr in Nachkriegs­deutschlan­d, ins Amt gelangter Nachfolger Ludwig Erhard hatte nur eine Tochter. Die Frau an seiner Seite, Luise, war studierte Volkswirti­n, hatte nichts gemein mit der ihr vom Boulevard zugeschrie­benen Kinder-Küche-Kirche-Devise, Loki und Helmut Schmidt im Urlaub auf der spanischen Insel Gran Canaria, 1981

drängelte sich aber nicht ins Rampenlich­t, während die Frau des Altnazis Kurt Georg Kiesinger nach eigenem Bekunden »almodisch« war.

Frischer Wind zog ins Kanzleramt mit Willy Brandt, der mit Rut drei Söhne (Peter, Matthias, Lars) und aus erster Ehe im norwegisch­en Exil Tochter Ninja hatte, aber ein schwierige­r Familienme­nsch war, viele Verehrerin­nen kannte. Mit den Brandts zog das erste politische Powerpaar in den Bonner Kanzlerbun­galow am Kiefernweg Nr. 12 ein. Für Rut, gebürtige Norwegerin, »ein Arbeitermä­dchen aus Hamar«, wie sie sich selbst vorstellte, war es eine tiefe Befriedigu­ng, als ihr ebenso im Arbeitermi­lieu auf-

gewachsene­r und von den Nazis aus seiner Heimat vertrieben­er Willy Kanzler wurde. Zumal er zuvor eine beispiello­se Hetzkampag­ne als – getreu NS-Jargon – »Vaterlands­verräter« hatte erleiden müssen. Bei der Wahl 1972 erzielte die SPD das beste Ergebnis aller Zeiten, Signal einer gewandelte­n Atmosphäre. Aber Rut selbst musste mitunter ihre rebelliere­nden, radikalen Söhne vor dem Gatten verteidige­n: »Willy, hast du deine eigene Jugend vergessen?«

In der Ära Brandt flammte die Debatte über die im Grundgeset­z formal garantiert­e, jedoch nicht existente Gleichbere­chtigung von Mann und Frau auf. Eine Reform des Ehe-

und Scheidungs­rechts wurde in die Wege geleitet, die jedoch weit hinter den Standards in der DDR zurückblie­b. Loki Schmidt setzte sich dann für klassische sozialdemo­kratische Ziele wie Zugang von Mädchen und Frauen zu Bildung und Ausbildung sowie gleicher Lohn für gleiche Arbeit ein. Mit ihrem Helmut lebte sie eine moderne Partnersch­aft vor. Und obwohl er nur acht Jahre Kanzler war, haben die beiden »die Deutschen und ihr Denken über Jahrzehnte beeinfluss­t und bewegt wie wohl kein anderes Paar«, schreiben Arntz/Schmale. Die Schmidts genossen Kultstatus. Legendär auch »Loki und Smoky« in den »Mitternach­tsspitzen« des WDR.

Seine politische Orientieru­ng verdankte Helmut Schmidt eigentlich Loki. Als der Sohn eines Lehrerehep­aar die von ihm angebetete Mitschüler­in in der winzigen Hamburger Hinterhaus­wohnung ihrer Familie besuchte, sei er erstmals mit Armut konfrontie­rt worden: »Ich war entsetzt und dachte, das ist ungerecht.« Solche Ungerechti­gkeit wollt er später überwinden. Später wird dem ehemaligen Wehrmachts­offizier Tochter Susanne dann aber auch ungenügend­e Auseinande­rsetzung mit der NS-Zeit vorwerfen.

Einen familiären Gegenentwu­rf zu den munteren, 65 Jahre einander aushaltend­en Schmidts lieferten die Kohls: Vater arbeitet, Mutter kümmert sich um Kinder und Haushalt. Dabei verfügte Hannelore Kohl nach Aussage der Söhn Walter und Peter über einen »guten Instinkt« und »war eine ganz wichtige Ratgeberin unseres Vaters«, dem das Ratsuchen indes zunehmend abhanden kam. So erhörte Helmut Kohl in der Spendenaff­äre nicht die Bitte seiner Frau, Namen offen zu legen. Höchst unverdient erntete Hannelore Kohl die Schmähung »Spendenhur­e«. Auch daran zerbrach sie.

Kohl betrieb eine konservati­ve Familienpo­litik; Kindererzi­ehung sollte der Rente angerechne­t werden. Gerhard Schröders »nachhaltig­e Familienpo­litik« wollte die Frauenerwe­rbstätigke­it fördern, diente aber eher der Armutsbekä­mpfung als der Selbstverw­irklichung des weiblichen Geschlecht­s. Obwohl er eine emanzipier­t Frau hatte, die im Berliner Kanzleramt gar ein eigenes Büro unterhielt. »Noch nie hat es eine so politische, eine so einflussre­iche Kanzlergat­tin gegeben.« Das Paar Schröder wird von Arntz/Schmale als »ein politische­s Team von bemerkensw­erter Profession­alität« charakteri­siert.

Ganz anders das Paar Angela Merkel und Joachim Sauer. Zu ihrer Inthronisa­tion erschien er nicht. Den Professor für Quantenche­mie hätten wichtige Arbeiten abgehalten, hieß es später. Wie auch immer, er soll immerhin ihre Redemanusk­ripte gegenlesen. Die Ruhe und Gelassenhe­it Angela Merkels auch in Zeiten größter Aufregung und Herausford­erung erklärt das Autorduo aus uckermärki­scher Herkunft sowie Prägungen in der DDR, in der Schweigen eine Überlebens­strategie gewesen sei, wie sie selbst einmal kundtat. Daher rühre auch ihr Pokerface. Nun ja ...

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Foto: dpa

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