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Tröten bei hoher Walbeteili­gung

Eric Davalala ruft im südafrikan­ischen Hermanus als »lebende Hupe« die Anwesenhei­t der Wale aus und gibt sein Wissen über die Tiere an Touristen weiter.

- Von Stefan Brünjes

Was für ein Traumarbei­tsplatz! Die Walker Bay ist eine dieser typisch südafrikan­ischen Sichelbuch­ten – weiträumig ausladend mit Endlosblic­k bis zum Horizont. Aber mal nicht gesäumt von weißem Strand, sondern von dunklen Felsplatte­n und bis 20 Meter hohen Klippen, überwucher­t von Fynbos, dichtem, artenreich­em Buschwerk, das nur in dieser Region gedeiht. Hindurch führt hier, vor dem Örtchen Hermanus, ein zwölf Kilometer langer, schmaler Wanderpfad – der Laufsteg des wohl weltweit einzigen Walrufers. Eric Davalala trägt braunen Lederhut, gebügelte Anzughose, blau-weiß kariertes Hemd und darüber ein Sandwich-Poster: Vorne wirbt er – geadelt von der UNESCO – mit der besten Walbeobach­tung vom Land aus, hinten drauf stehen alle Aussichtsp­unkte dafür – von Grotto Beach bis zum New Harbour. Sein wichtigste­s Arbeitsger­ät hat Eric im Mund – das Kelphorn, eine geschwunge­ne Tröte aus getrocknet­em Seetang.

Der 27-Jährige hat zuverlässi­g hohe Walbeteili­gung: Meist die 15 bis 20 Meter langen Südkapergl­attwale, aber auch Orcas, Buckelwale oder Delfine, allesamt so nah, dass man sie gut fotografie­ren kann. Sobald Eric die Giganten in der Bucht erspäht, trompetet er drauflos und zeigt herbeiströ­menden Gästen, wo einer der bis zu 80 in der Bucht kreuzenden Moby Dicks gerade Fontänen in die Höhe spritzt oder aus dem Wasser aufsteigt und zurück ins Meer plumpst. »Jährlich von Juni bis November sind die in der Antarktis beheimatet­en Wale zu Gast in der Walker Bay, um hier in wärmerem Wasser ihre Jungtiere zur Welt zu bringen«, erzählt Eric. Eine Gruppe USTouriste­n schnauft in Shorts und weißen Kniestrümp­fen den entscheide­nden Moment zu spät um die Ecke. Einer von ihnen fragt, ob man die Wale nicht in einem großen Meerespool halten könne, damit Besucher sie immer im Blick hätten. Ob der Mann mit dem Texas-Käppi diese Frage ernst meint? »Durchaus«, raunt Eric, als die Amerikaner sich trollen, »ich wurde auch schon gefragt, warum wir die Wale nicht anbinden.«

Doch den sonnengege­rbten Strahleman­n bringt das nicht um seine gute Laune – sie war schließlic­h ein Grund, weshalb er den Job bekam. Ein anderer: Eric kann gut und endlos reden. 250 Euro pro Monat plus Trinkgeld bekommt er dafür. Das zahlt fast jeder, der sich mit Eric fotografie­ren lässt und dabei auch lernt, wie das südafrikan­ische »Cheese« heißt, damit wirklich alle auf dem Bild breit lächeln: Einfach lang gezogen »Boerwors« sagen – »Buren-Wurst«.

Doch neben seinen Funktionen als Fotomodell und wandelnde Hupe hat Eric Davalala auch einen Bildungsau­ftrag. Möglichst viel von seinem Walwissen will er Gästen vermitteln und macht das meistens an den plakatgroß­en Schautafel­n am Wegesrand. Hier lernen wir etwa, dass die dunkelgrau­en Südkapergl­attwale sehr menschenfr­eundlich sind, weswegen sie bis 1970 fast ausgerotte­t wurden – von Walfängern, die die zutraulich­en Tiere allzu leicht abschlacht­en konnten.

Doch mitten im Vortrag unterbrich­t Eric, macht dicke Backen und bläst sein Kelphorn: »Da hinten ist eine Walmutter mit ihrem Jungen.« Er rennt los Richtung Ortskern, wir hinterher. Und wirklich: Die Südkaperma­ma liegt ruhig wie ein Mini-U-Boot im Wasser, um sie herum tobt ihr sechs bis acht Meter langer Nachwuchs, angetriebe­n von übermütig wedelnden, flatternde­n Flossen. Auch auf den Terrassen der Bars und Restaurant­s von Hermanus sitzen Gäste wie auf Tribünen mit einem Glas Wein in der Hand und schauen runter auf dieses Walspektak­el in der Bucht.

Ja, die Moby Dicks sind allgegenwä­rtig in diesem 120 Kilometer südöstlich von Kapstadt gelegen 33 000Seelen-Ort, der sich selbstbewu­sst »Welt-Walhauptst­adt« tauft: Walflossen zieren das Gemeindelo­go und Kassenbons, dienen als Parkbankrü­ckenlehnen und Brunnensch­muck. Nicht nur, aber auch, weil eine Handvoll Geschäftsl­eute Anfang der 1990er Jahre so eine Idee hatte.

Die Damen und Herren meinten nämlich, das etwas verschlafe­ne Hermanus brauche eine einzigarti­ge Attraktion. »Etwas mit Walen«, schlug Jim Wepener vor, »die haben wir doch exklusiv vor der Haustür.« »Ja, warum stoßen wir die Leute nicht mit der Nase drauf?«, meinte Brian Ancketil – »wir sollten keinen Stadtrufer haben wie andere Orte, sondern einen Walschreie­r!« Und wie dieser auf sich und die Meeresries­en aufmerksam machen sollte, dazu hatte der Ingenieur und Tüftler auch schon eine Idee: »Ein unverwechs­elbarer, dunkler Sound aus einem Kelphorn – damit haben die von See heimkehren­den Fischer hier früher signalisie­rt, dass der frische Fang im Hafen angelandet ist.« Brian begann, die angeschwem­mten Riesenalge­n zu sammeln, bog sie zu Kelphörner­n, solange sie noch feucht waren. Einmal in der Sonne getrocknet und ausgehärte­t, bemalte er sie und erfand so nicht nur das Markenzeic­hen des Walrufers, sondern eines der bis heute beliebtest­en Souvenirs von Hermanus, liebevoll »Kelperoo« genannt – in Anspielung ans Didgeridoo, das Musikinstr­ument der australisc­hen Ureinwohne­r.

Im Jahre 1992 ertönte erstmals die Tröte des Walrufers durch Hermanus. Pieter Claasen, damals Hafenanges­tellter, hatte den Job übernommen und musste sich in der ersten Zeit von Freunden und Verwandten dafür hänseln und kritisiere­n lassen, dass er mit einem riesigen Schild um den Hals »wie ein Narr« durch den Ort liefe. Doch die Kritik verstummte schon bald, als der Walrufer eine schöne Fernreise machen durfte, nämlich nach Großbritan­nien, wo er nicht nur Ehrengast eines alljährlic­hen Stadtausru­ferwettbew­erbs war, sondern diesen sogar mit seinem Kelphornso­und eröffnete. Eric Davalala ist bereits der fünfte Walrufer und zugleich der erste, der nur mit einem einzigen langen Kelperooto­n aus- kommt. Seine Vorgänger hatten sich ein spezielles Morsealpha­bet ausgedacht. Ein langer Ton, gefolgt von einem kurzen bedeutete: Wale vorm Neuen Hafen. Drei kurze Töne hieß: Wale vorm Roman Rock, dem östlichen Ausguck des Klippenweg­es. Diese Erklärunge­n standen auf dem Sandwichpl­akat des Walrufers, doch zeigten Hermanus-Besucher offenbar so erhebliche Vokabelsch­wächen, dass man auf diese zu komplizier­ten Signalcode­s verzichtet­e.

Mit ganz besonderen Wal-Verspreche­n lockt Hermanus jedes Jahr Ende September: Dann steigt das Walfestiva­l, und Besucher können nicht nur mit Eric vom Land aus die Meeresgiga­nten beobachten, sondern auch aus Booten und Hubschraub­ern. Mit ordentlich Rummel, Bierzelten, Würstchenb­uden und Livemusik auf Bühnen endet das Festival und zwei Monate später dann auch die Freiluftsa­ison des Walrufers. Von Dezember bis Mai verlässt er seinen Traumarbei­tsplatz an der Walker Bay und tauscht ihn mit seinem Büro in der Tourist-Informatio­n und Schulklass­enräumen, wo er Kindern alles über Wale erzählt. Und sollte doch mal ein Schüler einnicken, trötet er sehr laut ins Kelphorn.

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Foto: Stephan Brünjes Eric Davalala geht voll und ganz in seiner Rolle als Walrufer auf.

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