Am Ende gewinnt Merkel
Union im Minus / SPD historisch schlecht / AfD auf drittem Platz / LINKE einstellig
Bundestagswahl ist ein einfaches Spiel: Viele jagen dem Sieg hinterher, und am Ende gewinnt Angela Merkel. Als die englische Fußballlegende Gary Lineker das Originalzitat nach dem verlorenen Halbfinalspiel gegen die DFBElf zum besten gab (»Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach, und am Ende gewinnen die Deutschen.«), sprach aus ihm offenbar Verzweiflung ob der scheinbaren Aussichtslosigkeit des Unterfangens.
Eine Verzweiflung, die die Sozialdemokraten kannten und kennen. Gerhard Schröder 2005, Frank-Walter Steinmeier 2009, Peer Steinbrück 2013, Martin Schulz 2017. Merkel 4 : SPD 0.
Nach den ersten Hochrechnungen von infratest dimap für die ARD und der Forschungsgruppe Wahlen für das ZDF erreichte die Union 32,7 bis 33,3 Prozent (2013: 41,5), die SPD stürzte im Vergleich zu vor vier Jahren noch weiter ab und lag bei 20,2 bis 20,8 (25,7) und damit auf historisch schlechtem Niveau. Die AfD kam auf 13,2 bis 13,4 Prozent (4,7) und somit auf den dritten Platz. Die FDP kam auf 10,1 bis 10,5 (4,8), die LINKE auf 8,9 Prozent (8,6) und die Grünen auf 9,2 bis 9,4 Prozent (8,4). Rechnerisch ist damit außer einer erneuten großen Koalition nur ein JamaikaBündnis aus Union, Grünen und FDP möglich.
Unmittelbar nach Bekanntwerden des Ergebnisses kündigten mehrere führende Sozialdemokraten an, dass die SPD in die Opposition gehe werde. Generalsekretär Hubertus Heil sagte, man habe »keinen Regierungsauftrag« und wolle »Verantwortung in Opposition wahrnehmen«. So äußerte sich auch der bisherige Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann und Frank Schwabe vom linken SPD-Flügel. Er sagte, »die Staatsräson und die Parteiräson gebietet es dieses Mal die größte Oppositionspartei zu sein«.
Die Linkspartei verfehlte ihr Ziel, erneut drittstärkste Kraft zu werden, kommt aber laut der ersten Zahlen auf ihr bisher zweitbestes Ergebnis bei Bundestagswahlen. Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn sagte, die Linkspartei habe alles versucht, Wahlkampf gegen die AfD zu machen. Die sächsische Linkspolitikerin Jule Nagel sprach angesichts des Ergebnisses für die Rechtsradika- len von »Schockstarre«. Der Thüringer Landtagsabgeordnete Frank Kuschel fasste das Ergebnis in drei Stichpunkten zusammen: »Rechtsruck, Auferstehung des
Neoliberalismus, Stagnation bei der Linkspartei«.
Trotz thematisch rückwärtsgewandtem Wahlkampf ohne Zukunftsideen maßen die Wahlberechtigten diesem Urnengang in einer äußerst unruhigen Weltlage, angesichts der Polarisierung um den Einzug der Alternative für Deutschland und dem bis zum Schluss offenen Rennen um den dritten Platz offenbar große Bedeutung zu und sorgten in vielen Landesteilen für zum Teil deutlich höhere Wahlbeteiligungen. So meldeten etwa das bevölkerungsreichste Bundesland NordrheinWestfalen, Bayern, RheinlandPfalz, Sachsen-Anhalt und Sachsen bis zum frühen Nachmittag eine rege und höhere Beteiligung als 2013. Auch vor allem in den großen Städten zeichnete sich bundesweit eine ähnliche Entwicklung ab.
In Berlin, wo die Wahlberechtigten auch über den Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafen Tegels abstimmen konnten, war das Niveau etwa so hoch wie vor vier Jahren mit Tendenz zu einer höheren Beteiligung, ebenso wie etwa in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen. Bundesweit war die Beteiligung laut Bundeswahlleiter bis 14 Uhr mit 41,1 Prozent fast identisch wie 2013 mit 41,4 Prozent.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier – 2009 selbst Merkel unterlegen – hatte am Sonntag noch via »Bild« zur Stimmabgabe aufgerufen: »Wahlrecht ist Bürgerrecht. Für mich ist es in einer Demokratie vornehmste Bürgerpflicht. Gehen Sie zur Wahl!« In seinem Wahlkreis taten dies viele, so dass sich auch der Bundespräsident vor seiner Stimmabgabe zunächst in einer Warteschlange wiederfand. Steinmeier dankte den rund 650 000 Wahlhelfern, die auch in diesem Jahr zu einem reibungslosen Ablauf der Wahl beitrügen.
»Rechtsruck, Auferstehung des Neoliberalismus, Stagnation bei der Linkspartei«. Frank Kuschel (LINKE)