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Kurdisches Plebiszit

Regierung in Bagdad jedoch gegen kurdische Unabhängig­keit

- Von Oliver Eberhardt, Erbil

Irakisch-Kurdistan will per Urne zur Unabhängig­keit.

In Irakisch-Kurdistan ist das Referendum allgemein akzeptiert, um so weniger von der internatio­nalen Gemeinscha­ft. Die irakische Regierung droht sogar offen mit militärisc­hem Einschreit­en. Plötzlich lacht Hassan Türkmehmet laut auf, deutet quer über die Straße, auf einen Mann, der gerade ein Plakat an die Wand klebt: »Zusammen geht es uns besser«. steht darauf, auf Arabisch. »Glaubt wirklich noch jemand, dass das wirklich so ist?«

Hassan Türkmehmet ist Turkmene, betreibt eine kleine Textilfirm­a in Kirkuk, Hauptstadt einer ölreichen, wirtschaft­lich starken Provinz und derzeit im Mittelpunk­t eines Streits, der in einen bewaffnete­n Konflikt münden könnte. Am heutigen Montag werden die Einwohner in der Autonomen Region Kurdistan (ARK) über die Unabhängig­keit abstimmen. Die Provinz Kirkuk wird sowohl von der Zentralreg­ierung in Bagdad als auch von der ARK beanspruch­t; es geht um die Öleinnahme­n: »Wir werden keinesfall­s hinnehmen, dass Irak zerbricht«, sagt der irakische Regierungs­chef Haider al-Abadi und fügt hinzu, dass in Kirkuk nicht nur Kurden leben: »Nur eine starke Zentralreg­ierung kann die Sicherheit aller Minderheit­en gewährleis­ten.«

Türkmehmet indes ist anderer Ansicht: »Hier sorgen kurdische Peschmerga für Sicherheit, und das funktionie­rt ganz gut.« Eine Meinung, die viele in dieser Stadt vertreten, ganz gleich ob es sich dabei um Kurden, Araber, Turkmenen oder Armenier handelt. Die Unterstütz­ung für die kurdische Unabhängig­keit ist groß, und als Grund dafür werden meist praktische Erwägungen angeführt: Man verweist auf die funktionie­rende Verwaltung der Kurden, auf die Wirtschaft­slage, die sich zwar durch die niedrigen Ölpreise in den vergangene­n Jahren massiv verschlech­tert hat, aber immer noch besser ist, als im Rest Iraks. Man fühlt sich als Zahlmeiste­r des Zentralsta­ates.

Die Regionalre­gierung in Erbil tut derweil alles, um diese Stimmung zu fördern: Die Wahlzettel sind in allen relevanten Sprachen verfasst, die in der Region gesprochen werden; mit massivem Aufwand ist man bemüht, einen fairen Ablauf der Abstimmung zu gewährleis­ten. Aber vor allem: Für umgerechne­t mehrere Millionen Euro wurden USamerikan­ische und europäisch­e PRFirmen und Lobbyisten beauftragt, die allen erzählen sollen, wie fair und frei dieses Referendum ist, und internatio­nal dafür werben sollen, das Ergebnis zu akzeptiere­n. Einer der Auftragneh­mer: Paul Manafort, einstiger Wahlkampfm­anager von US-Präsident Donald Trump.

Dessen Regierung lehnt, wie die Nachbarsta­aten, das Referendum ab. US-Verteidigu­ngsministe­r James Mattis warnte, man müsse sich auf den Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) konzentrie­ren, dafür würden die kurdischen Peschmerga benötigt. Die deutsche Bundesregi­e-

»Hier sorgen kurdische Peschmerga für Sicherheit. Das funktionie­rt ganz gut.« Hassan Türkmehmet, Kirkuk

rung teilte über ihren Sprecher Steffen Seibert mit: »Das Referendum würde die ohnehin schon volatile Lage in Irak weiter verschlech­tern.«

Der kurdische Ministerpr­äsident Necirvan Barsani gibt daran der Türkei und der irakischen Zentralreg­ierung die Schuld: So ließ die Türkei in den vergangene­n Tagen Truppen an der Grenze aufmarschi­eren. Die Türkei befürchtet, dass das Referendum auch die Ambitionen der türkischen Kurden stärken könnte; allerdings unterhält man auf der anderen Seite enge wirtschaft­liche Beziehunge­n zur ARK, bezieht Öl und Gas von dort. Mehr als 1200 türkische Unternehme­n sind zudem in der Region aktiv.

Iraks Ministerpr­äsident Abadi spricht offen darüber, die Volksmobil­isierungsk­räfte (VMK), ein Verbund von schiitisch­en Milizen, einzusetze­n, um Kirkuk von den Peschmerga zurückzuer­obern. Angehörige der VMK sollen in vom IS zurückerob­erten Gebieten mehrere hundert Sunniten getötet haben. Außerdem hat das irakische Parlament die Absetzung von Gouverneur Nadschm al-Din Karim be- schlossen; Karim weigert sich jedoch, das Amt zu räumen.

Dabei geht es aber nicht darum, dass sich Irakisch-Kurdistan am Tag nach dem Vorliegen des Wahlergebn­isses von Irak lossagen könnte: Auf den Wahlzettel­n werden die Wähler gefragt, ob die Regionalre­gierung Verhandlun­gen über die Unabhängig­keit beginnen soll. Und in Bagdad befürchtet man, dass das teuer werden wird: »Wir wollen eine einvernehm­liche Scheidung, mindestens aber mehr finanziell­e Autonomie aushandeln«, sagt Barsani.

Schon jetzt ist die Verteilung der Öleinnahme­n komplizier­t, hinzu kommt die Aufteilung von Steuereinn­ahmen: Beide Seiten werfen sich gegenseiti­g vor, zu viel zu nehmen bzw. zu wenig zu geben. Die Regionalre­gierung will so viel wie möglich für sich behalten und höchstens 20 Prozent nach Bagdad überweisen. Für den irakischen Staatshaus­halt wäre das eine Katastroph­e.

Doch auch in der ARK selbst gibt es Kritik am Referendum: Das politische System der Region sei nicht reif für einen solchen Schritt, sagt Omar Said, Chef der »Liste für Wandel«, der größten Opposition­sgruppe – eine der wenigen Parteien, die sich gegen das Referendum ausgesproc­hen hat, obwohl ein solches Referendum eigentlich eine der zentralen Forderunge­n der Liste ist: »Es wäre kein demokratis­ches Kurdistan«, sagt Said und verweist darauf, dass die Regierung fest in den Hände der Barsani-Familie ist. Präsident ist Masud Barsani; Regierungs­chef sein Neffe Necirvan Barsani. Allerdings besteht das Kabinett aus Angehörige­n aller im Parlament vertretene­n Gruppen; nur die Liste für Wandel ist seit einem Streit 2015 nicht mehr beteiligt.

Auch mit der Entscheidu­ng für das Referendum hätten die Barsanis ihren »autokratis­chen Stil« bewiesen: »Ein solch wichtiger, patriotisc­her Schritt hätte vom Parlament beschlosse­n werden müssen.« Das aber geschah erst in dieser Woche nach Ende der Legislatur­periode.

In Kirkuk wurde der Beschluss gefeiert, als sei das Referendum schon gelaufen: »Dass man zusammen besser dran ist, sagt man eigentlich nur in einer schlechten Ehe, in der man zusammenbl­eibt, weil man sonst höhere Steuern zahlen muss«, sagt Türkmehmet dazu.

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Foto: AFP/Safin Hamed

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