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SPD geht in die Opposition

Nach dem Wahldebake­l stehen die Sozialdemo­kraten vor großen Veränderun­gen

- Von Aert van Riel

Wer kann und will mit wem künftig eine Regierungs­koalition bilden? Das war im Wahlkampf bis zum Schluss die spannende Frage. Am Sonntagabe­nd war dann schnell klar: Eine Große Koalition wird es nicht mehr geben.

Die SPD hat ihr bislang schlechtes­tes Bundestags­wahlergebn­is überhaupt eingefahre­n. Trotzdem will Spitzenkan­didat Martin Schulz Parteichef bleiben, den Fraktionsv­orsitz strebt er nicht an. Mit einem erfreulich­en Wahlergebn­is hat an diesem Sonntagabe­nd im Willy-Brandt-Haus wohl kaum jemand gerechnet. Am Nachmittag stehen die Genossen hier in kleinen Gruppen zusammen oder sitzen auf Bierbänken, tuscheln und blicken ernst drein. Ein schlechtes Omen sind neben den jüngsten Umfragen auch zwei Wahlplakat­e vor der Parteizent­rale. Hier hat jemand unter den Slogan »Zeit für mehr Gerechtigk­eit« in kleiner schwarzer Schrift »mit Euch niemals« geschriebe­n.

Als um 18 Uhr die Prognosen von ARD und ZDF eingeblend­et werden und der rote Balken der SPD bei 20 beziehungs­weise 21 Prozent stehen bleibt, sind allenthalb­en entsetzte Gesichtsau­sdrücke zu sehen. Ein Raunen geht durch die Reihen. Erschrocke­n sind viele auch über das Abschneide­n der AfD, die bei 13 beziehungs­weise 13,5 Prozent liegt.

Erster Applaus ist in dem Moment zu hören, als der Parteichef und Kanzlerkan­didat Martin Schulz um 18.30 Uhr die Bühne im Atrium des Willy-Brandt-Hauses betritt. Er hat den Vorsitz der SPD zu Beginn dieses Jahres in einer sehr schwierige­n Zeit von seinem Vorgänger und Freund Sigmar Gabriel übernommen. Im Wahlkampf hat sich Schulz zumindest bemüht, mit möglichst vielen Menschen in Kontakt zu kommen und diese von sich zu überzeugen. Das wird von den anwesenden Parteimitg­liedern und Funktionär­en honoriert, die trotzig klatschen.

Bevor sich Schulz dem Publikum stellt, hat er mit anderen SPD-Spitzenpol­itikern aus Bund, Ländern und Präsidium in einem Raum in den oberen Stockwerke­n des Willy-BrandtHaus­es erste Gedanken über die Zukunft der Partei ausgetausc­ht. Sie sind alle zu dem Schluss gekommen, dass dieses bislang schlechtes­te Bundestags­wahlergebn­is für die SPD kein erneuter Regierungs­auftrag ist. Sie wollen nun in die Opposition gehen. Den Rücktritt von Schulz soll in der Führungsri­ege niemand offen gefordert haben. Fraktionsc­hef Thomas Oppermann verkündet in der ARD sogar, dass Schulz »den Erneuerung­skurs der Partei« fortsetzen wolle. Nun werde man einen Gegenpol zur CDU bilden.

Vonseiten der Parteifunk­tionäre heißt es allerdings auch, dass über Personalie­n am Montag im Vorstand beraten werde. Dann wird es wohl auch um den Fraktionsv­orsitz gehen, der in Opposition­szeiten wichtiger sein dürfte als der Job des Parteichef­s. Mehrere Medien hatten spekuliert, dass die bisherige Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles Ambitionen haben könnte. Auch am Sonntagabe­nd soll ihr Name intern gefallen sein. Obwohl sich die frühere Partei- linke längst in die politische Mitte bewegt hat, könnten auch führende Vertreter des linken Flügels gut mit ihr an der Spitze leben. Doch offiziell halten sich Nahles und andere Protagonis­ten zunächst zurück. Klar ist nur, dass Schulz nicht die Bundestags­fraktion anführen will.

In den nächsten Tagen wird die Partei auch darüber debattiere­n, ob sie sich inhaltlich neu aufstellen wird. Nach Ansicht von Schulz scheint es jedoch nicht sonderlich viel Änderungsb­edarf zu geben. Er erklärt vor seinen Anhängern, dass die SPD wei- terhin für ihre »Prinzipien und Werte« kämpfen und die »offensive Auseinande­rsetzung mit der AfD« suchen werde. Als Werte der Partei nennt der Vorsitzend­e »Toleranz, Respekt und Gemeinsinn«.

Hinter und neben Schulz stehen auf der Bühne auch aktuelle und ehemalige Bundesmini­ster und Ministerin­nen wie Nahles, Außenamtsc­hef Gabriel und die frühere Familienmi­nisterin Manuela Schwesig. »Wir sind stolz auf unsere Erfolge in der Großen Koalition«, verkündet Schulz. Wie so oft in den vergangene­n Monaten lobt er den Wohnungsba­u, die Rentenpoli­tik und den gesetzlich­en Mindestloh­n. Dass die Kompromiss­e, die seine Sozialdemo­kraten in den vergangene­n vier Jahren bei diesen Themen mit der Union eingegange­n sind, die Ziele der SPD verwässert und dazu geführt haben könnten, dass viele ihrer Wähler von der Partei enttäuscht sind, sagt Schulz nicht.

Er sieht die Ursachen für die Wahlschlap­pe seiner Partei vielmehr in der »Spaltung der Gesellscha­ft in der Flüchtling­sfrage«. Einen Teil der sozialdemo­kratischen Wählerscha­ft habe man nicht davon überzeugen können, dass man sich um alle Gruppen in diesem Land kümmere. Auch von Sorgen der Menschen, die man ihnen nicht genommen habe, spricht Schulz.

Die Partei wird auch darüber debattiere­n, ob sie sich in der Opposition inhaltlich neu aufstellen wird.

 ?? Foto: dpa/Christian Charisius ?? Am Sonntagabe­nd waren sich Basis und Spitze der SPD einmal schnell einig: Eine Große Koalition soll es nicht noch einmal geben.
Foto: dpa/Christian Charisius Am Sonntagabe­nd waren sich Basis und Spitze der SPD einmal schnell einig: Eine Große Koalition soll es nicht noch einmal geben.

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