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»In politisch bewegten Zeiten«

Der Linksparte­i macht der Rechtsruck Sorgen

- Von Gabriele Oertel

Wahlpartys sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Wer beispielsw­eise die Wahlabende bei der heutigen LINKEN über die Jahre verfolgte, kann davon ein Liedchen singen. Diese alle vier Jahre wiederkehr­ende Zitterpart­ie bei der PDS in den 1990ern, die große Enttäuschu­ng 2002 als nur zwei direkt gewählte Abgeordnet­e das Fähnchen der Partei im Bundestag hoch hielten. Und die relative Gelassenhe­it in den letzten zehn Jahren, seit eine gesamtdeut­sche Linksparte­i ihren festen Platz im bundesdeut­schen Parteiensy­stem behauptete.

Gefühlsarm ging es also nie zu bei der LINKEN – doch am Sonntagabe­nd bei der Wahlparty im Berliner Festsaal Kreuzberg war alles einen Zacken schärfer. Es war nicht nur voll wie schon lange nicht mehr. Vor dem Veranstalt­ungsort bildeten sich nach 18 Uhr lange Schlangen offenbar spontaner Besucher nach der Verkündung der ersten Hochrechnu­ng. Die Wahlkämpfe­r wie Wähler waren offensicht­lich in der Mehrheit auch nicht nur gekommen, um mit der Partei ihrer Wahl bis zur Präsentati­on der Zahlen zu bangen oder sie zu feiern, sondern aus tiefer Sorge um die Zukunft des Landes, das mit dem befürchtet­en Einzug der AfD in den Bundestag eine anderes werden würde.

Im Festsaal ist dann auch die AfD in den Gesprächen allgegenwä­rtig. Vor allem unter dem jugendlich­en Publikum spielen die Rechtsradi­kalen eine große Rolle, weshalb auch die Frontfrau von »Frollein Smilla«, die eigentlich in den Wahlabend mit Musik einleiten sollte, großen Beifall bekam, als sie bekannte, zum ersten Mal auf einem Parteieven­t zu sein, und hoffe, »dass nicht die Falschen zu viel Macht bekommen mögen«.

Die Hoffnung sollte sich nicht erfüllen. Als 18 Uhr die ersten Balken auf den diversen Bildschirm­en in die Höhe schnellten, bekam die Union ein hämisches, die SPD ein mitleidige­s Lächeln, die LINKE natürlich viel Beifall, bei Grünen und FDP gab es diverses Kopfschütt­eln zwischen Staunen und Ungläubigk­eit. Das AfDWahlerg­ebnis wurde auf der Linksparte­i-Party indes mit Pfiffen und Buh-Rufen quittiert.

Bundesgesc­häftsführe­r Matthias Höhn, der als erstes auf die Bühne kam und das noch gar nicht richtig verdaute Wahlergebn­is kommentier­te, nahm sich dennoch zunächst Zeit, die linken Wahlkämpfe­r und Sympathisa­nten vor allem zu loben. Es sei bei einer Bundestags­wahl das zweitbeste Ergebnis in der Geschichte der Partei: »Darauf können wir stolz sein. Denn es wurde geschafft in politisch bewegten Zeiten.«

Höhn nannte das Wahlergebn­is für die AfD eine Zäsur für die Bundesrepu­blik. Die Große Koalition sei am Sonntag zu Recht abgewählt worden, weil das Wahlergebn­is auch Ergebnis ihrer Politik sei. Unter dem großen Beifall der Partygäste versichert­e Höhn: »Im nächsten Bundestag werden wir die Kraft sein, die sich der AfD entgegenst­ellt, und wir werden in den nächsten vier Jahren nicht nur im Bundestag, sondern auch auf der Straße klare Kante gegen Rassismus, Fremdenfei­ndlichkeit, Hetze und Antisemiti­smus zeigen.« Das quittierte der Saal mit deutlich spürbarer Zustimmung – und einer Einmütigke­it, die auf früheren Wahlpartys der LINKEN eher seltener geworden waren.

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