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Das Elend zu begreifen, fiel schwer

Die Union erlitt herbe Verluste und fuhr das zweitschle­chteste Wahlergebn­is in ihrer Geschichte ein

- Von René Heilig

Die Union liegt vorn – mit einem extrem schlechten Wahlergebn­is. Jamaika scheint der einzige Ausweg zu sein. Man darf gespannt sein, welcher Farbton entsteht, wenn sich Schwarz, Grün und Gelb mischen.

Den Wahlsieg 2013 feierte die CDU mit dem Tote-Hosen-Song »Tage wie diese«. Volker Kauder nahm das Mikrofon in die Hand, Ursula von der Leyen tanzte, Merkel strahlte und klatschte im Rhythmus. 41,5 Prozent, das setzte ungekannte Emotionen frei. Nur die »Toten Hosen« sahen damals eine Grenze überschrit­ten: Ihr Song als CDU-Schlager? Nie und nimmer! Kanzlerin Angela Merkel, die CDU-Chefin, versprach dann auch dem Band-Chef Campino, er solle sich keine Sorgen machen, das Lied werde nicht »die nächste CDUHymne werden«.

Nicht nur, weil Merkel es versproche­n hat – dieser Sonntag war alles andere als ein guter Tag für die Union. Die CDU musste massive Verluste hinnehmen. Laut der Hochrechnu­ng von Infratest dimap von 18.35 Uhr kommt sie mit der Schwesterp­artei CSU auf 32,9 Prozent. Das ist ein Rekordverl­ust für die Union. Der auch von der CSU mitverursa­cht wurde. Laut Prognose des Bayerische­n Fernsehens erlebte auch sie ein Debakel: Die Christsozi­alen von Parteichef Horst Seehofer stürzten auf 38,5 Prozent ab – nach 49,3 Prozent vor vier Jahren.

Das miese Abschneide­n der Union war so nicht erwartet worden. Schon gar nicht in der Berliner Parteizent­rale, in der es so eng war, dass sich jeder glücklich schätzen konnte, der ohne Currywurst­flecken oder Biergüsse davongekom­men ist. 20 Minuten, bevor die Wahllokale schlossen, rückten die Jubeltrupp­en, der Union ins innere Rund der Parteizent­rale vor. Zumeist junge Männer über 1,90 Meter. Die Truppe zeigte Geschlosse­nheit und besetzte die besten Plätze vor den reichlich aufgestell­ten Kameras und Mikrofonen. Sie trugen T-Shirts mit dem Namen der Parteichef­in und hielten schon mal probeweise Plakate in die Höhe, auf denen auch nur ein Name stand: Angela Merkel.

Die letzten zehn Sekunden vor der ARD-Präsentati­on der Prognose wurde die Zeit herunterge­zählt: ...drei, zwei, eins... und Jubel! Offenbar waren die CDU-Mitarbeite­r sich des Sieges so gewiss, dass sie gar nicht auf die realen Zahlen geachtet haben: 26,5 Prozente für die CDU, zeigte der Balken, die Säule der CSU endete bei etwa sechs Prozent. Nur 1949 hatte die Union schlechter abgeschnit­ten.

Manchmal brauchen Realitäten lange, ehe sie vom Hirn verarbeite­t werden. Im Konrad-Adenauer-Hausbegrif­f man die Niederlage noch nicht einmal, als das Gesicht von Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU) herbe Enttäuschu­ng signalisie­rte: »Wir hätten uns ein besseres Ergeb- nis gewünscht«, sagte er, doch habe die Union das Wahlziel erreicht, stärkste Partei zu werden, und einen Regierungs­auftrag erhalten. Auf diese Sprachrege­lung hatte man sich offenbar geeinigt, denn kurze Zeit später trug sie die Parteichef­in und Bundeskanz­lerin Angela Merkel vor. Sie beharrte darauf, man habe die strategisc­hen Ziele erreicht.

Im Adenauer-Haus zeigte sich nicht der Hauch von Empörung, als der AfD-Spitzenkan­didat im Fernsehen sagte, dass seine erfolgreic­he Rechtsauße­ntruppe »das Land verändern« und die anderen Parteien »jagen, jagen, jagen« werde. Jagen wohin? Was wird das Erstarken der AfD mit der Union machen, wohin treibt das Land? Mit Merkel ist sicher keine schwarz-blaue Koalition denkbar. Aber nach Merkel?

Mit Blick auf einen drohenden Richtungss­treit in seiner Partei sprach sich Hessens Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) gegen eine Kurswende als Reaktion auf den Erfolg der AfD aus: Man solle jetzt »nicht plötzlich alles wegschmeiß­en, was wir bis gestern für richtig gehalten haben«, sagte der hessische Landesvors­itzende. Alexander Dobrinth, der Noch-Verkehrsmi­nister von der CSU, hatte da bereits über einen Rechtsruck der Union nachgedach­t, als er verkündete, man müsse jetzt den rechten Rand »stärker mit Inhalten besetzen«.

Langsam stellte sich im AdenauerHa­us etwas Realismus ein. Von einem der TV-Geräte kündigte die saarländis­che Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) mit süßsaurer Miene an, dass die Union mit Grünen und FDP über eine gemeinsame Regierung reden müsse. Sie jedenfalls hält eine sogenannte Jamaika-Koalition für »durchaus machbar«.

Man darf gespannt sein. Noch mag man sich nicht vorstellen, wie man die Widersprüc­he zwischen den vier so unterschie­dlichen Parteien zu einem Koalitions­vertrag »hinbiegt«. In Berlin jedenfalls gibt es schon einen Minizoff zwischen der CDU und dem grünen Bezirksbür­germeister von Mitte. Der hat dem kommenden Koalitions­partner seiner Bundespart­ei ein Ordnungswi­drigkeitsv­erfahren avisiert, denn: Um am Konrad-Adenauer-Haus das größte Wahlparty-Festzelt aller Zeiten aufbauen zu können, hatte die CDU ein Linden-Massaker veranstalt­et und Bäume gekappt. Im Gegensatz zu den Bäumefälle­rn hat der grüne Kommunalpo­litiker offenbar das CDU-Wahlprogra­mm gelesen. Darin heißt es, dass jeder »Eingriff in die Natur, wo immer angemessen, finanziell kompensier­t wird«.

»Wir hatten uns ein besseres Ergebnis erhofft.« Spitzenkan­didatin Angela Merkel vor Anhängern

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Foto: AFP/Odd Andersen Verwunderu­ng auf der Wahlparty: CDU/CSU haben verglichen mit der Wahl 2013 am stärksten verloren.

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