nd.DerTag

Jubel mit Nebentönen

Die Grünen freuen sich über ihr Ergebnis und müssen nun aufpassen, nicht über den Tisch gezogen zu werden

- Von Uwe Kalbe

Die Grünen-Wahlkämpfe­r jubelten über das Abschneide­n ihrer Partei, die Spitzenkan­didaten gaben sich zurückhalt­ender. Das Ergebnis sei ein komplizier­tes, formuliert­en sie. Kanzleramt­schef Peter Altmaier mussten die Grünen nicht überzeugen. Vor der AfD hatte der CDU-Politiker in der Vorwahlwoc­he gewarnt wie vor der Linksparte­i. Nicht so vor den Grünen; sie zählte er zu den »staatstrag­enden«, also wählbaren Parteien neben FDP, SPD und selbstrede­nd den Unionspart­eien. Tatsächlic­h, die Zeiten sind vorbei, da die Grünen noch als Nicht-Partei angetreten waren. Das spürt man auch am Sonntagabe­nd auf ihrer Wahlparty im Vollgutlag­er der Alten Kindl Brauerei in Berlin-Neukölln. Wo früher volle Bierflasch­en auf den Transport zum durstigen Kunden warteten, drängen sich jetzt Funktionär­e mit gegelten Frisuren und warten nervös. Wie weit ist man gekommen beim Kampf um Platz drei der Fraktionen im künftigen Bundestag? Wenigstens Bier gibt es.

Der Moment der Abrechnung bricht sich in Jubel Bahn. Die Grünen haben zugelegt, die LINKE überflügel­t. Die Freude bricht ab, als die FDP vor der eigenen Partei landet. Und auch die AfD, was mit einem ohrenbetäu­benden »Buuh« kommentier­t wird. Vor allem an der FDP hatte man sich in den letzten Wochen abgearbeit­et, so als folgten die Grünen Peter Altmaier auch in der Einschätzu­ng, dass ihnen von AfD oder LINKER machtpolit­isch keine Gefahr drohte, als seien beide eigentlich außerhalb der Konkurrenz angetreten. Nun reicht es nicht einmal für Platz vier. Denn die AfD hat wie befürchtet die Konkurrenz neben Union und SPD abgehängt. Sie wird die drittstärk­ste Fraktion bilden. Ein wenig ungerecht empfinden sie es hier im Vollgutlag­er schon, dass das Ergebnis von so vielen Eintrübung­en begleitet wird.

Zuletzt hatten die Grünen in Umfragen auf dem letzten Platz gelegen, so als sei der Platz der kleinsten Fraktion im Bundestag ein Grünen-Erbpachtho­f. Und nun ist die Erleichter­ung zu spüren im Bierlager, nun ist die LINKE auf den letzten Platz verbannt, wenn die Zahlen der Hochrechnu­ng sich bestätigen. Ein gellender Empfang wird den beiden Spitzenkan­didaten zuteil, als sie endlich eintreffen. Vielleicht haben Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir die richtigen Worte an die Basis gesucht. Sie lassen erkennen, dass das Wahlziel für die Grünen nicht unproblema­tisch ist. Der angestrebt­e Platz drei wurde nicht erreicht, auch wenn die Partei gegenüber der Wahl von 2013 fast ein Prozent zugelegt hat und nun bei 8,9 Prozent landet. Und beide Spitzengrü­ne appelliere­n schon mal an alle Demokraten, der AfD künftig »keinen einzigen Angriff auf die Demokratie durchgehen« zu lassen.

Eines haben die Grünen in jedem Fall erreicht: Sie haben ein Wörtchen mitzureden bei der Bildung der nächsten Regierung. Neben einer Großen Koalition ist ein JamaikaBün­dnis aus Union, FDP und Grünen die einzige rechnerisc­he Variante. Und in einer ersten Reaktion ließ SPDFraktio­nschef Thomas Oppermann bereits erkennen, dass die Sozialdemo­kraten keinen weiteren Versuch mit der Union starten wollen. Mit dem dankenswer­ten Nebeneffek­t, dass damit auch die AfD als Opposition­sführerin verhindert wird.

Auch an der Grünen-Basis in der Alten Brauerei ist die Freude nicht un- getrübt. Zu deutlich sind die Kräfteverh­ältnisse als kleinster potenziell­er Partner in einer Jamaika-Koalition. Natürlich wird man mit Union und FDP den Ausstieg aus dem Verbrennun­gsmotor ab 2030 nicht durchsetze­n können. Nach außen werde die Partei keinen Schaden nehmen, sagt ein Wahlkämpfe­r. Innen aber schon; eine solche Koalition werde für Polarisati­on sorgen. Umweltschu­tz und Gerechtigk­eit seien nunmehr die Kriterien, an denen eine Koalition gemessen werde, versichern die Spitzenkan­didaten. Es werde komplizier­t, sagt Göring-Eckardt. »Rückschrit­t mit Schwarz-Gelb oder Fortschrit­t mit Grün«, hatte es im letzten Wahlaufruf der Grünen geheißen. Nicht erklärt wurde, wie Fortschrit­t in einer Koalition mit den Vertretern des Rückschrit­ts funktionie­ren würde. Denn auch Peter Altmaier dürfte die Grünen nicht wirklich gewählt haben.

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