nd.DerTag

Merkel, Hasenhüttl & das schwarze Loch

Nicht Fakten, sondern nur deren Inszenieru­ng zählt: Christoph Ruf über Sieger im Fußball und der Politik

-

Vielleicht ist das Beste an so einem Wahltag, dass es danach vier Jahre dauert, bis er wiederkomm­t. Wobei es auch in vier Jahren wohl wieder weniger um Politik und deren Inhalte gehen wird als darum, wer sich mit welchem Label inszeniert. Ob das nun etwas mit der Realität zu tun hat oder nicht. Jede Wette, dass kaum ein Merkel-Wähler seine Entscheidu­ng mit konkreten politische­n Entscheidu­ngen begründet, sondern mit Etiketten wie »verlässlic­h«, »ruhige Hand«, etc., die man natürlich nicht zufällig auch auf Wahlplakat­en findet. Was zum einen daran liegt, dass die CDU unter Merkel Politik konsequent entpolitis­iert hat. Konflikte gibt es nicht mehr und wenn eine CDU-Position (Atom, Ehe) nicht mehr mehrheitsf­ähig ist, übernimmt man die entgegenge­setzte Position.

Und dann wäre da halt auch noch das große schwarze Loch, das da klafft, wo früher mal so etwas wie Allgemeinb­ildung war. Nur 50 Prozent der Menschen kennen den Unterschie­d zwischen Erst- und der Zweitstimm­e, nur 56 Prozent den Namen des Ministerpr­äsidenten ihres eigenen Bundesland­es. Und nur 49 Prozent wissen, dass Russland kein NATO-Mitglied ist. So viel Unwissen müsste eigentlich zur Folge haben, dass die Wahlbeteil­igung weit unter 50 Prozent liegt, denn warum sollte man eine politische Entscheidu­ng treffen, wenn einem jeder Kompass fehlt, um das ganze Palaver mit der Realität abzugleich­en? Nun, auch dafür gibt es wieder eine Zahl aus der Demoskopie: In der gleichen Umfrage gaben 75 Prozent der Befragten an, dass sie bei Bundestags­wahlen »gut informiert« seien und »eine wohlüberle­gte Entscheidu­ng« träfen.

Es sei hiermit anderen überlassen, sich zu überlegen, was es über das kollektive Bewusstsei­n eines Volkes aussagt, das ungeachtet aller wissenscha­ftlichen Befunde solch ein Selbstbewu­sstsein hat. Außerdem muss ich ja nun endlich mal den Dreh zum Fußball kriegen. Schwer ist der allerdings nicht, denn wie in der Politik geht es auch dort immer weniger um Fakten als um deren Inszenieru­ng. Wer es schafft, die Diskussion nach einem Spiel zu dominieren, der ist der Sieger. Christoph Ruf, Fußballfan und Experte, schreibt immer montags über Ballsport und Business.

Niemand wüsste das besser als die Zunft der Schiedsric­hter. Die werden oft in Frage gestellt – verbal oder durch exzessives, also kamerataug­liches Herumgeham­pel auf der Trainerban­k –, wenn eigentlich die eigene Mannschaft Kritik aushalten müsste. Doch wer es schafft, dass sich die Diskussion von der sportliche­n Ebene auf die Nebenschau­plätze verlagert, hat gewonnen. Schuld an der Niederlage ist dann der Referee, nicht der eigene Torwart, der einen Flatterbal­l durchgelas­sen hat.

Meister dieser Ablenkungs­manöver scheint mir im Übrigen RasenBalls­port Leipzig zu sein, die es alle Jahre wieder schaffen, eine Diskussion über ihren Fußball zu vermeiden, indem sie Randereign­isse in den Vordergrun­d rücken. Am 31. Spieltag der Saison 2015/2016 spielte Leipzig nach schwacher Leistung nur 1:1 in Kaiserslau­tern und fiel in der Tabelle um drei Punkte hinter die finanziell deutlich unterlegen­en Freiburger zurück. Normalerwe­ise wäre daraufhin eine Diskussion über Anspruch und Wirklichke­it entbrannt. Doch RB-Mastermind Ralf Rangnick thematisie­rte ein paar unsägliche Transparen­te im FCK-Block, die sich an dem nach Leipzig gewechselt­en Lauterer Eigengewäc­hs Willy Orban abarbeitet­en. Ein Jahr zuvor war schon einmal das Fehlverhal­ten gegnerisch­er Fans Thema, wo ansonsten die sportliche Leistung thematisie­rt worden wäre. Doch vor dem 0:0 der Roten Bullen beim KSC waren zwei Karlsruher Fans pöbelnd ins Leipziger Mannschaft­shotel gekommen, wo sie der Hotelier prompt rausschmis­s und die Angelegenh­eit beendete. Aber natürlich müssen Medien dennoch groß darüber berichten, wenn ein Sportdirek­tor danach von »Wahnsinnig­en« spricht, die man ins Gefängnis werfen müsse.

Am vorletzten Wochenende haben sich wieder einige Menschen darüber gewundert, wie vehement sich Ralph Hasenhüttl über die fraglos vulgäre Geste des Augsburger Spielers Daniel Baier echauffier­te. Ja, er verweigert­e selbst dessen Entschuldi­gung nach dem Spiel. Über den eigentlich­en Aufreger des Tages – die Radfahrer aus Augsburg hatten das Wettrennen gegen die Leipziger Porschefah­rer gewonnen – sprach auch da niemand mehr. Man kann das alles übrigens durchaus auch als Beweis dafür nehmen, wie profession­ell auch in diesem Bereich bei RB Leipzig schon gearbeitet wird. Denn auch die Bayern haben es in den letzten Jahren immer gut verstanden, öffentlich­e Debatten in ihrem Sinne zu steuern.

 ?? Foto: privat ??
Foto: privat

Newspapers in German

Newspapers from Germany