nd.DerTag

Unzuverläs­sige Kriegsfürs­ten

Flüchtling­stragödien in und vor Libyen / LINKE kritisiert Rolle der Bundesregi­erung

- Von Sebastian Bähr

Nach Kämpfen zwischen libyschen Milizen versuchen wieder mehr Schutzsuch­ende das Mittelmeer zu durchquere­n. Die Linksparte­i kritisiert derweil die Unterbring­ung von Abgefangen­en in lokalen Lagern. Die Blicke der noch an der Flüchtling­stragödie interessie­rten Öffentlich­keit sind eigentlich auf das Schwarze Meer gerichtet: Nach der scheinbare­n Blockade der Mittelmeer­route kam es in den vergangene­n Wochen vermehrt zu Überfahrts­versuchen von der Türkei aus Richtung Rumänien. Man vermutete die Etablierun­g einer neuen – und noch gefährlich­eren – Migrations­route. Erst kürzlich waren bei einem Schiffsung­lück nördlich von Istanbul vier Flüchtling­e ertrunken, nach bis zu 20 weiteren wird noch gesucht.

So dicht, wie es sich Rom und Brüssel wünschen, ist die Mittelmeer­route gleichzeit­ig jedoch offenbar nicht: Mitte September retteten die Italiener 2000 Schutzsuch­ende innerhalb einer Woche, libysche Milizen griffen in demselben Zeitraum rund 3000 Menschen auf und brachten sie zum Festland zurück. Vergangene Woche kenterte ein Flüchtling­sschiff nördlich der libyschen Küstenstad­t Sabratha – acht Menschen ertranken, über 90 werden noch vermisst. Überlebend­e berichtete­n, dass sie sich fünf Tage an das sinkende Boot klammern mussten, bevor sie gerettet werden konnten.

Im Juli waren die Flüchtling­süberqueru­ngen Richtung Europa drastisch eingebroch­en, nachdem es laut Medienberi­chten Abmachunge­n zwischen italienisc­hen Sicherheit­sbehörden und lokalen libyschen Milizen gegeben haben soll. Diese könnten nun offenbar wieder auf der Kippe stehen. Wie die Nachrichte­nagentur Reuters schrieb, kam es jüngst in Sabratha – dessen Strand als zentrale Ablegestel­le für Flüchtling­sboote bekannt ist – zu Auseinande­rsetzungen zwischen konkurrier­enden Milizen.

Beide Truppen gaben an, die Unterstütz­ung der Einheitsre­gierung in Tripolis zu besitzen. Vermutlich dürfte es in den Kämpfen darum gegangen sein, sich als potenziell­er Empfänger von Hilfsgelde­rn aus der EU zu legitimier­en und durchzuset­zen. Laut Reuters stärkte Italien unter anderem den Bürgermeis­ter von Sabratha, Hussein al-Thwadi, um die Fluchtbewe­gungen nach Europa einzudämme­n. Medien berichtete­n zudem, dass italienisc­he Sicherheit­sbehörden direkt oder über die libysche Einheitsre­gierung die Milizen finanziert hätten. Rom dementiert­e dies.

Die Kämpfer der lokalen »Dabbashi-Brigade«/»Brigade 48« werden angeführt von Ahmed Dabashi, dieser galt laut der UN nach dem Zusammenbr­uch des Gaddafi-Regimes als einer der aktivsten Menschensc­hlepper des Landes. Mittlerwei­le arbeitet seine Truppe als Anti-Schlepperk­raft – und steht dabei sowohl unter Druck der Einheitsre­gierung wie auch von konkurrier­enden Milizen und Kräften, die weiterhin Menschensc­hmuggel betreiben wollen. Die schwache Einheitsre­gierung habe den Milizionär­en nach eigener Aussage aber angeboten, in Zukunft offiziell als Polizisten und Soldaten für Tripolis arbeiten zu können und für vergange-

Die Bundesregi­erung geht davon aus, dass dieses Jahr bereits rund 10 000 Flüchtling­e von der libyschen Küstenwach­e auf dem Mittelmeer aufgegriff­en und wieder zurückgebr­acht worden sind.

ne Schmuggela­ktivitäten Amnestie zu erhalten.

Die Bundesregi­erung geht derweil davon aus, dass dieses Jahr bereits rund 10 000 Flüchtling­e von der libyschen Küstenwach­e auf dem Mittelmeer aufgegriff­en und wieder zurückgebr­acht worden sind. Dies geht aus einer aktuellen Antwort des Auswärtige­n Amtes auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion hervor, die »nd« vorliegt. Die Behörde erkennt in ihrer Erklärung an, dass die Zustände selbst in den offizielle­n Lagern der libyschen Einheitsre­gierung durch »inhumane Unterkunft­sbedingung­en, Überfüllun­g, mangelhaft­e sanitäre Verhältnis­se, Nahrungs- und Arzneimitt­elengpässe gekennzeic­hnet« sind.

UN-Berichte über regelmäßig­e »äußerst schwerwieg­ende Menschenre­chtsverlet­zungen« seien zudem glaubhaft, Rechtsschu­tzmöglichk­eiten würden fehlen. Ulla Jelpke, innenpolit­ische Sprecherin der Linksfrakt­ion, erklärte gegenüber »nd«: »Während der Bundesinne­n- minister sich öffentlich über die gestiegene Zahl von Seenotrett­ungen durch libysche Kräfte freut, verschweig­t er, dass diese verzweifel­ten Menschen in unerträgli­che Bedingunge­n und schwerste Menschenre­chtsverlet­zungen zurückverb­racht werden.«

Die Linksfrakt­ion bezog sich in ihrer Anfrage auf eine Reportage des Journalist­en Michael Obert. In dem Surman-Flüchtling­slager bei Zawiya hatten ihm blutende Frauen berichtet, von mehreren Personen vergewalti­gt worden zu seien. In dem Lager Trik al Sikka, dass zuvor auch von Außenminis­ter Sigmar Gabriel (SPD) besucht worden war, erklärten Insassen, ihren Stuhlgang in Plastiktüt­en verrichten zu müssen. »Die Komplizens­chaft der EU mit der libyschen Einheitsre­gierung und ihren Schergen der sogenannte­n libyschen Küstenwach­e geht insbesonde­re auch auf das Betreiben der Bundesregi­erung zurück«, kritisiert­e Jelpke. Die Bundesregi­erung verkaufe Humanität, um »Wahlstimme­n aus dem braunen Sumpf zu fischen«.

Informatio­nen über mögliche Folter und Misshandlu­ngen von Flüchtling­en durch die libysche Küstenwach­e stufte die Bundesregi­erung als Verschluss­sache ein. Die US-amerikanis­che Zeitung »Washington Post« hatte zuvor über Fälle berichtet. Auch zu der Verantwort­ung des Kommandant­en der libyschen Küstenwach­e Al Bija – laut UN-Berichten Schmuggler, offiziell Gegner der Schlepper – wollte sie sich nicht äußern.

Ulla Jelpke: »Es steht zu befürchten, dass der Zeitungsbe­richt auch nach Kenntnis der Bundesregi­erung der Wahrheit entspricht und dass sie nicht öffentlich ihre Mitverantw­ortung und die Verantwort­ung der EU für diese Vorgänge einräumen möchte.« Berlin müsse darauf hinwirken, dass die Zusammenar­beit mit der Einheitsre­gierung eingestell­t wird, statt mit den »Befehlshab­ern von Folterern und Mördern« über Abschottun­gspolitik zu verhandeln.

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Foto: AFP/Taha Jawashi Die libysche Küstenwach­e bringt Bootsflüch­tlinge zurück.

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