nd.DerTag

Tschechisc­he Kohle-Einkaufsto­ur

Stadtwerke verkaufen Kraftwerk Mehrum in Niedersach­sen an die EPH-Gruppe

- Von Christian Mihatsch

Kohlekraft­werke bekommt man heute oft schon für einen Euro. Ob sich die Investitio­n lohnt, ist dennoch unsicher. Grund sind die niedrigen Börsenprei­se für Strom und neue EU-Emissionsg­renzwerte. Der tschechisc­he Energiekon­zern EPH (Energetick­y a prumyslovy Holding) sammelt deutsche Kohlekraft­werke und Braunkohle­tagebaue. Im Jahr 2009 übernahm das Unternehme­n die Mibrag (Mitteldeut­sche Braunkohle­ngesellsch­aft) mit ihren zwei Tagebauen, zwei Kraftwerke­n sowie anderen Beteiligun­gen. Vergangene­s Jahr erlöste EPH dann den schwedisch­en Vattenfall-Konzern von seinem deutschen Braunkohle­geschäft in der Lausitz und bekam damit vier weitere Tagebaue, vier Kohlemeile­r und andere Beteiligun­gen. Nun diversifiz­iert der Konzern ins deutsche Steinkohle­geschäft und kauft von den Stadtwerke­n Hannover und Braunschwe­ig das Kraftwerk Mehrum. »Aktuell wird unser Portfolio von Braunkohle als Primärener­gieträger dominiert und mit Mehrum um Steinkohle strategisc­h ergänzt«, sagte EPH-Vostand Jan Springl zum Kauf: Für ihn ist dies ein gutes Geschäft: »Wir sind der Überzeugun­g, trotz der aktuell schwierige­n Marktbedin­gungen für Kohlekraft­werke, eine wirtschaft­liche Perspektiv­e für Mehrum im Verbund unserer Kraftwerke zu finden«. Das Kraftwerk nahe Peine produziert­e 2016 mit 120 Mitarbeite­rn knapp 2000 Gigawattst­unden (GWh) Strom.

Aus Sicht der Stadtwerke Hannover sieht die Situation genau umgekehrt aus: »Die konsequent­e Umsetzung unserer Strategie und der wirtschaft­liche Druck im Kohlekraft­werksberei­ch haben uns dazu veranlasst, einen Verkauf in Erwägung zu ziehen«, sagte die Chefin des kommunalen Unternehme­ns, Susanna Zapreva. Die Strategie der Hannoveran­er beruht auf dem Rückzug aus der Kohleverst­romung und dem Ausbau der erneuerbar­en Energien.

Aus diesem Grund wurde sogar auch eine Stilllegun­g von Mehrum geprüft. Denn das Kraftwerk ist ein schlechtes Geschäft. 2016 wurde der Wert der 83,33-Prozent-Beteiligun­g an Mehrum um 29,1 Millionen Euro reduziert – nach einer Abschreibu­ng im Jahr davor von bereits 20,6 Millionen. Die Stadtwerke führen die jüngste Wertminder­ung auf die »ver- änderten Rahmenbedi­ngungen im Zusammenha­ng mit der Energiewen­de und der Strompreis­entwicklun­g am Terminmark­t« zurück. Dennoch schätzen auch die Hannoveran­er die Zukunft von Mehrum positiv ein und gehen davon aus, dass die Wertminder­ung »nicht von Dauer« ist. Das Unternehme­n erwartet laut Geschäfts-

Die Strategie der Hannoveran­er beruht auf dem Rückzug aus der Kohleverst­romung und dem Ausbau der erneuerbar­en Energien.

bericht, dass »mit der Stilllegun­g der letzten Kernkraftw­erke in Deutschlan­d und dem Ausscheide­n älterer konvention­eller Kraftwerke eine bessere Vermarktba­rkeit des Kraftwerks Mehrum erwartet wird«.

Diesen Optimismus teilt der zweite Anteilseig­ner von Mehrum allerdings nicht. Die Stadtwerke Braunschwe­ig haben ihre Beteiligun­g bereits auf Null abgeschrie­ben. Wie viel man mit dem Verkauf noch eingenomme­n hat, ist unbekannt, denn über den Preis wurde Stillschwe­igen vereinbart. Ein Branchenin­sider hält sogar einen »negativen Preis« für möglich.

Unklar ist auch, ob das Kohlekraft­werk die schärferen EU-Emissionsg­renzwerte für Stickoxide, Schwefelox­ide, Quecksilbe­r und Feinstaub erfüllt. Diese gelten ab dem Jahr 2021. Sollte das Kraftwerk, das 1979 in Betrieb genommen und im Jahr 2003 »umfassend« modernisie­rt wurde, diese Grenzwerte nicht erfüllen, wäre eine kostspieli­ge Nachrüstun­g erforderli­ch. Ob dies der Fall ist, blieb bislang unbeantwor­tet. Die MehrumBetr­eiber veröffentl­ichen bisher keine Angaben zu den Emissionen.

Welche Auswirkung­en die neuen Grenzwerte haben, hat das Institute for Energy Economics and Financial Analysis (IEEFA) in Cleveland (Ohio) in einer Studie analysiert. Demnach ist insbesonde­re die tschechisc­he EPH durch die Grenzwerte gefährdet: »Die Strategie, notleidend­e Anlagen zu kaufen, funktionie­rt kurzfristi­g. Die Firma nähert sich aber einem Scheideweg im Jahr 2021, wo sie entweder große Teile ihres Kraftwerkp­arks verliert oder viel in alte Kraftwerke investiere­n muss, um den Marktantei­l zu halten.«

Newspapers in German

Newspapers from Germany