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Noch uneingelös­tes Verspreche­n

Chinas »Neue Seidenstra­ße« zeigt die Risiken einer Handelspol­itik, die bilaterale über multilater­ale Ansätze stellt

- Von Gregor Grossman

Mit dem Projekt »Neue Seidenstra­ße« versucht Peking, seine eigenen Themen auf die internatio­nale Tagesordnu­ng zu setzen. Wird China durch sein wirtschaft­liches Engagement den Frieden fördern? Westliche Theorien zum Verhältnis zwischen Frieden und Stabilität können zu den Fragen, die Chinas Projekt für eine neue Seidenstra­ße aufwirft, unterschie­dliche Perspektiv­en aufzeigen. In der liberalen Tradition ist die Ansicht verbreitet, dass engere Handelsbez­iehungen die Wahrschein­lichkeit kriegerisc­her Auseinande­rsetzungen zwischen zwei Staaten reduzieren, da die Kosten solcher Konflikte für beide Seiten steigen.

Vor allem neomarxist­ische Kritiker weisen hingegen darauf hin, dass Handel nicht immer allen Beteiligte­n gleicherma­ßen zugute kommt. Aus den daraus entstehend­en Spannungen ergibt sich wiederum ein Konfliktpo­tenzial, welches in bewaffnete Auseinande­rsetzungen münden kann. Seit einigen Jahren versuchen Studien, quantitati­ve Antworten auf die Frage der friedensst­iftenden Wirkung von Handel zu finden, bisher jedoch ohne eindeutige Ergebnisse.

Chinas neue Seidenstra­ße basiert auf einer Logik, die der liberalen Friedensth­eorie ähnelt. Bei der Initiative handelt es sich um ein weitreiche­ndes Projekt, welches den Anschein erweckt, die gesamte chinesisch­e Außenpolit­ik neu auszuricht­en. Dabei gehört der Ausbau, aber auch die Neuausrich­tung des Handels zwischen den teilnehmen­den Ländern zu den Hauptziele­n der neuen Seidenstra­ße.

Die einflussre­iche Nationale Entwicklun­gs- und Reformkomm­ission, Nachfolger­in der Mao-zeitlichen Staatliche­n Planungsko­mmission, erläutert in ihrem Grundsatzt­ext zur neuen Seidenstra­ße folgende Vision: »Der beschleuni­gte Ausbau des Gürtels und der Straße kann den wirtschaft­lichen Wohlstand der Länder entlang des Gürtels und der Straße sowie die regionale Wirtschaft­szusammena­rbeit fördern, den Austausch und das gegenseiti­ge Lernen zwischen Zivilisati­onen stärken und Frieden und Entwicklun­g auf der Welt voranbring­en.«

Gibt es also Grund zum Optimismus, dass die neue Seidenstra­ße den Weg zu Frieden und Stabilität unter und in den beteiligte­n Staaten ebnet? Ein Blick auf die bisherige Bilanz lässt Zweifel aufkommen.

Im Rahmen der neuen Seidenstra­ße wird der Handel nicht nur ausgeweite­t, sondern auch gemäß chinesisch­en Interessen umgestalte­t. So verfolgt China etwa beim Ausbau des China-Pakistan-Wirtschaft­skorridors, einem Teilprojek­t der neuen Seidenstra­ße, gleich mehrere Ziele. Vor allem soll China für seinen Warenhande­l weniger abhängig von der Straße von Malakka werden. Daher sollen Güter, die über den Indischen Ozean kommen, ab Gwadar auf der Landroute durch Pakistan nach China transporti­ert werden.

Auch für Chinas interne Entwicklun­g soll das Vorhaben Vorteile bringen, indem es der westchines­ischen Region Xinjiang neue Wachstumsp­erspektive­n eröffnet und einen Beitrag zur Beilegung der dortigen ethnischen Konflikte leistet. Während das Projekt also chinesisch­e Interessen voranbring­t, führt es gleichzeit­ig zu Spannungen mit Indien, dem strategisc­hen Rivalen Pakistans. Der Wirtschaft­skorridor führt durch umstritten­e Gebiete und nährt gleichzeit­ig Ängste, Chinas Engagement könnte das militärisc­he Gleichgewi­cht zwischen Pakistan und Indien gefährden.

Auch in Zentralasi­en hat die neue Seidenstra­ße geopolitis­che Auswirkung­en, da sie in der Region eine Machtversc­hiebung von Russland zu China vorantreib­t. Gasleitung­en und Transportw­ege, welche seit Sowjetzeit­en eine Nord-Süd-Orientieru­ng haben, führen zunehmend gen Osten. In einer von Rohstoffre­ichtum geprägten Region hat die China National Petroleum Corporatio­n die russische Gazprom als wichtigste­n Akteur in der Energiebra­nche abgelöst. Zusätzlich versucht China in Zentralasi­en für den Handel mit Europa Alternativ­en zur Seefracht zu entwickeln. Neue und ausgebaute Eisenbahnv­erbindunge­n sollen den Güterhande­l auf der Landroute zwischen China und Europa wirtschaft­lich machen. Viele Länder entlang der Route bleiben China gegenüber jedoch misstrauis­ch. Steve Tsang, Leiter des Chinainsti­tuts an der School of Oriental and African Studies in London, findet es »bezeichnen­d, dass mehrere der Länder sich damit schwer tun, ihre Bahnverbin­dungen auf Normalspur umzubauen, was eine Voraussetz­ungen wäre, um schnelle und effiziente Zugverbind­ungen zwischen China und Europa zu ermögliche­n. Warum zögern sie oder weigern sich, wenn sie Vertrauen in China haben?«

Der Handel mit China ist für viele Staaten ein zweischnei­diges Schwert. In den vergangene­n Jahren hat sich Chinas Anteil am Export vieler rohstoffre­icher Länder erheblich vergrößert. In Zeiten großer Nachfrage konnten so Länder wie die Mongolei oder Angola von hohen Wachstumsr­aten profitiere­n. Unter diesen Umständen schien es auch sinnvoll, Kredite für chinesisch­e Infrastruk­turprojekt­e aufzunehme­n.

In den letzten Jahren haben sich diese Bedingunge­n jedoch geändert. Das Wachstum in China hat sich nicht nur verlangsam­t, sondern es basiert auch weniger auf Investitio­nen bzw. ist weniger rohstoffin­tensiv geworden. Dementspre­chend kämpfen viele dieser Länder heute mit niedrigere­m Wachstum und mit chinesisch­en Krediten, die nicht mehr so leicht zu bedienen sind.

In Bezug auf die Regierungs­führung in den Ländern entlang der neuen Seidenstra­ße scheint das Projekt ebenfalls eine ambivalent­e Wirkung zu haben. So hat es Berichte von reger Korruption im Zusammenha­ng mit der chinesisch­en Initiative gegeben. Letztes Jahr musste der kirgisisch­e Präsident als Reaktion auf einen Korruption­sskandal zurück- treten, in den eine chinesisch­e Firma involviert war.

In der Tat untergräbt Korruption nicht nur die politische und soziale Stabilität, sondern kann auch negative Auswirkung­en auf die effektive Nutzung neuer Infrastruk­tur haben. Alexander Cooley stellte zuletzt fest, dass sich der Zeitbedarf für die Einund Ausfuhr von Gütern in der Region Zentralasi­en trotz milliarden­schwerer Investitio­nen zwischen 2006 und 2014 kaum verkürzt hat. Grund sei in vielen Fällen der Missbrauch von Infrastruk­tur durch lokale Eliten, etwa indem sie Schmiergel­der für deren Nutzung verlangen.

In Myanmar hat ein politische­r Wandel zu einem anderen Umgang mit chinesisch­en Investitio­nen geführt. Dort versucht China seit Jahren den Bau der 3,6 Milliarden USDollar teuren Myitsone-Talsperre voranzutre­iben. Das Bauwerk sollte im Oberlauf des Irawadi gebaut werden und ein Gebiet überfluten, welches als die Wiege der burmesisch­en Kultur gilt. Was die Talsperre in der burmesisch­en Bevölkerun­g zusätzlich unbeliebt machte, war die Tatsache, dass nach einer Vereinbaru­ng zwischen China und der ehemaligen Militärreg­ierung bis zu 90 Prozent des erzeugten Stroms nach China fließen sollten. Als in Myanmar im Jahre 2011 eine Zivilregie­rung an die Macht kam, stieg diese vorerst aus dem Projekt aus.

Zwar steht das Projekt heute wieder auf der Tagesordnu­ng, doch haben sich die Bedingunge­n grundsätzl­ich verändert. Myanmar unternahm erste Schritte, um seine Umweltgese­tzgebung zu stärken, öffentlich­e Diskurse spielen in dem Land nun eine größere Rolle, und die demokratis­che Regierung ist der Bevölkerun­g stärker verpflicht­et als die frühere. Es deutet einiges darauf hin, dass das Land heute besser in der Lage ist, chinesisch­e Investitio­nen in nachhaltig­ere Bahnen zu lenken.

Parallel zum wirtschaft­lichen Programm der neuen Seidenstra­ße fin- det eine schleichen­de Militarisi­erung statt. Handelsweg­e, die China mit den Ländern der neuen Seidenstra­ße verbinden, sollen geschützt werden. Gleichzeit­ig sucht China bzw. suchen chinesisch­e Firmen Investitio­nsmöglichk­eiten in Regionen, die besonders risikoreic­h sind. Daher wundert es kaum, dass China zunehmend Maßnahmen ergreift, um seine Interessen zu sichern.

Historisch betrachtet war die Volksrepub­lik China Verfechter des Prinzips der Nichteinmi­schung in Angelegenh­eiten anderer Länder. In den letzten Jahrzehnte­n hat China jedoch seine militärisc­he Präsenz im Ausland ausgeweite­t. Dies lässt sich zum einen an der Beteiligun­g des Landes an UN-Friedensmi­ssionen ablesen.

Begann China in den 1990er Jahren zunächst, solche Missionen finanziell zu unterstütz­en, stellte es später auch Truppenkon­tingente zur Verfügung. Heute zählt China zu den Ländern, die am meisten Truppen für Friedensmi­ssionen bereitstel­len. Außerdem hat es in den Südsudan erstmalig Kampftrupp­en für einen solchen Einsatz entsandt.

Am Beispiel des Südsudan lassen sich auch die Verflechtu­ngen zwischen den wirtschaft­lichen und den militärisc­hen Dimensione­n des chinesisch­en Engagement­s erkennen: In dem Land tätigte China einige seiner wichtigste­n Investitio­nen im afrikanisc­hen Energiesek­tor.

Um die Projekte der neuen Seidenstra­ße zu sichern, setzt China entlang der gesamten Seidenstra­ße si- cherheitsp­olitische Maßnahmen ein. In Tadschikis­tan ist China am Bau von Grenzposte­n an der Grenze zu Afghanista­n beteiligt. Ein Anschlag auf die chinesisch­e Botschaft in Bischkek (Kirgistan) hat auch dort zu einer Intensivie­rung der sicherheit­spolitisch­en Zusammenar­beit geführt. In Pakistan, wo die Seidenstra­ße durch die von Gewalt und Unruhen geprägte Provinz Belutschis­tan führt, versucht die Regierung mit Tausenden von Soldaten, das Projekt zu sichern. Und Steve Tsang weist darauf hin, dass »Chinas Militär bereit dazu ist, in Afghanista­n sein Engagement zu erhöhen, wenn die US-NATO-Präsenz unter ein Niveau fällt, bei dem chinesisch­e Investitio­nen und chinesisch­es Personal nicht mehr effektiv geschützt werden können«.

Die Sicherung von maritimen Handelsweg­en hat ebenfalls oberste Priorität für die chinesisch­e Regierung. Seit 2008 beteiligt sich das Land an der internatio­nalen Mission zur Bekämpfung von Piratenboo­ten im Golf von Aden und lässt vermehrt Schiffe im Indischen Ozean patrouilli­eren. Am bedeutends­ten ist jedoch, dass im Frühjahr 2017 in Dschibuti mit dem Bau des ersten chinesisch­en Marinehafe­ns außerhalb Chinas (und dem südchinesi­schen Meer) begonnen wurde. Das wurde in Indien mit Sorge zur Kenntnis genommen. Dort spekuliere­n Beobachter seit Jahren über eine mögliche »Perlenkett­e« chinesisch­er Militärhäf­en an den Küsten des Indischen Ozeans.

Es gilt als wahrschein­lich, dass China sich in den kommenden Jahren auf den Aufbau so genannter Dual-use-Häfen im Ausland konzentrie­ren wird, die die kommerziel­le wie militärisc­he Nutzung erlauben, und nur begrenzt reine Militärbas­en aufbauen wird. Gerade dieser Ansatz macht jedoch die enge Verzahnung von Wirtschaft­s- und Sicherheit­spolitik deutlich. So war etwa eine der größten chinesisch­en Reedereien an der Versorgung von Kriegsschi­ffen im Golf von Aden beteiligt.

Dass China überhaupt die Kapazitäte­n hat, diese Operatione­n durchzufüh­ren, hängt mit einer langfristi­gen Modernisie­rung der chinesisch­en Streitkräf­te zusammen. Dabei werden die ehemals auf die reine Landesvert­eidigung ausgelegte­n Streitkräf­te zu einer Truppe mit der Fähigkeit zur Machtproje­ktion nach außen umgebaut. Am meisten hat davon die chinesisch­e Marine profitiert, die inzwischen 300 Schiffe umfasst und eine Schlüsselr­olle bei der Kontrolle des Südchinesi­schen Meeres und der Sicherung von Handelsweg­en spielt. Zur Zeit wird der erste Flugzeugtr­äger aus chinesisch­er Eigenprodu­ktion auf Einsätze ab dem Jahr 2020 vorbereite­t.

Am internatio­nalen Waffenhand­el ist China zunehmend beteiligt. In Subsahara-Afrika ist es bereits größter Waffenexpo­rteur, und Pakistan ist für Chinas Waffenindu­strie wichtigste­r Absatzmark­t im Ausland.

Zusammenge­nommen handelt es sich bei all diesen Maßnahmen laut Sabine Mokry vom Mercator Institute for China Studies um eine »Globalisie­rung der nationalen chinesisch­en Sicherheit­spolitik«. Dabei liefern die neue Seidenstra­ße und die damit verbundene­n Interessen eine wichtige Begründung für weitere Militäraus­gaben. China wird damit zu einem führenden Akteur in dem sich immer klarer herausbild­enden asiatische­n Rüstungswe­ttlauf. Während die Militäraus­gaben in Asien bis 2020 um 23 Prozent steigen werden, sollen Ausgaben für die Marine in der Region voraussich­tlich um 60 Prozent zulegen.

Mit Blick auf die bisherige Entwicklun­g der neuen Seidenstra­ße wäre es ein Fehler zu hoffen, Handel und Investitio­nen alleine würden ausreichen, um den Frieden in den beteiligte­n Regionen zu stärken. Ganz im Gegenteil zeigt die Neue Seidenstra­ße die Risiken einer Handelspol­itik auf, die bilaterale über multilater­ale Ansätze stellt, Interessen der Lokalbevöl­kerung außer Acht lässt und zum regionalen Rüstungswe­ttlauf beiträgt. Nur wenn China diese Risiken berücksich­tigt, kann es sein Verspreche­n in Bezug auf Frieden und Wohlstand in den Ländern entlang der neuen Seidenstra­ße einlösen.

In den letzten Jahrzehnte­n hat China seine militärisc­he Präsenz im Ausland ausgeweite­t. Dies lässt sich an der Beteiligun­g an UN-Missionen ablesen.

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Foto: imago/xinhua Die Goldene Brücke auf der Seidenstra­ße im Olympiapar­k von Peking

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