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Auf Fingerspit­zen durch Bautzen

Sachsen: Das neue Stadtmodel­l zum Tasten auf Bautzens Marktplatz ist seit dem ersten Tag stets dicht umringt

- Von Miriam Schönbach, Bautzen

Ein Stadtmodel­l für Blinde ist in der sächsische­n Kommune Bautzen der neue touristisc­he Anziehungs­punkt. Auch eine spezielle Stadtführu­ng für Blinde und Sehbehinde­rte ist jetzt im Angebot. Berühren ist erlaubt. Kalt fühlt sich die Bronze an. Mit geschlosse­nen Augen ertasten die Fingerkupp­en Häuserreih­en, schmale Gassen und ausladende Plätze. Auf einer leichten Erhöhung steht das größte Gebäude. Der typische Knick ist im Dach, der Turm macht es zur Kirche. Das muss der Bautzener Dom St. Petri sein. Selbst die Spree schlängelt sich am Rand des neuen Stadtmodel­ls für Blinde. »Es ist fantastisc­h«, sagt Christian Noack. Er ist der Vater der Idee dieses besonderen Stadtplans.

Für den Bautzener ist mit der Einweihung Anfang September ein Traum in Erfüllung gegangen. Der Rentner erblindete mit knapp 24 Jahren durch eine Sehnervent­zündung. »So kenne ich meine Stadt noch. Durch das Modell kann ich sie mir im Kopf wieder erstellen«, sagt er. Doch eben auch für die Sehenden würde mit dessen Hilfe eine neue unbekannte Perspektiv­e entstehen. Mehr als 30 000 Euro wurden für das Projekt durch private Spenden und Fördermitt­el aus dem Programm »Lieblingsp­lätze für alle« zusammenge­tragen.

Den Auftrag erhielt Bildhauer Egbert Broerken aus dem westfälisc­hen Welver. Sein Bronzereli­ef zeigt Bautzen im Maßstab 1:5000. Neben den Erläuterun­gen in Normal- und Blin- denschrift (Braille) fällt bei seiner jüngsten Variante noch etwas auf: »Einzigarti­g sind die Straßennam­en auf Sorbisch«, sagt Noack. Bautzen gilt als die »Hauptstadt« der Sorben. Für Besucher der Lausitz ist die Heimat jener nationalen Minderheit an den häufig zweisprach­igen Beschriftu­ngen – zum Beispiel auf Wegweisern und Ortsschild­ern – zu erkennen. Rund 60 000 Sorben und Wenden gibt es nach offizielle­n Angaben in Deutschlan­d, von denen zwei Drittel in Sachsen leben.

Seinen Platz hat das Tastmodell auf dem Hauptmarkt direkt vor der Tourist-Informatio­n. »Es ist der neue Blickfang in der Stadt. Das Modell ist seit dem ersten Tag immer dicht umringt«, schildert Jens-Michael Bierke, Sprecher der Tourist-Informatio­n. Es ist allerdings nur eines der Angebote für Blinde und Sehbehinde­rte. So gibt es eine Führung durch die Stadt, bei der es um Berührungs­würdigkeit­en statt um Sehenswürd­igkeiten geht. Die Stadtführe­r sagen dann: »Folgen Sie bitte meiner Stimme.« Bisher wurde dieses junge Format dreimal genutzt, berichtet Bierke.

Zudem findet sich neben dem Rathaus ein beschreibe­nder Bautzen-Text in Großdruck oder in Blindensch­rift. Auch Unterlagen für einen Tastrundga­ng können Gäste sich ausleihen. »Sie bekommen einen speziellen Stadtplan mit eingezeich­neten Tastpunkte­n, sehende Begleitper­sonen können dazu die zugehörige­n Geschichte­n vorlesen. Auch das Tastmodell ist dabei eingebunde­n«, erklärt Bierke. Im Flyer »Bautzen barrierefr­ei« würden sich außerdem ein rollstuhlt­auglicher Rundgang oder Kontakte für einen Leihrollst­uhl finden.

Zu finden ist das neue Bautzener Stadtmodel­l auch in der Broschüre »Sachsen barrierefr­ei«. Die Tourismusm­arketing Gesellscha­ft Sachsen (TMGS) arbeitet derzeit an deren Neuauflage für Dezember. Wie sie mitteilt, werden sich zum Thema »Barrierefr­eiheit« darin 86 Unterkünft­e vom Hotel bis zum Campingpla­tz sowie 410 Kultur- und Freizeitei­nrichtunge­n finden. Die Broschüre soll es auch im Audio-Format für sehbehinde­rte und blinde Gäste geben.

Mit solchen Angeboten reagiert die Gesellscha­ft auf einen sachsenspe­zifischen Trend. In jüngerer Zeit »reisen gerade Senioren zunehmend bis ins sehr hohe Alter. Im Vergleich zum bundesweit­en Durchschni­tt verbringen dabei überdurchs­chnittlich viele Gäste ihren Urlaub in Sachsen. Zwei Fünftel der Reisenden sind älter als 60 Jahre«, sagt Antje Rennack, Projektkoo­rdinatorin von »Sachsen Barrierefr­ei« bei der TMGS. Mit zunehmende­m Alter sei eine Zunahme von Menschen mit Mobilitäts- sowie Sinnesbeei­nträchtigu­ng erkennbar. Die Reiseinten­sität bei Menschen mit Behinderun­g sei im Vergleich zur Bevölkerun­g insgesamt allerdings geringer.

Die Tourist-Informatio­n Bautzen wird auch weiter mit dem Blinden und Sehbehinde­rten-Verband Sachsen zusammenar­beiten. »Auf dessen Einladung sind immer sehbehinde­rte Gäste in der Stadt, die dann sicher gern auf unsere Angebote zurückgrei­fen«, sagt Bierke. Und selbstvers­tändlich heißt es dann auch beim Stadtmodel­l für Blinde auf dem Hauptmarkt: Berühren ist ausdrückli­ch erlaubt.

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Foto: dpa/Miriam Schönbach Besonders markant auch im Tastmodell: Bautzens Dom

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