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Schmökern im Konsum

- Von Thomas Schöne

Seit

20 Jahren dreht sich in Mühlbeck-Friedersdo­rf (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) fast alles um das Buch. Der Ort bei Bitterfeld war nach der Wende von hoher Arbeitslos­igkeit geprägt. Die Chemieindu­strie und der Braunkohle­abbau, Jahrzehnte Synonyme für die Region, wurden abgewickel­t. Die Menschen sahen sorgenvoll in die Zukunft. In dieser Situation kam Heidemarie Dehne, eine gebürtige Rheinlände­rin, in den Ort. Sie war auf der Suche nach einem berufliche­n Neuanfang und fand ihn genau hier. Sie sah die Möglichkei­ten: Die Landschaft war zwar gebeutelt, aber mit den schwindend­en Rauchschlo­ten würde sich die Umwelt erholen – und damit entstünde Potenzial für Tourismus und Naherholun­g. Und für sehr, sehr viele Bücher.

Dehne startete 1997 in Mühlbeck das erste Buchdorf Deutschlan­ds. »Keiner glaubte an meine

»Keiner glaubte an meine Vision, nur der Bürgermeis­ter und der Gemeindera­t unterstütz­ten mich.« Heidemarie Dehne

Vision, nur der Bürgermeis­ter und der Gemeindera­t unterstütz­ten mich«, sagt die heute 74-Jährige. »Das Konstrukt eines Buchdorfes war ja in Deutschlan­d völlig neu.« Viele Bewohner im Ort gaben dem Projekt anfangs kaum Chancen. Sie meinten: Wer soll schon hierher kommen und Bücher kaufen? Auch die etablierte­n Buchhändle­r sahen das Ganze zunächst skeptisch und empfanden die neuen Händler als Konkurrenz. »Inzwischen kaufen viele von ihnen selber im Buchdorf ein«, berichtet Dehne.

Die Idee des Buchdorfes stammt aus Hay-on-Wye (Wales/Großbritan­nien). Richard Booth hat dort 1961 damit angefangen. »Das war in Wales auch eine struktursc­hwache Region. Und ich sagte mir, wenn es dort funktionie­rt hat, warum nicht auch bei uns?«, sagt Dehne im Rückblick. In Deutschlan­d folgten andere Gemeinden – beispielsw­eise im brandenbur­gischen Wünsdorf, knapp 40 Kilometer von Berlin entfernt. Weltweit gibt es laut Dehne etwa 30 Buchdörfer. Sie verfügen über eine besonders hohe Anzahl an Antiquaria­ten, für die sie meist weithin bekannt sind. Dies soll Gäste anlocken und so Tourismus und Gastronomi­e fördern.

Dehne führt ihr Antiquaria­t noch immer in einem ehemaligen Dorfkonsum. Das Haus kaufte sie und ließ es sanieren. In den unteren Räumen stehen übervolle Regale, das ganze Gebäude scheint Bücher zu atmen. Rund 128 000 Bücher sind dort untergebra­cht, ein Lesecafé sowie vier Ferienwohn­ungen.

»Kinderbüch­er und Krimis sind besonders gefragt. Derzeit am besten verkauft sich das Buch ›Mohr und die Raben von London‹ von Vilmos und Ilse Korn«, schildert die Buchdorfgr­ünderin. Zudem wird das Internet immer wichtiger für das Geschäft. Mittlerwei­le wird ein großer Prozentsat­z der Bücher übers Netz verkauft, erklärt Mitarbeite­rin Bärbel Franz.

Die Läden im Buchdorf haben insgesamt eine halbe Million Bücher aller Sparten. Es ist Dehne anzumerken: Sie ist stolz auf das Erreichte und sprüht noch immer vor Enthusiasm­us. »Wir feiern am 30. September unser Jubiläum«, sagt die Initiatori­n.

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