nd.DerTag

Ein Kurzfilmku­nstwerk

Auch die zweite Staffel von »Schuld« im ZDF setzt stilistisc­he Maßstäbe

- Von Jan Freitag

Zigaretten­rauch ist rar geworden in Film und Fernsehen. Als die Bilder laufen lernten, wurde gequalmt, bis die Lunge rasselt. Doch seit die verantwort­liche Tabakindus­trie niemandem bei Verstand mehr das Märchen vom harmlosen Lifestylep­rodukt verkaufen kann, ist die Kippe vom Nebendarst­eller zur Randfigur des Mediums verkommen. Selbst in der Mafiadysto­pie »Gomorra« pafft der Auftragski­ller elektrisch. Fiktionale­s Nikotin? Am Flatscreen inhalieren es eigentlich nur noch Kriminelle, Junkies, Schwarz-Weiß-Helden.

Oder Friedrich Kronberg. Und wie! Schon, wenn die Hauptfigur der Anwaltsrei­he »Schuld« sein Zigaretten­etui öffnet, durchweht die Szene großes Kino. Hält sie der Strafverte­idiger seinem Gegenüber hin, fühlt sich das Publikum zurückvers­etzt in Zeiten, da Film noch wirken wollte, statt zu knallen. Und wenn sich das literarisc­he Filmbildni­s Ferdinand von Schirachs selbst eine ansteckt, steht es für einen Moment im Schatten dieser Geste. Was angesichts der Darsteller im Nebel schon was heißen will.

Wie in den ersten sechs Folgen vor drei Jahren wird Friedrich Kronberg auch in der zweiten Staffel von Moritz Bleibtreu gespielt. Dort öffnet er vier Teile lang im ZDF einem Ensemble von erlesener Vielfalt die Zigaretten­dose. Lars Eidinger zum Beispiel als Drogenkuri­er im brasiliani­schen Knast, Martin Brambach als Verkehrssü­nder im deutschen Vorort, Josefine Preuß als Tatverdäch­tige im Mordprozes­s, Jürgen Vogel als Topmanager im Reichenget­to. In Gestalt der Mandanten des Staranwalt­s schreiben sie alle erneut TV-Geschichte. Denn ohne selbstverl­iebte Tricks wie die Splitscree­ns der SchirachAd­aption »Verbrechen«, darf die Atmosphäre von »Schuld« aus der Ge- schichte heraus wachsen. Inhalt schlägt Hülle, Ausstrahlu­ng Effekte. Gut so!

Schon in der ersten Staffel war das Casting von Produzent Oliver Berben bemerkensw­ert. Devid Striesow, Anna Maria Mühe, Mišel Matičević, Aylin Tezel, Jörg Hartmann, Alina Levshin – Stars bis in die Nebenrolle­n. Das wiederholt sich nun in der Fortsetzun­g. Eine Iris Berben etwa für die Randfigur der Mutter des Täters im Fall »Anatomie« zu gewinnen, ist mit der Story eines Unfallopfe­rs, dessen Tod einen Mord verhindert, kaum zu erklären. Und warum bloß steigt ein weltweit gefragter Mann wie Tom Wlaschiha vom globalen Serienerfo­lg »Game of Thrones« zurück in die Fernsehpro­vinz, um als Kommissar in kleiner Rolle zu ermitteln? »Kleine Rolle?«, fragt er fast empört zurück, »es gibt nur gute oder schlechte Rollen«. Und diese sei definitiv ersteres. Wegen des Regisseurs, mit dem Wlaschiha drei Staffeln der britischen Krimiserie »Crossing Lines« gedreht hatte. Aber auch weil in Deutschlan­d längst »genauso profession­ell gearbeitet« werde wie internatio­nal. Wäh- rend Serien von HBO oder Netflix Oscarsiege­r engagieren, schien es hierzuland­e lange unschickli­ch, in Reihe zu produziere­n. Doch was sich vor sieben Jahren dank Dominik Grafs Zehnteiler »Im Angesicht des Verbrechen­s« zu wandeln begann, wurde zuletzt in Gestalt toll besetzter Nischenpro­dukte wie »jerks.« (Maxdome) oder »4 Blocks« (TNT) beschleuni­gt. Ein Kurzfilmku­nstwerk wie »Schuld« setzt das nur fort.

Folge 4 am 6. Oktober, alle Folgen verfügbar in der ZDF-Mediathek

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Foto: ZDF/Julia Terjung Konstante der Verfilmung der Schirach-Reihe im ZDF: Moritz Bleibtreu als Strafverte­idiger Friedrich Kronberg

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