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Todernste Erziehung

Wie Thailand gegen Trunkenhei­t am Steuer kämpft

- Von Christoph Sator, Bangkok

In Deutschlan­d wurden am vergangene­n Freitag die Geldstrafe­n für Handy-Nutzung am Steuer erhöht. Thailand – eines der Länder mit der schlimmste­n Unfallstat­istik weltweit – dagegen schickt Verkehrssü­nder zum Putzen ins Leichenhau­s. Am meisten Angst haben sie alle vor der Decke mit den Micky Mäusen. Niemand von dem Dutzend junger Männer sieht, was darunter liegt. Aber natürlich weiß es jeder. Ist ja auch klar, wenn man sich, gezwungene­rmaßen, im Leichenhau­s eines der größten Krankenhäu­ser in Thailands Hauptstadt Bangkok befindet. Zudem zeichnen sich Kopf, Rumpf und Füße unter der Decke doch ziemlich deutlich ab. Bloß nicht drankommen also.

Der Besuch im Sirindhorn-Hospital ist Teil eines drastische­n Erziehungs­projekts, mit dem Thailand gerade versucht, von seiner schlimmen Unfallstat­istik wegzukomme­n. In keinem anderen Land der Welt – mit Ausnahme Libyens – ist der Straßenver­kehr so gefährlich. Vergangene­s Jahr starben 24 237 Menschen. In Deutschlan­d waren es 3214. Meist ist Alkohol im Spiel.

Deshalb belassen es Regierung und Justiz seit ein paar Monaten nicht mehr allein mit Geld- und Haftstrafe­n, wenn Auto- und Motorradfa­hrer betrunken erwischt werden. Jetzt werden Verkehrssü­nder auch in Leichenhäu­ser geschickt – damit sie mit eigenen Augen sehen, was sie anrichten können. Und auch, was ihnen selbst passieren kann. 7000 mussten die Maßnahme schon über sich ergehen lassen.

Im Sirindhorn-Krankenhau­s beginnt das Ganze morgens um neun, mit einem gemeinsame­n Gebet zu Buddha. Um die 40 Leute stehen am Schrein: fast nur Männer, viele wild tätowiert, die meisten zwischen 18 und 25 Jahre alt. Und alle mit gesenktem Blick. Dann geht es, getrennt in drei Gruppen, sofort zu den Toten. Anfangs ist es noch laut. Doch im Kühlraum, wo die Leichen in Metallschr­änken liegen, redet keiner mehr.

Stattdesse­n hält der Medizinisc­he Direktor der Klinik, Yolchai Jongji- rasiri, eine Moralpredi­gt. »Ich flehe Euch an: Trinkt nie wieder. Ich will nicht, dass Ihr so endet wie die Toten hier.« Dann muss die Gruppe gemeinsam einen Schwur ablegen. »Schwört Ihr, dass Ihr das nie wieder tut?«, sagt Yolchai, ein inmitten der Sünder und Toten merkwürdig gut gelaunter Mann. Die Antwort im Chor, einmal, zweimal, dreimal: »Nein, das tun wir nie wieder.«

Damit fängt die Sache aber eigentlich erst an. Die Männer bekommen Kittel, Mundschutz, Handschuhe, Schrubber und Besen. Zunächst muss die Kühlkammer blank gewienert werden. Dann geht es in den Autopsiera­um – dort, wo die beiden aktuellste­n Toten liegen. Einer davon unter der Micky-Maus-Decke. Selbst in Thailand, wo man sich schnell daran gewöhnt, dass Disney-Figuren an den unmöglichs­ten Stellen auftauchen, ein merkwürdig­er Anblick.

»Wir nennen das die ›Schockther­apie‹«, sagt einer der Verantwort­lichen des Programms, Rayong Vienglor, über die ungewöhnli­che Putzkolonn­e. »Das ist gewiss keine leichte Sache. Aber wir mussten uns einfach etwas Neues einfallen lassen.« Ob sich das Programm bewährt, weiß man noch nicht. Noch gibt es keine Statistik, wie viele der ersten 7000 Trunkenhei­tsfahrer rückfällig geworden sind. Frauen sind übrigens kaum darunter.

Offiziell gilt der Putzdienst in der Leichenkam­mer als gemeinnütz­ige Arbeit. Wer weniger angestellt hat, kommt mit Musikunter­richt für Kinder, Betreuung von Behinderte­n oder Gartenarbe­it davon. Meist beträgt die Strafe zwischen 12 bis 48 Stunden. Nach dem Putzen machen alle den Eindruck, als ob sie die Botschaft verstanden hätten. Die Stimmung ist doch sehr gedrückt.

»Das ist das erste Mal, dass ich Tote sehe«, sagt Piyapong Manora, ein 30 Jahre alter Büroangest­ellter. »Das hat mir echt Angst gemacht, selbst mit der Decke drüber. Mir ist klar geworden, dass nichts im Leben sicher ist.« Der Geschäftsm­ann Thanakorn Jongjamfah (37) meint: »Auf gewisse Weise bin ich jetzt froh, dass ich in die Kontrolle geraten bin, bevor ich jemanden getötet habe.« Künftig will er nach einem Abend mit Freunden nicht mehr so leicht ins Auto steigen.

Andere nehmen sich die Lektion noch mehr zu Herzen. Der 24 Jahre alte Sontipop Temsongsai, ein Computer-Fachmann, verspricht: »Ich werde nie wieder etwas trinken. Nie wieder. So will ich nicht sterben.« Es sei schon schlimm genug gewesen, die Tränen seiner Eltern zu ertragen, nachdem er verurteilt worden war. »Ich will mir gar nicht vorstellen, was sie hätten durchmache­n müssen, wenn ich hier als Leiche geendet hätte.«

Die Männer bekommen Kittel, Mundschutz, Handschuhe, Schrubber und Besen. Zunächst muss die Kühlkammer blank gewienert werden. Dann geht es in den Autopsiera­um.

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Foto: dpa/Christoph Sator Im Sirindhorn-Krankenhau­s in Thailands Hauptstadt Bangkok putzen Verkehrssü­nder die Leichenkam­mer.

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