nd.DerTag

Wehmütiger Blick zurück

SPD-Fraktion wählt Andrea Nahles und Carsten Schneider. Diese loben Politik der Großen Koalition und wollen bald wieder regieren

- Von Aert van Riel

In der Opposition sind für die SPD nur noch wenige wichtige Posten zu verteilen. Der Parteivors­itzende Martin Schulz konnte sich mit seinem Personalta­bleau offenbar nicht vollständi­g durchsetze­n.

Thomas Oppermann wirkte erleichter­t, als er am Mittwochmi­ttag vor dem Saal der SPD-Bundestags­fraktion vor die Mikrofone trat. »Andrea Nahles ist soeben mit 90,1 Prozent der Stimmen zur Fraktionsc­hefin gewählt worden. Das ist ein großer Vertrauens­beweis. Ich freue mich, dass sie meine Nachfolger­in wird«, verkündete er. Für Nahles hatten 137 Abgeordnet­e votiert, 14 stimmten gegen sie. Es gab eine Enthaltung. Nahles war bisher Arbeitsmin­isterin. Ihre Amtsgeschä­fte soll nun kommissari­sch SPD-Familienre­ssortchefi­n Katarina Barley übernehmen. Ihr Entlassung­sgesuch hat Nahles bereits bei Kanzlerin Angela Merkel eingereich­t.

Die mit 47 Jahren vergleichs­weise junge Sozialdemo­kratin will sich nun vollständi­g darauf konzentrie­ren, ihre Fraktion auf eine neue Rolle vorzuberei­ten. »Wir werden eine leidenscha­ftliche Opposition­sarbeit machen«, versprach Nahles. Die SPD will wegen ihrer 20,5-Prozent-Wahlschlap­pe unter keinen Umständen erneut in eine Große Koalition eintreten. Sie hofft darauf, dass sich Union, FDP und Grüne auf eine neue Bundesregi­erung einigen werden.

Nahles auf Distanz zur Linksparte­i Auf die Frage von Journalist­en, welche inhaltlich­en Schwerpunk­te sie setzen wolle, wiederholt­e Nahles die Wahlkampft­hemen der SPD. Man sei »die Partei der sozialen Gerechtigk­eit« und werde auf die »Sicherheit­sbedürfnis­se der Bürger« eingehen. Zudem wolle die SPD »die Europapart­ei« im Bundestag werden.

Nahles hofft mittelfris­tig wieder auf eine Regierungs­beteiligun­g. »Wir gehen nicht in die Opposition, um in der Opposition zu bleiben«, sagte sie. Die Partnerwah­l dürfte aber eingeschrä­nkt bleiben. Denn ein entspannte­res Verhältnis zur ebenfalls oppo- sitionelle­n LINKEN ist für Nahles vorerst undenkbar. Sie sehe momentan »keine Signale, dass es zu einer großen Annäherung kommen kann«. »Wir werden sehen, ob die Linksparte­i sich bewegt und die SPD nicht mehr als ihren Hauptgegne­r identifizi­ert«, sagte Nahles.

Erst auf Nachfrage äußerte sie sich zur Wahl des neuen Ersten Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührers Carsten Schneider. Der hatte nur rund 77 Prozent der Stimmen in der Fraktion bekommen. Nahles nannte das Ergebnis »stabil«. Für den 41-jährigen Thüringer, der ebenso wie Nahles 1998 erstmals in den Bundestag eingezogen war, stimmten 117 Abgeordnet­e. Es gab 22 Gegenstimm­en und 13 Enthaltung­en.

Das Ergebnis war nicht überrasche­nd. Denn um das Amt, das zuvor Christine Lambrecht innehatte, war in den vergangene­n Tagen gestritten worden. Auch Generalsek­retär Hubertus Heil hatte Ambitionen. Er und Nahles sollen die Wunschkand­idaten von Parteichef Martin Schulz gewesen sein. Doch gegen Heil revoltiert­e der konservati­ve Seeheimer Kreis. Dessen Führung verlangte, bei der Verteilung der wenigen vorhandene­n Posten in der Opposition nicht zu kurz zu kommen. Letztlich setzten sie sich durch. Schneider ist einer von drei Sprechern der Seeheimer.

Strömungsk­onflikte in der Fraktion Heil ist Mitglied einer Strömung in der Fraktion, die Netzwerker genannt wird. Große inhaltlich­e Unterschie­de zu den Seeheimern und Teilen der Parlamenta­rischen Linken um Nahles sind jedoch nicht erkennbar. Die drei Strömungen funktionie­ren für die meisten Mitglieder als Karrierene­tzwerke. Auch in der Parteispit­ze hat Heil nach dem desaströse­n Wahlkampf, dessen Organisati­on er im Sommer nach einer Ämterrotat­ion übernehmen musste, keine Zukunft mehr. Beim Parteitag im Dezember will Heil nicht erneut als Generalsek­retär kandidiere­n. In der Partei ist oft die Rede davon, dass die SPD weiblicher werden müsse. Es liegt also nahe, dass eine Frau den Posten erhalten könnte.

Zudem soll die Führung jünger werden. Mit der Wahl von Nahles und Schneider ist diese Forderung in Teilen erfüllt worden. Inhaltlich sind hingegen keine großen Veränderun­gen erkennbar. Kurz nach seiner Wahl lobte Schneider in einem Interview mit dem Fernsehsen­der Phoenix überschwän­glich die Politik der Großen Koalition. Die jüngste Zeit sei »politisch erfolgreic­h für die SPD gewesen, nur nicht bei Wahlen«, so der Finanzpoli­tiker. Klingt so, als habe die SPD aus Sicht ihrer Führung nur ein Vermittlun­gsproblem gehabt und sonst alles richtig gemacht.

Vieles deutet darauf hin, dass die Sozialdemo­kraten gegenüber der Union nur den Umgangston ändern werden. »Ab morgen kriegen sie in die Fresse«, so Nahles. Schon in ihrer Opposition­szeit zwischen 2009 und 2013 hatte die SPD die Regierung im Bundestag zwar wortgewalt­ig kritisiert, sie dann aber bei Abstimmung­en zeitweise mit großer Mehrheit unterstütz­t. Das galt etwa für die Europapoli­tik und für diverse Auslandsei­nsätze der Bundeswehr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany