Katalonien unter globaler Beobachtung
Parlamentspräsidentin Carme Forcadell im nd-Interview: Ja, es wird ein Referendum geben
Die katalanische Regierung trifft letzte Vorbereitungen für das Referendum zur Unabhängigkeit am 1. Oktober. Die Frage ist nicht mehr, ob es stattfindet, sondern unter welchen Umständen. »Ja, es wird ein Referendum geben, geöffnete Wahllokale, Stimmzettel und Wahlurnen. Vor allem wird es lange Schlangen geben, weil die Menschen frei über ihre Zukunft abstimmen wollen«, sagte die Parlamentspräsidentin Kataloniens Carme Forcadell dem »neuen deutschland«.
Viele Schulen werden zum Sonntag als Wahllokale umfunktioniert. Die spanische Zentralregierung in Madrid will indes die Wahllokale besetzen lassen – unter anderem von der katalanischen Regionalpolizei Mossos d'Esquadra. Die findet das nicht in Ordnung. Die aus knapp 17 000 Beamten bestehende katalanische Polizei erklärte im Kurzbotschaftendienst Twitter, die Umsetzung des Dekrets berge die Gefahr »ungewünschter Folgen«. Diese beträfen die »Sicherheit der Bürger« und das »mehr als vorhersehbare Risiko«, dass die öffentliche Ordnung gestört werde.
Die in Katalonien grundsätzlich auch tätigen spanischen Polizeikräfte der Guardia Civil und Guardia Nacional plus die extra nach Katalonien geschickte Verstärkung werden alleine nicht in der Lage sein, das Referendum flächendeckend zu verhindern.
Bei ihrer Pressekonferenz am Freitag sagte die Regierung, dass auf 2315 Schulen und 6249 Wahllokale zurückgegriffen werden könne. Trotz der juristischen Drohungen aus Madrid gegen alle Personen, die sich an der Organisation der vom spanischen Verfassungsgericht für illegal erklärten Abstimmung beteiligen, haben sich nach Angaben der katalanischen Regierung neben den 7235 Mitarbeiter von Behörden über 50 000 Freiwillige als Helfer gemeldet. Regierungssprecher Jordi Turull versicherte, dass die Regierung »für jedes Problem eine Lösung finde«.
Die Generalitat – Kataloniens Regierung – ist sich klar darüber, dass der Wahlgang und die Ergebnisse unter den gegebenen Umständen weltweit mit Argusaugen beobachtet werden. Deswegen wird es am Sonntag »einen Mechanismus mit Personen geben, die in Bezug auf ihre Glaubwürdigkeit hinsichtlich von Beruf, akademischer Ausbildung und Person über jeden Zweifel erhaben sind«. Dieses Gremium soll für die Glaubwürdigkeit des Ergebnisses bürgen. Namentlich genannt wurden die Persönlichkeiten noch nicht, das wurde für Sonntag angekündigt.
Das Referendum ist das Ergebnis eines Prozesses, der 2012 an Fahrt aufnahm. Im März jenes Jahres gründete sich die zivile Unabhängigkeitsbewegung Katalanische Nationalversammlung (ANC). Die ANC war es, die am 11. September 2012 eine der machtvollsten Demonstrationen in der katalanischen Geschichte organisierte: Über 1,5 Millionen Menschen forderten in Barcelona die Unabhängigkeit Kataloniens. Das Motto: Für »Katalonien, ein neuer Staat in Europa«.
Umfragen zufolge war lange weniger als die Hälfte der Bevölkerung für eine Trennung, aber fast 80 Prozent wünschen ein Referendum über die Frage. Madrid jedoch nicht.
Über 50 000 Freiwillige haben sich zur Hilfe beim Plebiszit gemeldet. Regierung Kataloniens
Wird am Sonntag in Katalonien trotz der Drohungen der spanischen Regierung, ein Referendum mit allen Mitteln zu verhindern, die Abstimmung stattfinden?
Ja, es wird ein Referendum geben, geöffnete Wahllokale, Stimmzettel und Wahlurnen. Vor allem wird es lange Schlangen geben, weil die Menschen frei über ihre Zukunft abstimmen wollen.
Haben wir es mit einem »Aufruhr« zu tun?
Der spanische Generalstaatsanwalt José Manuel Maza spricht sogar schon von »Aufstand«. Gegen die 14 Beamten, die kürzlich bei Razzien in Ministerien festgenommen wurden, wird wegen »Aufruhr« ermittelt und eine Richterin am Nationalen Gerichtshof ermittelt auch unter diesem Vorwurf rund um die riesigen Gegendemonstrationen und ihre Veranstalter.
Zu Recht?
Es ist ein Skandal, dass von einem Aufruhrdelikt gesprochen wird. Das ist die Strategie von einigen Sektoren im spanischen Staat, der ein Bild von Chaos und Gewalt in Katalonien vermitteln will, das keinesfalls der Realität entspricht. Die Mobilisierungen der Bevölkerung in Katalonien waren stets friedlich, da die katalanische Gesellschaft gegen jede Art von Gewalt ist. Wir sprechen von einem Land mit 7,5 Millionen Einwohnern, in dem seit sechs Jahren immer wieder mehr als eine Million Menschen auf die Straßen gehen, ohne dass es Zwischenfälle gab.
Angesichts einer friedlichen, demokratischen und erwachsenen Gesellschaft, die in einem Referendum über ihre Zukunft frei entscheiden will, hat der Staat keinen Dialog angeboten: nur Anklagen, Festnahmen, Drohungen und die Verletzung von Grundrechten. Veranstaltungen wurden verboten – nicht nur in Katalonien –, die für das Selbstbestimmungsrecht eintreten, es sind mehr als 100 Webseiten gesperrt worden, in Redaktionen von Kommunikationsmedien und in Druckereien wurde eingedrungen, Korrespondenz abgefangen, gewählte Regierungsvertreter festgenommen und Mitglieder der Regierung und des Parlamentspräsidiums angeklagt. Trotz alledem: In Katalonien will ein sehr großer Teil der Gesellschaft abstimmen und das wird friedlich und demokratisch am 1. Oktober geschehen.
Wie erklären Sie das Festhalten am Referendum, das nach Ansicht der spanischen Regierung illegal ist und vom Verfassungsgericht ausgesetzt wurde?
Ein Referendum zur Selbstbestimmung ist legal, legitim und demokratisch. Die katalanische Regierung hat es per Gesetz angesetzt, das vom katalanischen Parlament beschlossen wurde. Es wird zudem von der überwiegenden Mehrheit der katalanischen Gesellschaft getragen. Das Recht auf Selbstbestimmung ist im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte als Men- schenrecht anerkannt. Den UNOVertragstext hat auch der spanische Staat unterzeichnet und ratifiziert.
Darüber hinaus ist es auch nach spanischem Recht, keine Straftat ein Referendum durchzuführen. Die Frage lautet deshalb: Warum respektiert die spanische Regierung nicht das legitime Recht der Katalanen, setzt stattdessen auf Repression und verstößt gegen internationales Recht? Warum wird strafrechtlich etwas verfolgt, was im eigenen Strafrecht keine Straftat ist? Weil man unfähig ist, politisch mit politischen Konflikten umzugehen.
Glauben Sie, dass Polizei und die Zivilgarde die Abstimmung verhindern? Was wird die Regionalpolizei tun?
Ich meine, dass die Polizei, bei einem demokratischen Vorgang wie am Sonntag, die öffentliche Ordnung und die Sicherheit der Menschen gewährleisten sollte. Die katalanische Gesellschaft wird abstimmen: friedlich, ruhig und heiter.
Was wird nach dem 1. Oktober passieren?
Nach dem Referendum müssen die Ergebnisse umgesetzt werden. So sieht es das Referendumsgesetz vor und so hat es Präsident Carles Puigdemont erklärt. Gewinnt das Nein, wird es Neuwahlen in Katalonien geben. Siegt das Ja, wird die Unabhängigkeit erklärt, nachdem die definitiven Ergebnisse veröffentlicht wurden. Das haben Puigdemont und Außenamtschef Raül Romeva verteidigt.
Gehen Sie davon aus, dass die Europäische Union ein unabhängiges Katalonien anerkennt?
Ja, davon bin ich überzeugt. Die Geschichte zeigt, dass die EU und Euro- pa stets von Pragmatismus geprägt sind. Katalonien erfüllt alle Voraussetzungen, um Teil der Europäischen Union zu sein. Hier operieren tausende multinationale Unternehmen, es ist das Tor für Güter, die aus Spanien in europäische Länder und in die Welt exportiert werden. Berücksichtigt man all diese Faktoren und analysiert die Reaktionen der EU auf neuartige Vorgänge, bin ich überzeugt davon, dass die beste Lösung für Katalonien, Spanien und Europa gefunden wird.
Sehen Sie sich in einem Jahr in einem unabhängigen Land oder in einem spanischen Gefängnis wegen Ungehorsam, Aufruhr, Aufstand ...? Ich sehe mich in einem Land, das frei über seine Zukunft entschieden hat. Über jedes Ergebnis hinaus wird Katalonien gewinnen, denn es hat entschieden. Und ich nehme Ihre Anmerkung zum spanischen Staat auf, um deutlich zu machen, dass weder die Unabhängigkeitsbewegung noch die Referendumsbefürworter antispanisch eingestellt sind. Wenn Katalonien unabhängig wird, wird keine Mauer entstehen. Katalonien wird weiterhin enge kulturelle, soziale, sprachliche und wirtschaftliche Verbindungen mit Spanien haben.