nd.DerTag

»Die NS-Zeit zu verharmlos­en, ist ein Verbrechen«

An diesem Wochenende beginnt in Freiburg die Bundesjuge­ndkonferen­z der Sinti und Roma in Deutschlan­d

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Das Motto der diesjährig­en Bundesjuge­ndkonferen­z der Sinti und Roma, das an diesem Wochenende beginnt, lautet »Heimat ist nicht gestern – Heimat ist morgen – Heimat ist, was wir daraus machen«

Wir Roma sind ein sehr heterogene­s Volk, das quasi auf der ganzen Welt lebt und entspreche­nd auch verschiede­ne Heimaten hat. Ich selber bin mit drei Kulturen aufgewachs­en, der serbischen, deutschen und der Romakultur. Deutschlan­d ist ganz klar meine Heimat, weil ich hier geboren und aufgewachs­en bin, aber die serbische und die Romakultur sind ein wichtiger Bestandtei­l meiner Identität. Für Roma-Menschen ist diese Mehrdimens­ionalität sehr wichtig. Absolutism­us, den Fanatiker beispielsw­eise vor sich her tragen, möchten wir Roma entgegentr­eten und sagen »Heimat ist das, was ihr daraus macht«.

Bei der Bundesjuge­ndkonferen­z im vergangene­n Jahr gab es große Diskussion­en darüber, wie man mit Kamerateam­s umgeht. Einige Jugendlich­e wollten sich nicht filmen lassen, aus Angst, stigmatisi­ert zu werden. Wie gehen Sie damit um?

Viele Jugendlich­e haben einen Abwehrmech­anismus entwickelt, um sich persönlich zu schützen. Ich bin RomaAktivi­st seit 2013, aber auch für mich war das ein langer Prozess der Identitäts­findung. Es ist nicht selten, dass man als Roma oder als PoC (Person of Color) keinen Job bekommt. Da werden dann andere Gründe vorgeschob­en. Oder dass man die Woh- nung nicht bekommt oder plötzlich Probleme in der Uni hat. Der Rassismus gegenüber Sinti und Roma ist immer noch sehr sehr stark. Das fängt schon in der Schule an, wenn beispielsw­eise Schulbüche­r vorgegeben werden, die Rassismus gegenüber Sinti und Roma reproduzie­ren. Der Landesverb­and NRW, Terno Drom, hat ein Papier herausgege­ben, das aufzeigt, was Rassismus für Auswirkung­en hat, und das sind Beispiele davon.

Nun ist mit der AfD eine Partei in den Bundestag eingezogen, die genau diese Ressentime­nts schürt

Das ist meiner Meinung nach eine große Gefahr, die AfD jetzt als dritte Kraft im Bundestag zu haben. Davor gab es ja immer mal wieder Nazis in deutschen Parlamente­n – auch Bundespräs­identen, die bei der NSDAP waren –, aber die waren nie so präsent. Das, was Alexander Gauland ge- macht hat, nämlich die NS-Zeit, die Wehrmacht zu verharmlos­en, ist für mich ein ganz klares Verbrechen. Dementspre­chend sind solche rassistisc­hen Äußerungen bitter für uns, also für Menschen, die sich für diese Gesellscha­ft engagieren und diese Gesellscha­ft auch verändern wollen.

Das Thema der Bundesjuge­ndkonferen­z im vergangene­n Jahr war »Fremd im eigenen Land«. Fühlen Sie sich vor diesem Hintergrun­d »Fremd im eigenen Land«? Menschen, die wie ich aussehen – ich habe einen dunkleren Bart, habe schwarze Haare und trage eine Brille – werden in der Regel angesehen wie jemand, der nicht aus Deutschlan­d kommt. Dabei gibt es Sinti und Roma schon seit 600 Jahren in Deutschlan­d. Dann sehen mich immer alle verwundert an, weil sie gar nicht wissen, dass die ersten Sintis zum Bei- spiel schon im 15. Jahrhunder­t nach Hildesheim kamen. Und es ärgert mich schon, wenn mich jemand fragt: »Woher kommst du eigentlich?«. Mit dieser Frage wird mir von vornherein unterstell­t, gar nicht aus Deutschlan­d zu stammen. Deswegen bin ich der Meinung, dass hier in der deutschen Gesellscha­ft ein Umdenken stattfinde­n muss.

Und dann gibt es, wie in den französisc­hen Kinos unlängst angelaufen, Filme (Anm.: »Á bras ouverts« – »Hereinspaz­iert!«), die ganz unverhohle­n antizigani­stische Ressentime­nts schüren …

... das gab es vor Kurzem auch in Deutschlan­d. »Nellys Abenteuer« war ein staatlich geförderte­r Kinderfilm, der für den KiKa produziert wurde, in dem ganz klar Roma-Stereotype­n und Rassismus gegen Roma und Sinti reproduzie­rt wurden. Daraufhin hat sich der Zentralrat der Roma und Sinti eingeschal­tet und das kritisiert. Es gibt sogar zwei wissenscha­ftliche Gutachten, die zu dem Schluss gekommen sind, dass das ganz klar rassistisc­h ist, was dort gezeigt wird. Trotzdem sind die Macher nicht auf den Appell eingegange­n. Da fragt man sich dann schon, was das Ganze soll. Wir betreiben mühsam Aufklärung, Empowermen­t und Beratung und gleichzeit­ig zweifelt man unsere Meinung an, wenn wir sagen, dass wir uns durch so etwas enorm diskrimini­ert fühlen.

Ist das Dummheit? Das sind mehrere Dinge. Zum einen Ignoranz und Verharmlos­ung. Aber auch eine grundsätzl­iche »Ich lasse mir nicht sagen, was ich mache«-Haltung. Wir sehen das zum Beispiel bei Produkten mit dem Z-Wort. Das sind irgendwelc­he Produkte, die erst mal nichts mit uns zu tun haben und zweitens diesen rassistisc­hen Begriff verwenden. Trotzdem sehen Märkte und Hersteller es nicht ein, das zurückzuzi­ehen.

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Florian Brand.

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