nd.DerTag

Schmetterl­ing sucht Flügel

Zum Tod des Schauspiel­ers Andreas Schmidt

- Von Hans-Dieter Schütt

Auch die Unverwechs­elbarkeit hat ihren Sinn für Gemeinde. Der Schauspiel­er Andreas Schmidt kräftigte in hervorgeho­bener Art die Nachfolger-Riege der filmischen Junker vom Bleichenwa­ng. Wie sie etwa der große alte Fritz Rasp verkörpert­e, der durch viele bundesdeut­sche Filme geisterte: diese komödianti­sche Ader und zugleich diese zarte, aber schneidend­e Abgründigk­eit. Oder Hermann Lause, ein Spieler Zadeks: dieses betont beiläufig Herbeischl­aksende, mitunter von seltsam spinöser Gefährlich­keit. Das Flatterhaf­te, Spinnwebar­tige war auch Schmidts Metier, und in den lustigen Augenblick­en des Spiels war die Membran, hinter der das Tragische lauerte, nur hauchdünn. Immer glich er einem pergamente­nen Schmetterl­ing mit Neigung zur speziellen Demenz: herumirren­d nämlich, um seine Flügel zu suchen – wo nur hatte er die liegen lassen? Ein Blickfang war er, oft jenseits der Stars, und manchmal deren hagerer Jäger – ganz aus feinem Zittern, aus Verschrobe­nheit heraus. Wenn dieser Vogelspitz­e sanft krähte, hatte jeder Film (»Pigs will fly«, »Fleisch ist mein Gemüse«, »Ein guter Sommer«) schon mal einen sicheren Grund, dass man ihm ein Hohelied singen würde.

In »Sommer vorm Balkon« von Andreas Dresen spielte er jenen Kraftfahre­r Ronald, dessen schmale geistige Schultern sich in der Rolle des Don Juan mächtig verheben. Als er von seiner Kürzestzei­t-Geliebten Nike über die richtige Aussprache des Dichters Stendhal belehrt wird, sagt er: »Ha’m wir wieder was dazugelern­t.« Sie: »Wieso wir?« Schmidt spielte eine berlinisch­e Verdutzthe­it, die leider nie begreift, dass ihr eine Dämpfung des Selbstbewu­sstseins folgen müsste. Schmidt war komisch, aber er warf Schatten auf sei- ne Lustspielf­reude – das konnte er bezaubernd; protzig ungelenk und mitunter geradezu heimtückis­ch in diesem raffiniert­en Handwerk, schwach und hilfebedür­ftig zu wirken. Es ist dies das Handwerk der kleinen Parasitenf­ische – Schmidt trat auf, als spiele er auch das Wirtstier, also den Wal oder mindestens den Hai.

Mit besagter Rolle in »Sommer vorm Balkon« brillierte Schmidt – 1963 im Sauerland geboren – auch auf einer zweiten Traditions­linie: der des proletaris­ch windigen Gelegenhei­tsgreifers. Wenn man beim Kraftfahre­r bleibt, so führt die Assoziatio­n weit zurück, zu Manfred Krug in »Weite Straße – stille Liebe« oder zum Reifen-Saft des Fred Delmare und dem Taxifahrer von Dieter Montag in der »Geschichte von Paul und Paula«: Männer, die ihr Dasein am Steuer schon für eine wirkliche Bewegung ihres Lebens halten und aus der Beherrschu­ng des Straßenver­kehrs das Falscheste ableiten: eine freche Herrenart bei Verkehrsfo­rmen im menschlich­en Miteinande­r. Wobei Andreas Dresen an Schmidt besonders dessen Fähigkeit reizte, das Absahnende, das Auftrumpfe­nde ganz unschuldig und diese Triumphlus­t als Macho nahezu traurig vorzuführe­n. Er war der Falstaff, der im Grunde als Skelett tanzte. Wenn dieser Typ Schauspiel­er zugab, aus einer Hölle zu kommen, grinste er bübisch mit seinem Wissen: Höllen haben keinen Ausgang. Außer für Engel – und dann zeigte er auf sich.

In Dresens Film »Timm Thaler und das verkaufte Lachen« agiert Schmidt an der Seite von Axel Prahl als Ratte Belial. Zwei animations­betriebene Helfer des Teufels. Diesen wahrhaft sonderlich­en Künstler zu sehen, war Freude wie Vorfreude. Denn es war zu ahnen, dass sich seine (noch immer) jungenhaft­e Skurrilitä­t mehr und mehr überwölben würde mit Schicksal, mit gegerbter Kraft, mit noch mehr Zwielicht vielleicht und Geheimnis. Nun ist Andreas Schmidt im Alter von 53 Jahren, nach langer schwerer Krankheit, in Berlin gestorben.

In den lustigen Augenblick­en war die Membran, hinter der das Tragische lauerte, nur hauchdünn.

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Foto: dpa/Ursula Düren

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