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Überlebens­kampf als Motivation

Folge 122 der nd-Serie »Ostkurve«: Aues Christian Tiffert über Ostderbys, Trainer und Privilegie­n im Erzgebirge

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Mit einem freundlich­en »Glück auf« grüßt Christian Tiffert. Er kommt vom Training und sagt, er habe es mit seinen 35 Jahren überlebt.Seine Karriere hatte er eigentlich schon beendet, nun spielt er seit gut zwei Jahren beim FC Erzgebirge und genießt das familiäre Umfeld in Aue. Mit dem gebürtigen Hallenser gelang dem Klub der Aufstieg in die zweite Liga und in der vergangene­n Saison der Klassenerh­alt. Mit dem Mittelfeld­spieler und Familienva­ter sprach

Alexander Ludewig über gute und schlechte Trainer, explodiere­nde Spieler, den Unterschie­d zur Bundesliga und die Freude am Beruf. Foto: imago/Sportfoto Rudel

Am Sonnabend empfängt Erzgebirge Aue den 1. FC Union Berlin. Sie sind in Halle geboren. Ist so ein Ostderby für Sie ein besonderes Spiel?

Ich sehe das etwas anders, weil ich sehr demütig geworden bin. Ich bin jetzt 35 Jahre alt und da ist jedes Spiel ein besonderes. So viele Fußballer gibt es jetzt ja nicht mehr, die in meinem Alter noch auf diesem Niveau spielen dürfen. Aber klar, Union ist ein toller Verein, ich spiele gern gegen Union, aber ich spiele auch gern gegen Kaiserslau­tern oder andere Klubs.

Und wie reagieren die Menschen im Umfeld des Vereins auf das Spiel. Herrscht unter den Fans oder in der Stadt eine besondere Atmosphäre? Nee, bisher habe ich das noch nicht so mitbekomme­n. Natürlich freut man sich hier auf ein Ostderby. Aber wir haben hier gerade sowieso eine richtig gute Stimmung. Nach vier Siegen aus den letzten fünf Spielen würden sich die Fans auch auf jedes andere Spiel freuen. Hinzu kommt, das Aue gegen Union zwar ein Ostderby ist. Aber für uns im Erzgebirge gibt es Spiele, die noch mal eine ganz andere Brisanz haben – gegen Zwickau, Dresden oder Chemnitz. Das sind für mich so richtige Dinger. Und für Union sind Spiele gegen Hertha BSC oder den BFC Dynamo sicherlich auch emotionale­r als gegen uns. Aber natürlich ist es schön in der zweiten Liga ein Ostderby spielen zu können, in der dritten Liga hat man das ja fast wöchentlic­h.

Haben Ostderbys oder die genannten brisanten Spiele im Nachhinein, ob Sieg oder Niederlage, auch noch eine besondere Wirkung?

Ja, es gibt schon Spiele, die etwas auslösen können. Aber die Partie gegen Union gehört nicht dazu. Beide Vereine verfolgen ihre eigenen Ziele.

In der vergangene­n Saison hatte der 1. FC Union das gleiche Ziel wie jetzt auch, den Aufstieg. Beim FC Erzgebirge ist es nach wie vor der Kampf um den Klassenerh­alt. Aue hatte in Berlin in einer schwierige­n Situation gewonnen. War da das Ostderby eine zusätzlich­e Motivation?

Nein. Nach dem richtigen Derby, dem Debakel gegen Dresden, worauf wir auch den Trainerwec­hsel hatten, mussten wir fast jedes Spiel gewinnen. Und da war das Auswärtssp­iel bei Union ein ganz normales. Hätten wir nicht gewonnen, wären wir wahrschein­lich abgestiege­n. Unsere Motivation war der Überlebens­kampf. Wird in Aue wenigstens darüber gesprochen, dass der FC Erzgebirge, nach dem momentanen Tabellenbi­ld, die Nummer eins im Osten ist? Nee, gar nicht. Solche Sachen zählen für uns gar nicht. Wir können nicht so vermessen sein und sagen, wir sind jetzt die Nummer eins im Osten. Das ist auch nicht unser Anspruch. Wir freuen uns, dass wir nach acht Spieltagen schon 13 Punkte haben. In der vergangene­n Saison hatten wir so viele Punkte erst nach der Hinrunde. Und jetzt müssen wir weiter Punkte sammeln, um nächstes Jahr als kleiner FC Erzgebirge wieder zweite Liga spielen zu dürfen. Das ist ein Privileg für uns. Nur darum geht es für uns.

Sie haben den Umschwung durch den Trainerwec­hsel in der vergangene­n Saison erwähnt. Der aktuelle Aufschwung begann ebenfalls mit einem Trainerwec­hsel schon nach zwei Spieltagen. Wie groß ist der Einfluss eines Trainers?

Jeder Trainer hat seine Spielphilo­sophie, er gibt die Richtung vor, er ist der Chef. Der Einfluss ist also riesengroß. Es gibt Trainer, deren Philosophi­e nicht zum Verein und noch viel wichtiger, nicht zu den jeweiligen Spielern passt. Genau das hinzubekom­men, ist die Aufgabe eines Trainers. Wenn es nicht läuft ist der Trainer, dann aber auch das schwächste Glied. Aber in solchen Situatione­n sollten sich auch manche Spieler hinterfrag­en. Es ist manchmal schon kurios, wenn Spieler gerade dann explodiere­n, wenn ein Trainer da ist.

Aber wie bei den Spielern gibt es doch auch unter den Trainer sicherlich gute und weniger gute.

Ja, natürlich. Aber es ist auch nicht immer so, dass jeder Trainer, der Spiele gewinnt auch gleichzeit­ig ein guter Trainer sein muss. Manchmal hast du eine gute Mannschaft, einen Erfolgslau­f oder einfach nur Glück. Manche Trainer sind gut, haben aber leider nicht das Spielglück.

Woran machen Sie unter Ihrem neuen Trainer Hannes Drews den Aufschwung fest?

Wenn gewisse Dinge, die uns vorgegeben werden, gleich funktionie­ren, dann kommt das Selbstvert­rauen. Damit steht und fällt im Sport vieles. Wie fühle ich mich am Spieltag? Ist die Mannschaft ballsicher? Das Wichtigste aber ist, dass wir uns auf die Spiele freuen. Egal ob da jetzt ein besonders großer Druck ist, ob die Gegner richtig gut sind oder nicht. Über die Freude am Beruf und am Spiel kommen auch gute Leistungen.

Sie sind als Spieler viel rumgekomme­n, haben in der Bundesliga, in Österreich und in den USA gespielt. Wie und warum haben vor zwei Jah- ren Sie den Weg zum FC Erzgebirge und in die dritte Liga gefunden?

Ich hatte meine Karriere ja eigentlich schon beendet. Ich war beim VfL Bochum, habe meinen Vertrag aufgelöst und war dann ein Jahr auf der Couch. Ich hatte mit dem Beruf Fußballpro­fi abgeschlos­sen. Durch einen glückliche­n Zufall, durch einen Mannschaft­skollegen, der mich beim Klub ins Gespräch gebracht hatte, obwohl ich das gar nicht wollte, ist der Kontakt dann zustande gekommen. Ab das ist das ganze Ding dann gelaufen. Dann wollte ich gucken, ob mir das noch Spaß macht, habe ein bisschen mittrainie­rt und dabei auch gemerkt, dass mir das eine Jahr Pause sehr, sehr gut getan hat. Ich habe ein ganz anderes Verhältnis zu dem Beruf Fußballpro­fi bekommen.

Wie hat sich denn Ihr Blick auf das Geschäft Profifußba­ll verändert? Ich bin sehr früh Profi geworden, spiele also schon relativ lange. Irgendwann wurde mir klar, dass ich nicht mehr Fußball spielen möchte, wenn mir das keinen Spaß mehr macht. In Bochum war es dann so, ich hatte keine Freude beim Training, wollte am Wochenende nicht mehr im Hotel schlafen und dann womöglich auch noch auf der Bank sitzen. Da habe ich dann meinen Vertrag aufgelöst. Man wird ja nicht bezahlt, um einfach nur beim Training anwesend zu sein, sondern man sollte schon auch seine Leistung bringen. Dann war ich ein Jahr Zuhause. Mir ging es wirklich gut, ich hab viel mit meinen Kindern und meiner Familie gemacht, hatte die Wochenende­n frei, es war alles in Ordnung. Dann haben sich die Sachen halt so ergeben. Und im Nachhinein bin ich froh drüber. Denn ich freue mich auf jedes Spiel und kann meinem Verein helfen. Auch die dritte Liga war gut. Wir haben den Aufstieg geschafft, auch das durfte ich zum ersten Mal in meiner Karriere erleben.

Sie haben um Titel gespielt, sind Meister in Österreich und Vizemeiste­r mit Stuttgart geworden. Fußballspi­elen in Aue ist ein ständiger Überlebens­kampf. Wie wirkt das auf einen Spieler?

Egal, ob es um Titel, Aufstieg oder Klassenerh­alt geht, Druck haben die meisten Vereine. Wenn es um nichts mehr geht, ist es für alle langweilig. Und mit dem Druck habe ich keine Probleme. Ich muss das ja auch ein bisschen vorleben. Also wenn ich jetzt noch anfange, mit 35 Jahren nervös zu werden, dann werden es meine jungen Mannschaft­skollegen auch.

Sie haben viele Vereine erlebt. Was ist besonders am FC Erzgebirge? Aue hat rund 17 000 Einwohner. Hier ist es sehr familiär. Jeder kennt jeden. Und alle wissen, dass es ein Privileg ist, in der zweiten Liga zu spielen und so verhalten sie sich auch. Und das steht ja auch auf unseren Aufwärmshi­rts: Kumpelvere­in, das sind wir.

In der Nähe gibt es ja mit RB Leipzig einen relativ neuen Konkurrent­en. Sie haben selber bei red Bull Salzburg gespielt. Wie bewerten Sie das Modell RB Leipzig und den Protest vieler Fans?

Als ich in Salzburg, da gab es RB Leipzig noch nicht. Also wurden auch noch keine Spieler zwischen den Klubs hinund hergeschob­en. Und eigentlich ist es mir egal, was RB Leipzig macht. Sie spielen auf jeden Fall einen guten Fußball. Und Leipzig ist eine tolle Stadt, die einen Erstligave­rein verdient hat. Wenn ich sehe, wie viele Zuschauer immer nach Leipzig kommen und wie viele sich auch in meiner Heimatstad­t Halle mit RB Leipzig identifizi­eren können, dann finde ich das auch völlig in Ordnung. Die Kritik der Fans verstehe ich zwar auch. Aber ich bin immer noch ein Spieler, kein Ultra oder Hardcorefa­n. Und ich spiele gern für meinen Verein.

Wie schafft man es mit 35 Jahren noch so wichtig für eine Mannschaft in der zweiten Liga zu sein? Da gehört viel Glück dazu. Meine Krankenakt­e ist, toi toi toi, ein leeres Blatt Papier. Ein Lob an meine Eltern für die guten Gene. Und man muss auf seinen Körper hören, der zeigt am ehesten, was ihm gut tut und was nicht. Also ich lebe ganz normal. Als Familienva­ter, wenn ich mit meinen Kindern unterwegs bin, kann ich auch nicht immer gucken, ob ich nun einen Salat esse oder ob es schon wieder zu viele Nudeln waren.

Sie kennen die erste und die zweite Liga. Früher hieß es, dass in der zweiten Liga ein anderer Fußball gespielt wird – körperbeto­nter, so dass sich spielerisc­h starke Mannschaft­en schwerer tun. Nun hatte Aue mit Domenico Tedesco einen Trainer, der jetzt Schalke 04 trainiert. Ist der Unterschie­d zwischen erster und zweiter Liga, vielleicht auch durch den Einfluss vieler junger Trainer, geringer geworden? Etwas schon. Aber in der ersten Liga hat man immer noch wesentlich mehr Räume und es wird mehr Fußball gespielt. In der zweiten Liga spielen immer noch viele Mannschaft­en defensiver, wollen erst mal nur zerstören. Der Fußball ist kampfbeton­ter und physischer. Und so steigt auch nicht immer die Mannschaft auf, die den besten Fußball spielt.

Sie haben im Sommer ihren ersten Trainersch­ein gemacht und haben als Spieler auch viele Trainer erlebt. Wie sehen Sie die Diskussion um die vielen jungen Trainer, die selbst nicht Profifußba­ll gespielt haben? Ich habe den Eliteschei­n gemacht. Und ich habe ihn erstaunlic­herweise auch sehr gut bestanden. Wenn ich Fußballleh­rer werden will, muss ich »nur« noch zwei weitere machen. Grundsätzl­ich glaube ich, dass jeder ein guter Trainer sein kann, ob er nun 200 Bundesliga­spiele hat oder nur 50 Mal in der Landesliga gespielt hat. Die Trainer, die keine Profifußba­ller waren, sehen es etwas analytisch­er, haben andere Ideen und bringen andere Aspekte ein. Ich glaube aber auch, dass jeder Trainer, der wenig Erfahrung im Profisport hat, froh ist über Spieler, die ihre Ansichten mit einbringen. Und ich habe bisher noch keinen unerfahren­en Trainer erlebt, der das nicht macht. Es ist sowieso nicht mehr wie früher, wo ein Trainer dasteht, was sagt und dann wird stur gefolgt. Es herrscht heute eine ganz andere Kommunikat­ion. Und gut ist, dass Vereine jetzt viel mutiger sind und unerfahren­en Trainern eine Chance geben.

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