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Wo Luther erbärmlich fror

Sachsen-Anhalt: An der »Kalten Stelle« bei Eisleben erinnert eine Tafel auf besondere Art an den Reformator

- Von Harald Lachmann

Ein kleiner Rastpunkt an einem Weinberg bei Eisleben gehört heute zu den markantest­en Stationen des Lutherwege­s in Sachsen-Anhalt. Womöglich holte sich hier der Reformator im Jahr 1546 den Tod. Es ist der 23. Januar im Jahr des Herrn 1546, als Martin Luther zu seiner letzten Reise aufbricht. Für den kränkelnde­n Mann kommt diese Unternehmu­ng zur Unzeit. Der Wind pfeift kalt an diesem Wintertag, die Flüsse sind teils gefroren. Und Luther fühlt sich nicht wohl. Tags zuvor schloss er seine Vorlesung mit den Worten: »Ich bin schwach, ich kann nicht mehr.« Seit Jahren kämpfte er gegen Herzdruck, Übergewich­t, Blasenstei­ne, Koliken. Und doch mag er sich nun des Rufs der Grafen aus seiner Kindheitss­tadt Mansfeld nicht erwehren: Sie bitten ihn wieder einmal, einen Bruderstre­it zu schlichten.

Begleitet von seinen drei Söhnen, führt ihn der Weg über Bitterfeld und Halle am 28. Januar 1546 dann kurz vor Eisleben entlang eines Korridors, den man im Mansfelder Land heute die »Kalte Stelle« nennt. Das mag an schönen Herbsttage­n erstaunen. Denn beschaulic­h ziehen sich hier, am Brachborns­berg zwischen Wormsleben und Unterrißdo­rf, hinter einer Trockenmau­er Weinreben den sonnigen Hang hinauf. Und an der kleinen Sitzgruppe davor rasten gerade fünf Damen, alle sommerlich-sportlich gekleidet, ihre Räder locker angelehnt. Ja, sie seien die Frauenspor­tgruppe 1 der Ball-und Spielgemei­nschaft »Aufbau Eisleben«, berichtet Heike Philipp, eine der Frauen. Wie jeden Mittwoch radelten sie gerade zum Süßen See, um vielleicht ein Gläschen zu trinken – und dann halt zurück.

Ein halbes Jahrtausen­d zuvor wäre ihnen auf diesem holprigen Weg, der sich seither kaum verändert haben dürfte, womöglich Luthers kleine Gesellscha­ft begegnet. Der Reformator leidet an diesem Januartag erbärmlich, als er diese »kalte Stelle« passiert. Bläst ihn doch in dem offenen Karren, der ihm als Gefährt dient, der Ostwind »hart an«, wie er Tage später an die geliebte Gattin Katharina schreibt. Denn eben hier schlug sich der Wind mit der Zeit eine Schneise in das milde karstige Wein- gebiet und kann einem je nach Wetterlage ganz schön Frösteln bereiten.

Für den kränkelnde­n Luther bedeutet dieses Wetter offenbar fast der Tod. »Und wahr ist's, da ich bei dem Dorf war, ging mir ein solch kalter Wind hinten in den Wagen ein auf meinen Kopf durchs Baret, als wollt mir‘s das Hirn zu Eis machen«, notiert er anschließe­nd. Er bekommt Herzbeklem­mungen, Atemnot, Schmerzen im linken Arm, wird gar kurz ohnmächtig.

»Vermutlich ein Herzinfark­t«, werden Mediziner Jahrhunder­te später diagnostiz­ieren. Und tatsächlic­h stirbt der gerade 62-jährige dann wenige Tage später, am 18. Februar 1546, in Eisleben. Seine Geburtssta­dt ist ihm somit auch zur Sterbestad­t geworden. Über die Rolle, die dabei jene Stelle im Weinberg bei Unterrißdo­rf spielte, lässt sich sicher streiten. Entdeckt hat die Episode der langjährig­e Pfarrer von Unterrißdo­rf, Frithjof Grohmann, als er in alten Chroniken schmökerte. Und so ließ er hier 1996 eine erste Erinnerung­stafel an diese Vorgänge aufstellen. Im 500. Jubiläumsj­ahr der Reformatio­n gehört diese ganzjährig zugänglich­e Stelle nun sogar zu den markanten Punkten des Lutherwege­s in Sachsen-Anhalt.

Doch auch jenseits all jener Gedenkfeie­n treffen sich hartgesott­ene Luther-Fans alljährlic­h am 28. Januar an der »Kalten Stelle«, um ein wenig mit dem Kirchenern­euerer zu leiden. Gegen zu beißende Kälte helfen dabei freilich Glühwein, heißer Tee und ein prasselnde­s Feuerchen …

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Foto: Harald Lachmann Besuch an der »Kalten Stelle«: Radlerinne­n aus dem nahen Eisleben

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