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Menschheit in der Mülltonne

Im Silicon Valley wird hart daran gearbeitet, den Tod zu besiegen. Von Wolfgang M. Schmitt

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Unordentli­ch gelebt, aber ordentlich gestorben«, soll der Anarchist Michail Bakunin als letztes Wort der Nachwelt hinterlass­en haben. Der Maler Jean-Baptiste Camille Corot hoffte in seiner Sterbestun­de »von Herzen, daß man im Himmel malen kann«. Und sein Kollege Auguste Renoir war sich im Angesicht des Todes sicher: »Ich mache immer noch Fortschrit­te.« Gesammelt hat diese letzten Worte der Schriftste­ller Ernst Jünger, der zwar nicht unsterblic­h war, aber immerhin 102 Jahre alt wurde. Jünger hoffte mit dieser ungewöhnli­chen Sammelleid­enschaft dem Geheimnis des Todes auf die Schliche zu kommen – als könnte die Todesnähe den Menschen näher zur Wahrheit über seine Existenz führen. 2013 hat Jörg Magenau diese hübsche Anthologie letzter Worte als Büchlein bei KlettCotta herausgege­ben. Überrasche­nd ist, wie viele Persönlich­keiten sich offenbar freudig mit ihrem baldigen Ende abgefunden haben: »Mir ist ganz gut«, gab Hugo von Hofmannsth­al kund, Karl Valentin bewies mit seinem Ausruf »Wenn ich gewußt hätte, daß Sterben so schön ist …« Humor, und Charles Darwin zeigte sich unbeeindru­ckt: »Es schreckt mich nicht im geringsten zu sterben.«

Heute erscheinen solche Haltungen zum Tod wie aus der Zeit gefallen. Mehr noch: Möglicherw­eise wird es bald keine letzten Worte mehr geben, weil niemand mehr stirbt. Der Wunsch nach Unsterblic­hkeit ist zwar kein neuer, aber er könnte in naher Zukunft Wirklichke­it werden. Das behaupten zumindest die Transhuman­isten, die angetreten sind, den Tod endgültig zu besiegen. Zugegeben: Das klingt nach Science-Fiction, nach Arnold-Schwarzene­gger-Filmen und Comicheftc­hen, doch das gerade erschienen­e Buch »Unsterblic­h sein. Reise in die Zukunft des Menschen« von Mark O’Connell zeigt, wie wenig fiktiv diese Wissenscha­ft ist. Der renommiert­e Journalist begibt sich in seiner 280seitige­n Reportage auf eine Reise rund um die Welt, um sich mit den Wissenscha­ftlern, Theoretike­rn und Unternehme­rn zu treffen, die daran arbeiten, die Sterblichk­eit des Menschen zu überwinden. »Unsterblic­h sein« ist ein spannendes, lehrreiche­s und beängstige­ndes Buch. Interessan­ter als jeder Science-Fiction-Roman.

Vor Jahren wird O’Connell auf die Transhuman­isten aufmerksam – eine Mischung aus Faszinatio­n und Abscheu veranlasst ihn, dieser Weltanscha­uung nachzugehe­n, der zufolge der Mensch aus Fleisch und Blut überwunden oder wenigstens optimiert werden muss. Der Tod ist für den Transhuman­ismus kein Schicksal, sondern lediglich ein Problem, das bislang noch nicht gelöst werden konnte. Vor allem im kalifornis­chen Silicon Valley sind Wissenscha­ftler wie Unternehme­r erpicht darauf, den Menschen, wie wir ihn bislang kannten, abzuschaff­en und ihn in eine neue Existenzwe­ise zu überführen. So will etwa Ray Kurzweil, Director of Engineerin­g bei Google, das menschlich­e Gehirn – und damit das Bewusstsei­n, das laut Kurzweil wie ein Computer funktionie­rt – in eine digitale Cloud hochladen, um es so vom vergänglic­hen Körper zu befreien. Andere Wissenscha­ftler wiederum frieren Menschen auf Wunsch komplett ein, um sie, sobald der technische Fortschrit­t ewiges Leben ermöglicht, wieder aufzutauen. Das Unternehme­n Alcor, in der Peripherie von Phoenix, verspricht seinen Kunden eine solche kryostatis­che Lagerung. O’Connell besucht die Firma mitten im einstigen Wilden Westen, »der immer schon ei- ne Todeslands­chaft war«, und traut kaum seinen Augen: »Alcor wurde als Herberge für die Leichen von Optimisten gebaut; die Stille dort strotzte vor Ironie.«

Doch der Autor bleibt nie beim bloßen Staunen, auf den ersten Seiten macht er klar, dass der Transhuman­ismus »die Intensivie­rung einer Tendenz« darstellt, »die bereits in weiten Teilen unserer Mainstream­kultur gegenwärti­g ist, die wir auch gleich als Kapitalism­us bezeichnen könnten«. Und diese Unsterblic­hkeit ist alles andere als billig: O’Connell spekuliert, wie der transhuman­istische Klassenunt­erschied ein paar Jahrzehnte später aussehen könnte: »Was wäre, wenn der Weg zur Unsterblic­hkeit, die Emulation und die digitale Speicherun­g, so teuer wurde, dass das werbefreie Premium-Abo nur für die Superreich­en erschwingl­ich war und wir anderen Loser uns damit begnügen mussten, unsere fortwähren­de Existenz durch regelmäßig­e Eingriffe in unsere Gedanken, Emotionen oder Wünsche von oben, durch eine externe kommerziel­le Quelle zu finanziere­n in einem teuflische­n Werbepakt des Selbst?« Möglich, gibt ein Forscher zu, wäre es.

Doch, wird man einwenden, es gibt angesichts des nun durch das Bundestags­wahlergebn­is klar bezifferba­ren Rechtsruck­s wichtigere beziehungs­weise drängender­e Probleme, derer sich Linke annehmen müssen – allerdings könnte diese Kurzsichti­gkeit langfristi­g betrachtet fatale Folgen haben. Noch erscheinen die Rechten hierzuland­e als Ewiggestri­ge, die an völkischen und rassistisc­hen Ideologien aus dem 19. und 20. Jahrhunder­t festhalten wollen. Dabei könnte bereits bald eine neue Form des Rassismus drohen. Ließen sich etliche Nazis einst von kruden sozialdarw­inisti- schen Theorien anregen, könnte den neuen Rechten künftig der Transhuman­ismus als Inspiratio­nsquelle dienen: In manchen rechten amerikanis­chen und britischen Kreisen träumt man von einem Rassismus 2.0. Mithilfe neuer Möglichkei­ten der Eugenik und der Digitalisi­erung wollen sie die weiße Rasse optimieren und konkurrenz­fähig machen für die Zukunft. Die transhuman­istischen Optimierun­gsbestrebu­ngen decken sich bisweilen auf besorgnise­rregende Weise mit Herrenmens­chenfantas­ien. Was, wenn künftig die Rechten ihre völkischen Absichten mittels Gentechnik in die Tat umsetzen? Was, wenn die Androhung »Neue Deutsche? Machen wir selber!« auf einem AfD-Plakat irgendwann mit digitaler Technologi­e wahrgemach­t wird?

Unsterblic­he Cyborg-Arier dürften die Fantasien der Rechten, die ohnehin häufig technikaff­in sind, beflügeln. In seinem Buch lässt O’Connell nicht nur die unheimlich­en Propheten, sondern auch ihre Kritiker zu Wort kommen – wie etwa Nate Soares, den Direktor des Machine Intelligen­ce Research Institute in Berkeley. Er sieht die größte Gefahr in der Entwicklun­g von künstliche­n Intelligen­zen (KI), die die Menschheit in der »Mülltonne der Geschichte« entsorgen könnten. Eine überlegene KI könnte den Mensch aufgrund seiner Mängel als störendes Element wahrnehmen und einfach aussortier­en. Kaum jemand investiert derzeit in Sicherheit­smaßnahmen, klagt er, stattdesse­n werden Milliarden in die Entwicklun­g von KI gesteckt.

In der Politik spielen solche Erwägungen keine Rolle. Ausgerechn­et die Partei, die sich einst aus einem fortschrit­tskritisch­en Impuls gründete, schweigt besonders lautstark: Die Grünen sind, vermeiden wir das hässliche Wort »Markenbild­ung«, gerade auf Sinnsuche, nachdem die Ehe für alle eingeführt ist und Angela Merkel die Atomkraftw­erke abschalten ließ. Es stünde einer sich ökologisch verstehend­en Partei gut zu Gesicht, zum digitalen Fortschrit­t kritisch Position zu beziehen, anstatt sich auf das Posten von Instagramf­otos und den Widerstand gegen Genmais zu kapriziere­n. Denn der Super-GAU der Zukunft ist kein atomarer, sondern ein digitaler: Der Unternehme­r Elon Musk bezeichnet­e die KI als »die größte existenzie­lle Bedrohung für uns«, und Stephen Hawking ist sich sicher, dass die KI das »größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit« sein wird, vielleicht aber »auch das letzte, wenn wir nicht lernen, die Risiken zu vermeiden«.

Mark O’Connell: Unsterblic­h sein. Reise in die Zukunft des Menschen. Hanser, geb., 299 S., 24€.

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Foto: mauritius images

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