nd.DerTag

Huch, Ossis

- Von Paula Irmschler

Als in den 1990er Jahren der 13. Februar in Dresden und das Opfergejau­le um die Frauenkirc­he von den wahren Rechtsextr­emen instrument­alisiert wurde, waren alle ganz überrascht. Als sich in den 2000ern das »Gedenken an den Bombenangr­iff« zum größten europäisch­en Naziaufmar­sch entwickelt­e, waren alle ganz überrascht. Als 2004 die NPD in den sächsische­n Landtag einzog, war man wieder überrascht. 2009 dann noch mal das Gleiche und auch da: große Überraschu­ng. Als der NSU, der jahrelang in Sachsen untertauch­en konnte, aufflog, waren alle ganz überrascht. Als Pegida Ende 2014 anfing, montäglich durch Dresden zu ziehen, was waren alle da? Klar, überrascht. Und dann erinnern wir uns an die unzähligen Angriffe auf Flüchtling­sheime 2015 und 2016, viele davon in Sachsen, unheimlich viele davon, und Erstaunen in den alten Bundesländ­ern. Und jetzt die AfD als stärkste sächsische Kraft für den Bundestag und alle wieder so: Wie konnte das denn passieren? Oder: diese blöden Ossis. Aber niemals: Wir müssen ernsthaft etwas tun und uns sächsische Strukturen anschauen.

Dabei geht es nicht darum, mit Nazis zu reden, die Sorgen besorgter Bürger ernstzuneh­men und Verständni­s aufzubring­en. Rassisten sind Rassisten, weil sie Rassisten sein wollen. Leute lesen das Wahlprogra­mm der AfD nicht, weil sie es nicht lesen wollen und weil sie in Kauf nehmen, dass sie, zugunsten polemische­n Unsinns, selbst verlieren. Viele Sachsen sind unsolidari­sch, weil sie unsolidari­sch sein wollen. Aber es gibt Menschen, die direkt unter Rassismus und abwesender Solidaritä­t leiden. Das sind die Menschen, die nicht weiß sind, das sind Menschen, die nicht privilegie­rt sind, Menschen, die linke Arbeit leisten wollen. Man kann also sagen, die Ossis sind nicht zu retten, aber damit gewinnt man nichts außer Gemütlichk­eit. Und die Verlierer sind die Betroffene­n strukturel­ler und direkter Gewalt.

Stattdesse­n kann man sich auch bewusst machen, warum menschenve­rachtende Gruppen gewinnen und nicht progressiv­e. Und dann ist alles so gar keine Überraschu­ng mehr. Denn statt Rechtsextr­emismus zu bekämpfen, wird Linksextre­mismus bekämpft. Statt Projekte zu unterstütz­en, die sich gegen Rechtsextr­emismus engagieren, werden ihnen in Sachsen Steine in den Weg gelegt oder Finanzieru­ngen gestrichen. Statt Objektivit­ät zu wahren, sympathisi­eren Polizisten auf Demos mit Rechten. Statt auf das Zustandeko­mmen und die Besonderhe­iten von rechter Politik einzugehen, malen sächsische Professore­n ein Hufeisen an die Tafel und tun links wie rechts als ebenbürtig­e Spinneride­ologien ab. Statt rechte Gruppierun­gen zu beobachten, werden linke abgehört. Und statt solidarisc­h mit linken Kräften zu sein, machen westliche Linke Späßchen über den Wiederaufb­au der Mauer und den verlorenen Osten. Kann man so machen. Man kann resigniere­n. Aber dann seid wenigsten nicht überrascht.

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Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegel­t
Grafik: 123rf/shadowalic­e Abgebügelt Paula Irmschler ist freie Autorin und kümmert sich an dieser Stelle alle 14 Tage um Dinge, denen man nur mit Heißdampf begegnen kann. Die Kolumne unter: dasND.de/abgebuegel­t

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