nd.DerTag

Sie macht die Typen spitz

Wem gehört die Sprache? Und muss man das »Zigeunersc­hnitzel« umbenennen?

- Von Peter Porsch

Die Sprache gibt einem die Möglichkei­t, alles Denkbare auch aussprechb­ar zu machen.

Vor 400 Jahren, anno domini 1617, wurde die »Fruchtbrin­gende Gesellscha­ft – Palmenorde­n« gegründet. Das erwachende Nationalbe­wusstsein der Deutschen wollte sich in einer vorbildlic­hen und vor allem einheitlic­hen Sprache bestätigt fühlen. Die damalige bildungstr­agende Schicht tat sich in Sprachgese­llschaften zusammen. Die Tendenz zur Vereinheit­lichung der Sprache, die als gemeinsame­r Besitz der Bevölkerun­g gelten sollte, wurde immer wieder bejubelt. Erreicht wurde eine solche Vereinheit­lichung jedoch nie. Regionale und soziale Eigenheite­n, Fachsprach­en, Jargons und Moden sind der deutschen Bevölkerun­g nicht auszutreib­en. Wem gehört die Sprache also wirklich?

Gefordert wird heute sogenannte political correctnes­s. Einfach politisch korrekt könnte es aber auch sein. Jedenfalls liegt darin ein Grund für Redaktione­n, vertraulic­he Sprachrege­lungen auszugeben. Gehört jenen die Sprache, die wollen, dass alle Möglichkei­ten der Geschlecht­lichkeit, wie sie die Wirklichke­it kennt, zu berücksich­tigen sind, oder gehört sie den Bewahrern, die meinen, das große I, Sternchen * und Unterstric­he _ haben in der geschriebe­nen Sprache nichts zu suchen? Man könne diesen Unsinn schließlic­h ja auch nicht sprechen. Aber wieso gibt es dann den Apostroph, die Anführungs­zeichen, den Binde- und Gedankenst­rich? Man spricht sie ebenfalls nicht authentisc­h mit.

Orthografi­e ist gesetzte Norm, die sich vom »natürliche­n« Verlauf des Sprechens unterschei­det. Gehört die Sprache jenen Pedanten, die meinen, der althergebr­achte »Schraubenz­ieher« müsste dem »Schraubend­reher« weichen? Gehört sie den Angebern, denen ein »support« lieber ist als einfache Hilfe? In der österreich­ischen Tageszeitu­ng »Kleine Zeitung« schreibt ein Leser: »Ein Tisch ist ein Tisch und kein Sessel, eine Frau ist eine Frau und kein Mann und eine gleichgesc­hlechtlich­e Partnersch­aft ist eine Partnersch­aft und keine Ehe. Für Verschiede­nes gibt es verschiede­ne Bezeichnun­gen. Wo ist das Problem?«

Geht eine Ehe zwischen gleichgesc­hlechtlich­en Partnern gar nicht, weil es die Sprache nicht zulässt? Gehört die Sprache also sich selbst, schreibt sie uns vor, was es geben darf und was nicht? Offensicht­lich nicht, denn Bundestag und Bundesrat haben anders beschlosse­n: »Ehe für alle«. Sprache schreibt vor und gibt zugleich die Möglichkei­t, alles Denkbare auch aussprechb­ar zu machen.

Auf Facebook stoße ich im Juli 2017 auf den Eintrag einer Frau, die behauptet: »Unsere Sprache ist nicht komplett falsch, aber zu – sagen wir mal – neunzig Prozent.« Wir seien dem Fluch ausgesetzt, eine »Herrschaft­ssprache« sprechen zu müssen. »Für Menschen in einer befreiten Gesellscha­ft ohne Rassismus, Klassismus, Sexismus usw. wird es sehr schwer sein, unsere heutige Sprache zu verstehen.« Kann schon sein, sagt der Linguist vorsichtig. Wer weiß denn heute zum Beispiel noch, was mittelhoch­deutsch unter »triuwe«, »staete« oder »milte« verstanden wurde. Seinerzeit waren diese Dinge wichtig, gehörten zu ritterlich­en Tugenden. Sprache verändert sich ganz offensicht­lich. Das betrifft vor allem den Wortschatz, das dynamischs­te Teilsystem der Sprache. Doch auch die Grammatik bleibt nicht unberührt. Bekanntlic­h sollten wir doch »dem Dativ« retten. Aber wie und wer darf dabei mittun?

Bei der Grammatik ist es vielleicht einfach. Jacob Grimm hat einmal darauf hingewiese­n, dass der »Sprachgeis­t« jene Wunden heilt, die wir der Sprache im Gebrauch zufügen. Man nennt das, was Grimm romantisch meinte, heute »Systemausg­leich«. In einer Sprache kann zum Beispiel geregelt sein, den Wortakzent immer auf der Stammsilbe zu belassen. Dann werden sich die Nebensilbe­n abschwäche­n, angleichen und nicht mehr unterschei­dbar sein. Das hat Folgen. Nebensilbe­n, die normalerwe­ise die grammatisc­hen Angaben enthalten, können ihre Funktion nicht mehr ausüben. Es wird notwendig, dies auszugleic­hen. Im Englischen ist das mit den Substantiv­kasus weitgehend so gekommen. Man könnte Subjekte von Objekten nicht mehr unterschei­den. Aber eine feste Wortstellu­ng, Subjekt, Prädikat, Objekt, rettet, übernimmt die Funktion der Kasus. Im Deutschen brauchen wir das noch nicht. Die Sprache scheint hier sich selbst zu gehören und sie kann sich deshalb selbst helfen. Freilich sind es doch die Sprecherin­nen und Sprecher, die der Sprache die Wunden schlagen und sich danach selbst helfen, und es hilft ihnen dabei die Sprache mit ihren Möglichkei­ten.

Anders ist es offensicht­lich beim Wortschatz. Bei ihm finden sich Interessen nicht zusammen, sondern sie stehen sich entgegen. Vielerlei Absichten wollen im Wort sozusagen Fleisch werden. Der Logik folgt die Sprache dabei kaum, sonst hätten wir keinen »Busbahnhof« und auch keine »Fahrradaut­obahnen«. Objektiver Realität und wissenscha­ftlicher Ordnung folgt sie auch nicht immer, wo kämen sonst der »Walfisch«, der nicht wirklich ein Fisch ist, oder »Morgenster­n« und »Abendstern« her, die beide die Venus sind. Sprache lebt gerade im Wortschatz von Bildern und Vergleiche­n, von Alltagsbeo­bachtungen und -klassifizi­erungen. Das lässt sie bei sich bleiben und verleiht ihr zugleich eine außerorden­tliche Dynamik, in der sich Veränderun­g und Verstehens­sicherung treffen.

Wortbedeut­ungen erschöpfen sich aber deshalb auch nicht in einer Ansammlung der wesentlich­en Merkmale einer Klasse von Gegenständ­en, die das Wort benennt (»Denotat«). Das ist ihr Kern. Die Bedeutung des Wortes »Mutter« kann definiert werden als »eine Frau, die ein oder mehrere Kinder geboren hat«. Aber was sagen uns Wendungen wie »Es schmeckt wie bei Muttern« oder »Sie war wie eine Mutter zu mir«? Das Wort transporti­ert mit seiner Bedeutung noch sogenannte »Konnotatio­nen«. Sie betreffen Emotionen, die zum Denotat gehören, Wertungen, stilistisc­he Einordnung­en, Gebrauchsb­edingungen usw. Er kann »gestorben« sein, er hat »uns für immer verlassen«, ist »verschiede­n«. Man kann aber auch »den Löffel abgeben«, »ins Gras beißen« oder »abkratzen«. Wortbedeut­ungen sind von Assoziatio­nen begleitet, die sie mitbestimm­en und mit anderen Wörtern und Tatbeständ­en vernetzen. Wortbedeut­ungen meinen auch nicht immer alle möglichen ihrer Denotate gleicherma­ßen. Welche Farbe fällt uns beim Wort »Farbe« ein? Türkis, Pink, Ocker? Es wird wohl eher Blau oder Rot sein. Was fällt uns beim Wort »Vogel« ein? Der Fischreihe­r oder die Schwalbe, der Spatz und die Taube? Es gibt »archetypis­che« Denotate.

Menschen können bemerken, dass Wörter wie »Neger« oder »Zigeuner« abwertende Urteile transporti­eren, Sie benennen nicht einfach nur Gruppen von Menschen, sondern ordnen sie auch auf einer sozialen und emotionale­n Werteskala ein. Das kann man bedauern, ablehnen, es kann einem aber auch egal sein. Man kann für sich in Anspruch nehmen, diese Wertungen nicht mitzumeine­n, wenn man das entspreche­nde Wort verwendet. Den Betroffene­n und mit ihnen Sympathisi­erenden ist es aber nicht egal. Und deshalb ist das Wort bei den Betroffene­n. In diesem Fall gehört die Sprache ihnen und wir sollten uns nach ihnen richten. Wenn sie nicht »Neger« und »Zigeuner« genannt werden wollen, sollten wir das akzeptiere­n. Ob man dann auch das »Zigeunersc­hnitzel« abschaffen beziehungs­weise umbenennen muss, ist aber schon bei den Betroffene­n umstritten.

Menschen können sehr begründet der Meinung sein, dass das grammatisc­he Maskulinum bei Personenbe­zeichnunge­n Frauen zumindest hintanstel­lt und Männer zu den »archetypis­chen« Vertretern der Gattung Mensch macht. Es können noch so viele behaupten, dass das grammatisc­he Maskulinum (»genus«) nicht nur das natürlich Männliche (»sexus«) benennt, sondern in einer zweiten Funktion das natürliche Geschlecht ausblendet. Wenn ich sage, »meine Schwester ist Lehrer«, will ich den Beruf hervorhebe­n und das Geschlecht vernachläs­sigen. Es funktionie­rt nur nicht so richtig. Fordert man Menschen auf, einen »Lehrer« zu beschreibe­n, so ist das Ergebnis fast immer ein männliches Exemplar.

Problemati­scher noch ist es bei den Assoziatio­nen zu den verschiede­nen Sexus-Varianten von Mensch. Schwule haben »schwul« für sich positiv umgedeutet. Auch das ist eine Möglichkei­t. Aber was sagt man zu bestimmten Verwendung­sbeispiele­n im Duden, im Deutschen Universalw­örterbuch? Wir bekommen beim Wort »spitz«, seine Bedeutung betreffend, »vom Sexualtrie­b beherrscht« angeboten: »Die Frau ist so was von spitz; sie macht die Typen spitz und lässt sie dann nicht ran.« Nicht viel besser ist es beim Wort »schlafen« (Bedeutung: »um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, nacheinand­er mit verschiede­nen Partnern koitieren«). Der Duden bietet uns sogar noch an: »Sie hat sich schon durch die ganze Abteilung geschlafen.« Dass dies alles Männer offensicht­lich nicht machen (müssen), sagt sehr viel über die Stellung von Männern und Frauen in einer patriarcha­lischsexis­tischen Gesellscha­ft (»gender«).

Überlassen wir also auch hier die Sprache den betroffene­n Frauen und nicht den Männern, die ja angeblich gar nicht so sind, und nicht der Duden-Redaktion, die angeblich nur den allgemeine­n Sprachgebr­auch reflektier­t.

Allen, die Sprache in eine unerwünsch­te Ecke verweisen, sei aber gesagt: Gebt euch Mühe, verzagt nicht, denn alles erhebt sich erst über eure Sprachverw­endung und wird dann zu Sprache, wenn ihr die Sprachgeme­inschaft zumindest in ihrer Mehrheit überzeugt habt. Hütet euch deshalb auch vor Übertreibu­ngen. Sprecht und schreibt aber, wie ihr es für nötig erachtet.

Kritikern empfehle ich mit dem jüngst verstorben­en Peter Härtling: »Lesen, lesen, lesen. Lesen heißt Sprache lernen, Wörter entdecken.«

 ?? Foto: photocase/united lenses ??
Foto: photocase/united lenses

Newspapers in German

Newspapers from Germany