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Wenn das Immunsyste­m spinnt

Der Virologe Stephan Becker über die Erforschun­g der Filoviren, zu denen auch Ebola gehört

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Was verhindert heute, dass sich so etwas wie der Marburg-Virus-Ausbruch von 1967 wiederhole­n kann? Für die Arbeit mit solchen Viren hat man heute ein separates Hochsicher­heitslabor. Man trägt dort Schutzanzü­ge, die von außen belüftet werden, so dass man keinen direkten Kontakt mehr mit der Laborluft hat, und einige Lagen Handschuhe. Die Laborluft wird so gefiltert, dass die Viren nicht in die Umwelt gelangen können. Außerdem haben sich seit damals die Quarantäne­vorschrift­en für Tierimport­e sehr verschärft. Man kann nicht mehr einfach Tiere aus Wildfängen verwenden und direkt im Labor mit ihnen arbeiten.

Was unterschei­det Filoviren von anderen Viren?

Besonders ist erstmal ihre Struktur: Das sind fadenförmi­ge Viren, fast so lang wie Bakterien! Als vor 50 Jahren das Marburg-Virus entdeckt wurde, hatte man solche Viren noch nie gesehen, es war ganz klar, dass es sich dabei um eine neue Klasse handelt. Das hat sich dann bestätigt, als neun Jahre später in Afrika das Ebola-Virus entdeckt wurde, das ganz ähnlich aussieht. Was Filoviren noch auszeichne­t, ist ihre Gefährlich­keit für den Menschen: dass sie in der Lage sind, sie so krank zu machen, dass eine beträchtli­che Anzahl der Infizierte­n stirbt.

Woran liegt das?

Wir nehmen heute an, dass sich das menschlich­e Immunsyste­m nicht mit diesen Viren zurechtfin­det. Es reagiert falsch. Es stößt sehr viele Botenstoff­e aus, die nicht reguliert wer- den und dann zu Blutungen führen können. Das Gefäßsyste­m verliert viel Flüssigkei­t, so dass die Organe – auch das Gehirn – nicht mehr richtig durchblute­t werden und in ihnen ein Sauerstoff­mangel entsteht. So kann es schließlic­h passieren, dass der Patient an einem Multiorgan­versagen stirbt.

Könnte das Ebola-Virus eine Mutation des Marburg-Virus sein, oder wie groß ist überhaupt die Gefahr von Mutationen und einer stärkeren Ausbreitun­g dieser Erreger? Marburg- und Ebola-Virus sind wohl nicht auseinande­r hervorgega­ngen, haben aber gemeinsame Vorfahren. Man könnte sagen, sie sind vielleicht Cousins von der Verwandtsc­haftsnähe her. Filoviren gehören zu den RNAViren: Ihr Genom besteht aus einem Strang von RNA (einer der beiden Typen von Erbgut-Molekülen – d. Red.). Sie zeichnen sich durch eine hohe Mutationsr­ate aus. Das liegt daran, dass das Enzym, das das Virusgenom vervielfäl­tigt, nicht so wie die Enzyme in der menschlich­en Zelle durch Korrekturf­unktionen ausgestatt­et ist und so darin regelmäßig Fehler eingebaut werden. Die einzelnen Virusparti­kel sind also alle etwas unterschie­dlich, und das ist auch wichtig für das Virus: So können, etwa wenn es sich von einem Tier auf den Mensch überträgt und dort ganz andere Verhältnis­se vorfindet, die Partikel herausgepi­ckt und vermehrt werden, die am besten angepasst sind an die neue Situation. Das gilt aber für alle RNA-Viren, also auch für SchnupfenV­iren oder das Influenza-Virus.

Sowohl das Marburg-Virus als auch das Ebola-Virus hatten als Wirtstier Fledertier­e. Ist das bei allen Filoviren so?

Beim Marburg-Virus ist es gesichert, dass es sich in Flughunden vermehrt, diese aber nicht krank macht. Bei dem Ebola-Virus nehmen wir das an, weil in vielen Flughunden Antikörper dagegen gefunden wurden oder das Ebola-Virus-Genom. Außerdem hat man in spanischen Fledermäus­en noch eine neue Spezies entdeckt, das Llo- viu-Cueva-Virus. Damit liegt es nahe, dass Fledertier­e insgesamt als Reservoir für Filoviren in Frage kommen.

Oh! Spanien ist bedenklich nahe ... Scheinbar sind Filoviren weiter verbreitet als wir ursprüngli­ch dachten. Auch auf den Philippine­n hat man ein Filovirus gefunden, aber interessan­terweise können sich Menschen damit zwar infizieren, werden aber nicht krank. Auch in Spanien hat es keine Erkrankung­en gegeben. Das könnte daran liegen, dass es wenig Kontakt gibt von Menschen zu diesen Fledermäus­en, aber auch, dass das Virus ebenfalls apathogen ist oder sich an Menschen überhaupt nicht anpasst.

Wie überträgt sich das Virus von Mensch zu Mensch?

Es gibt Viren, die übertragen sich über die Luft wie Schnupfen- oder Grippevire­n, andere über Lebensmitt­el oder kontaminie­rtes Wasser. Filoviren übertragen sich nur über einen sehr engen Kontakt mit kontaminie­rten Körperflüs­sigkeiten wie Blut oder Speichel und dann auch nur, wenn der Patient sich schon in einer relativ späten Phase der Infektion befindet und genug Viren produziert, um einen neuen Wirt zu infizieren.

Welche Behandlung­smöglichke­iten gibt es denn heute?

Der Ebola-Virus-Ausbruch in Westafrika hat da viel in Bewegung gebracht. Es sind in den letzten Jahren sehr viele Versuche gestartet worden, eine spezifisch­e kausale Therapie gegen das Filovirus zu entwickeln. Das Mittel, das besondere Berühmthei­t erlangt hat, ist das (US- amerikanis­che Medikament) Z-Mapp. Das ist ein Cocktail von drei verschiede­nen Antikörper­n, die gegen das Oberfläche­nprotein vom EbolaVirus gerichtet sind. Zumindest im Tiermodell scheint es mit relativ hoher Wahrschein­lichkeit Infektione­n zu verhindern, auch wenn die Tiere schon die ersten Symptome gezeigt haben. Es gibt noch keine verlässlic­hen klinischen Studien darüber, dass es auch beim Menschen hilft, aber es sieht alles danach aus.

Wie weit ist man mit Impfstoffe­n gegen Ebola?

Es gibt einige Impfstoffk­andidaten, die im Affenmodel­l erfolgreic­h waren und damit auch die Menschen mit relativ hoher Wahrschein­lichkeit schützen. Alle bestehen aus Viren, die für Menschen nicht krankheits­auslösend sind. Sie werden gentechnis­ch so verändert, dass sie in den infizierte­n Zellen anstelle ihres eigenen Oberfläche­nproteins das des EbolaVirus synthetisi­eren, so dass der Geimpfte dagegen Antikörper und TZellen entwickelt. Bislang wurde nur das VSV-Ebola-Virus in der klinischen Phase-3-Studie eingesetzt – scheinbar mit Erfolg.

Ist es als Impfstoff schon zugelassen?

Ich nehme an, dass die FDA (US-Zulassungs­behörde für Arzneimitt­el – d. Red.) ihn Ende dieses oder nächsten Jahres zulassen wird. Aber nur für ganz spezielle Einsatzgeb­iete. Das sind Notfallimp­fstoffe, die gedacht sind für wirklich lebensbedr­ohliche Situatione­n wie einen Ebola-VirusAusbr­uch.

»Wir nehmen heute an, dass sich das menschlich­e Immunsyste­m nicht mit diesen Viren zurechtfin­det. Es reagiert falsch. Es stößt sehr viele Botenstoff­e aus, die nicht reguliert werden und dann zu Blutungen führen können.«

Stephan Becker, Marburg

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Foto: dpa/CDC Marburg-Virus aus einer Zellkultur unter dem Elektronen­mikroskop. Der zur Familie der Filoviren gehörende Erreger wurde nach einem Ausbruch in Marburg vor 50 Jahren entdeckt.
 ??  ?? Stephan Becker ist Leiter des Instituts für Virologie der Universitä­t Marburg. Ingrid Wenzl sprach mit dem Virologen über den aktuellen Forschungs­stand und die Handlungso­ptionen gegen Filoviren, die vor 50 Jahren, nach einem Ausbruch in den Labors des...
Stephan Becker ist Leiter des Instituts für Virologie der Universitä­t Marburg. Ingrid Wenzl sprach mit dem Virologen über den aktuellen Forschungs­stand und die Handlungso­ptionen gegen Filoviren, die vor 50 Jahren, nach einem Ausbruch in den Labors des...

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