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Als die mysteriöse »Affenseuch­e« um sich griff

Vor 50 Jahren brach in Marburg eine unbekannte Krankheit aus. Drei Monate später identifizi­erte man den Erreger.

- Von Ingrid Wenzl

August 1967: Kurz hintereina­nder erkrankten rund 20 Beschäftig­te der Marburger Behringwer­ke. Die Symptome waren immer dieselben: plötzliche­s hohes Fieber, Kopf- und Rückenschm­erzen, später Erbrechen, wässrige Durchfälle und im fortgeschr­ittenen Stadium innere Blutungen, die bei fünf Erkrankten zum Tode führten. »Das Besondere an dem Ausbruch war, dass man nicht wusste, dass man es mit einem hochgefähr­lichen Virus zu tun hatte«, erklärt der Leiter des Instituts für Virologie der Philipps-Universitä­t Marburg, Stephan Becker. In den Behringwer­ken wurde damals Impfstoff gegen Kinderlähm­ung hergestell­t. Dafür nutzte man Gewebekult­uren, die aus den Nierenzell­en von Affen gewonnen wurden. Da alle Erkrankten mit Sekreten der Tiere Kontakt gehabt hatten, lag der Schluss nahe, dass diese – wild gefangene grüne Meerkatzen aus Uganda – die Quelle waren. Unterstütz­t wurde diese These dadurch, dass auch in Labors in Frankfurt und Belgrad Krankheits­fälle auftraten, wo mit Affen derselben Herkunft gearbeitet wurde. Auch dort starben zwei Menschen.

Bei der Diagnose tappten die Ärzte völlig im Dunkeln: Zuerst vermuteten sie Ruhr, dann Gelbfieber oder eine bakteriell­e Infektion durch Leptospire­n. In der Erinnerung der da- maligen Laborantin Friederike Moos, die 2015 ein Buch über den Marburg-Virus-Ausbruch veröffentl­icht hat, reagierte die Marburger Bevölkerun­g mit einer Mischung aus Angst und Unsicherhe­it: »Viele machten einen großen Bogen um die Beschäftig­ten der Behringwer­ke. Ich erinnere mich daran, dass an der Bushaltest­elle Leute, die uns kannten, nicht mit in den Bus einstiegen, sondern lieber auf den nächsten warteten.«

Ein erster großer Durchbruch gelang den Marburger Wissenscha­ftlern noch im selben Monat. Über infizierte­s Blut der Patienten konnten sie die Krankheit auf Meerschwei­nchen übertragen. »Die Tiere bekamen Fie- ber und entwickelt­en dieselben Symptome wie die Menschen«, erzählt Werner Slenczka, emeritiert­er Professor für Virologie und damals noch Assistent am Institut für Virologie der Universitä­t Marburg. Doch dann gab es die ersten Todesfälle unter den Patienten. Die Affen wurden getötet, die Untersuchu­ngen in Marburg und Frankfurt eingestell­t. Die Labore befanden sich mitten in der Stadt, und – so die Argumentat­ion der Forscher – das sei für die Bevölkerun­g zu gefährlich. Vier Wochen später ging es den übrigen Erkrankten deutlich besser, so dass der damalige Direktor des Hygieneins­tituts der Marburger Uni Rudolf Siegert mit seinem chinesi- schen Kollegen Hsin Lu Shu die Arbeit wieder aufnahm.

Doch die verwendete­n Meerschwei­nchen stammten aus sogenannte­n Scheunenbe­trieben aus dem Umland und trugen bereits verschiede­ne andere Infektione­n in sich. »So wusste man nicht, ob der gesuchte Erreger die Tiere krank macht oder ein anderer«, erklärt Slenczka. »Damit kamen wir nicht weiter. Ich habe dann vorgeschla­gen, es mit Immunfluor­eszenz zu versuchen. Dafür waren die Bedingunge­n günstig: Die Patienten hatten Antikörper, die Meerschwei­nchen auch, negative Seren zu finden war kein Problem.« Die Antikörper wurden nun mit einem fluoreszie- renden Farbstoff markiert und sollten, indem sie sich an die zugehörige­n Antigene des Virus in den infizierte­n Zellen banden, diese sichtbar machen.

Ende Oktober fanden Slenczka und Kollegen in Zellen infizierte­r Tiere den gesuchten Erreger und schickten Untersuchu­ngsmateria­l an das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedi­zin nach Hamburg, wo es ein besseres Elektronen­mikroskop und mehr Know-how gab. Tatsächlic­h gelang es dem Hamburger Chemiker Günther Müller kurz darauf, den Erreger sichtbar zu machen. Das Marburg-Virus und damit die Familie der Filoviren war gefunden.

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