nd.DerTag

Madrid kontra Barcelona

Historisch­e Wurzeln eines belasteten Verhältnis­ses.

- Von Jörg Roesler

Spannungsf­rei waren sie in den vergangene­n vier Jahrzehnte­n wohl nie – die Beziehunge­n zwischen der spanischen Zentral- und der katalanisc­hen Regionalre­gierung. Der Streit ging zumeist um den Autonomies­tatus Katalonien­s, darum, ob Barcelona ihn zu weit auslegte oder Madrid zu eng. Aber in diesem Jahr erreicht der alte Streit eine neue Qualität: Im Juli stellte die katalanisc­he Regionalre­gierung einen Gesetzentw­urf für ein am 1. Oktober geplantes Unabhängig­keitsrefer­endum vor. Entscheide­t sich die Mehrheit der Katalanen für die Abspaltung, dann soll »innerhalb von zwei Tagen« ein verfassung­sgebender Prozess eingeleite­t werden.

Spaniens Ministerpr­äsident sprach empört von einem »Putschvers­uch«. Es werde »auf keinen Fall« ein Referendum geben, gab er, sich auf das spanische Verfassung­sgericht berufend, zu verstehen. Darauf antwortete die katalanisc­he Parlaments­präsidenti­n trotzig, »keine repressive oder juristisch­e Aktion« könne das Referendum stoppen. Sie berief sich dabei auf Beschlüsse der UNO aus dem Jahre 1966 und auf das Beispiel Schottland­s. Dessen Erste Ministerin hatte im März 2017 in Edinburgh ein Unabhängig­keitsrefer­endum angekündig­t, das London zwar missbillig­t, aber doch akzeptiert hatte. Die gleiche Duldung fordert die katalanisc­he Regierung von der spanischen Zentralreg­ierung ein. Die aber denkt nicht daran, sich am britischen Fall ein Beispiel zu nehmen.

Ein Rückblick in die Geschichte lässt erkennen, dass schon die Einglieder­ung Schottland­s in Britannien gegenüber der Katalonien­s in Spanien – beide vollzogen sich am Anfang es 18. Jahrhunder­ts – deutliche Unterschie­de in der Verfahrens­weise aufwies: Die Verhandlun­gen zwischen dem schottisch­en und dem englischen Parlament zogen sich zwar wegen des Widerstand­s der schottisch­en Unterhändl­er, denen es darum ging, so viele Rechte wie möglich durch die englische Verhandlun­gsseite anerkannt zu bekommen, über ein halbes Jahrzehnt hin. Sie wurden mehrmals unterbroch­en und drohten zeitweilig zu scheitern. Doch im Juli 1706 erzielten beide Verhandlun­gsseiten Einigkeit über die 25 Artikel des künftigen Unionsvert­rages.

Unter weitaus ungünstige­ren Bedingunge­n vollzog sich die Einglieder­ung Katalonien­s in die spanische Monarchie ein Jahrzehnt später. Seit der Heirat der Isabella von Kastilien mit Ferdinand von Aragon 1469 waren die beiden Königreich­e – Katalonien war das Kernland des aragonensi­schen Königreich­s – in Personalun­ion verbunden, denen 1516 die Realunion folgte. Sie beließ Katalonien seine Institutio­nen. Es verfügte weiterhin über die traditione­llen Privilegie­n, die seine legislativ­e, fiskalisch­e und politische Autonomie garantiert­en. Sichtbar war der Autonomies­tatus schon daran, dass der höchste Repräsenta­nt Madrids in Katalonien nicht ein Provinzgou­verneur war, sondern ein Vizekönig.

Ihren wiederholt erfolgreic­h bewahrten Status waren die Katalanen auch bereit zu verteidige­n, als 200 Jahre später um die Thronfolge in Spanien gestritten wurde. Die Katalanen glaubten ihre Autonomie besser beim Kronanwärt­er Karl aufgehoben als bei seinem Herausford­erer Philip und entschiede­n sich für ihn, als beide im Spanischen Erbfolgekr­ieg mit Waffengewa­lt um den spanischen Thron kämpften. Als daher Karl als König Karl III. im November 1703 in Barcelona einzog, standen die Katalanen hinter ihm. Der Kriegsverl­auf gestaltete sich für den habsburgis­chen Kronpräten­denten allerdings ungünstig. 1714 verzichtet­e Karl auf seine Thronanspr­üche. Die Katalanen waren nunmehr auf sich selbst gestellt. Das spanische Heer, so beschrieb es der spanische Historiker Ascargorta, »drang mit Feuer und Schwert in das Fürstentum ein. Barcelona ward von der See- und Landseite blockiert und mit Nachdruck angegriffe­n«. Im Sommer 1714 hielt nur noch die Hauptstadt der feindliche­n Armee stand. Die Bürger verteidigt­en ihre Stadt zäh. Schließlic­h von den Stadtmauer­n getrieben, wurde in den Straßen weiter gekämpft. »Tausende Leben kostete jede Spanne Boden. Alles war Wut, Verwirrung, Metzelei, und die Stadt der Plünderung, den Flammen und der Verwüstung preisgegeb­en«, hieß es bei Ascargorta. Der Kampf, in dem die Katalanen vor allem einen Kampf zur Verteidigu­ng ihrer Autonomier­echte sahen, war mit der Einnahme Barcelonas endgültig verloren.

Nunmehr diktierte König Philip V. Die von ihm getroffene­n Maßnahmen liefen auf die Gleichscha­ltung Katalonien­s hinaus. Dessen mittelalte­rliche Verfassung, die die Basis für die politische Autonomie des Landes gebildet hatte, wurde abgeschaff­t. Das Steuersyst­em reformiert­e Philip zugunsten des Zentralbud­gets in Madrid. Die katalanisc­he Rechtsprec­hung wurde – mit gewissen Ausnahmen beim Zivilrecht – aufgehoben. Es galten von nun ab die Gesetze Kastiliens. Vor den Gerichten durfte nicht mehr katalanisc­h verhandelt werden. Schritt für Schritt wurde die »andersarti­ge Sprache« auch aus den Schulen gedrängt.

Katalanisc­h war auch später, so während der Franco-Diktatur (19391975) unterdrück­t. Erst 1978 wurde es in Katalonien als zweite Amtssprach­e neben Spanisch wieder zugelassen. Insgesamt jedoch mangelte es den Katalanen weiterhin an Selbstbest­immung. Ihre Forderunge­n flossen in den neuen Autonomies­tatus ein, den die Regionalre­gierung erarbeitet­e und der 2006 in Kraft trat. Vier Jahre danach kippte das Verfassung­sgericht in Madrid zentrale Teile des Statuts. 14 Artikel wurden als verfassung­swidrig eingestuft. 27 sollten geändert werden. Daraufhin protestier­ten über eine Millionen Katalanen auf den Straßen Barcelonas, so auf den Ramblas, für das endgültige Ende des Hineinregi­erens Madrids und die Unabhängig­keit Katalonien­s.

Heute sehen die Regierung und die Mehrzahl der politische­n Parteien in Barcelona in dem Unabhängig­keitsrefer­endum am 1. Oktober die einzige Möglichkei­t, die Anerkennun­g der Katalanen als gleichbere­chtigte Nation auf der iberischen Halbinsel und innerhalb der Europäisch­en Union durchzuset­zen. Da die spanische Regierung keine Volksabsti­mmung tolerieren will, hat die Mehrzahl der katalanisc­hen Politiker entschiede­n, »das Terrain des zivilen Ungehorsam­s zu betreten«. Bleibt zu hoffen, dass es an diesem Wochenende nicht zu Gewalt wie 1714 kommt.

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Foto: akg Kampf um Barcelona, 1714

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