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Polyhistor und Musensohn

- Volker Külow

Am 15. September wäre der im Frühjahr verstorben­e Leipziger Polyhistor Werner Berthold 94 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass lud die Rosa-LuxemburgS­tiftung Sachsen zu einer Hommage in ihre Räumlichke­iten ein, um ihr Gründungsm­itglied angemessen zu ehren und zugleich mit einer Kabinettsa­usstellung das bislang kaum bekannte bildkünstl­erische Schaffen dieses außergewöh­nlichen Wissenscha­ftlers der interessie­rten Öffentlich­keit vorzustell­en.

Stiftungsv­orsitzende­r Peter Porsch würdigte Berthold als »einen ehrlichen und aufrechten politische­n Menschen«. Kurt Meyer, ein enger Freund des Verstorben­en, beschrieb dessen Werdegang als junger Antifaschi­st, ABF-Absolvent und Student der Philosophi­e, Geschichte und Erwachsene­npädagogik an der Leipziger Universitä­t, wo er in den legendären 1950er Jahren bei Ernst Engelberg, Werner Markov und Ernst Bloch studierte; letzterer sagte später über Berthold: »Er gehörte in seiner Weise zum Geschlecht Nicht-Schmalspur, das wir so dringend benötigen.«

Bertholds akademisch­e Meriten als Inhaber des in der deutschen Wissenscha­ftslandsch­aft Ost wie West seinerzeit einzigarti­gen Lehrstuhls für Geschichte der Geschichts­wissenscha­ft an der Karl-Marx-Universitä­t von 1973 bis 1988 zeichneten Gerald Diesener und Monika Gibas, zwei seiner Meistersch­üler, kundig nach. Beide lobten dessen Fürsorglic­hkeit bei der Förderung des wissenscha­ftlichen Nachwuchse­s und skizzierte­n seinen schulebild­enden Stil.

Berthold blieb bis ins hohe Alter neugierig und kreativ. Manfred Neuhaus verwies darauf, wie souverän, eloquent und streitbar der quickleben­dige Emeritus für »Leipzigs Neue«, das »Neues Deutschlan­d«, aber auch die »Sächsische Zeitung« Sujets aus Geschichte und Politik behandelt hat. Polyhistor Berthold habe ein unbestechl­iches Urteil besessen und die nicht alltäglich­e Kunst beherrscht, komplexe Sachverhal­te prägnant, unterhalts­am und mit Hintersinn zu schildern. Einen Glanzpunkt seiner letzten Schaffensp­hase bilden die gemeinsam mit Mario Keßler verfassten Beiträge für die Rubrik »Klios Jünger« an dieser Stelle. Die insgesamt 102 Historiker­porträts von Homer bis Hobsbawm erschienen 2011 dann auch in Buchform im Leipziger Universitä­tsverlag, dessen Geschäftsf­ührer für den 95. Geburtstag von Werner Berthold im nächsten Jahr die Herausgabe seiner Memoiren ankündigte.

Am Ende der Veranstalt­ung dankte die Witwe Regina Berthold allen Mitwirkend­en und eröffnete die Ausstellun­g von Ölstudien, Aquarellen, Kohlezeich­nungen und Skizzenbüc­hern, die während der Lehrzeit im grafischen Gewerbe und einem Freisemest­er an der Kunstakade­mie in den Jahren 1937 bis 1940 entstanden. Sie bezeugen ein bemerkensw­ertes Talent, das durch Hitlers Krieg keine berufliche Fortsetzun­g fand.

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