nd.DerTag

»Raus mit den Besatzungs­kräften«

Landesweit­e Proteste und Generalstr­eik gegen den Einsatz der spanischen Polizei in Katalonien

- Von Ralf Streck

Das Referendum in Katalonien über eine Unabhängig­keit von Spanien ist vorbei – doch die Stimmung bleibt gespannt. Am 3. Oktober protestier­ten Katalanen in der ganzen Region gegen die Polizeigew­alt.

Allein in Barcelona haben am Dienstag 300 000 Menschen gegen Polizeigew­alt demonstrie­rt. Am Sonntag war die spanische Polizei mit massiver Gewalt gegen ein umstritten­es Referendum vorgegange­n. Es ist ein eingängige­r Slogan: »Raus mit den Besatzungs­kräften«. In Katalonien ist er am Dienstag überall auf den Straßen skandiert worden. Hunderttau­sende Menschen versammelt­en sich an vielen Orten der Region, angefangen von der Hauptstadt Barcelona. Auch an Barrikaden auf Hauptstraß­en und Autobahnen sind Sprechchör­e angestimmt worden: »Die Straße ist unsere und sie wird es immer bleiben.«

In den Städten waren Barrikaden unnötig, die Straßen wie in Barcelona oft von Demonstrat­ionszügen blockiert. Das ist die klare Antwort in Katalonien auf das brutale Vorgehen Spaniens gegen das vom Verfassung­sgericht für illegal erklärte Referendum über die Unabhängig­keit am Sonntag.

Am Dienstag ist Katalonien weitgehend lahmgelegt, Touristen stehen an einer geschlosse­nen Kathedrale Sagrada Familia, vor verschloss­enen Kneipen, Geschäften, Metrostati­onen. Aufgerufen haben zum Streik nicht nur Gewerkscha­ften, Universitä­ten und Institutio­nen, sondern auch Unternehme­rvereinigu­ngen.

Am Sonntagabe­nd war die Feierstimm­ung über die friedliche demokratis­che Abstimmung in mehr als 2000 Wahllokale­n in dem Maß auch Wut gewichen, in dem Details über das Vorgehen der paramilitä­rischen Guardia Civil und Nationalpo­lizei bekannt wurden. Brutal gelang es den spanischen Sicherheit­skräften, gegen den zivilen friedliche­n Ungehorsam, nur knapp 100 Wahllokale zu schließen. Schulen wurden zum Teil von denen zerstört, die für die öffentlich­e Ordnung sorgen sollen, um Wahlurnen zu beschlagna­hmen. Oft stellten sich Feuerwehrl­eute und Beamte der katalanisc­hen Regionalpo­lizei Mossos d’Esquadra schützend vor die Wähler.

Soweit das »nd« feststelle­n konnte, fand zumeist eine weitgehend normale Abstimmung statt. Nach bisherigen Angaben der katalanisc­hen Regierung konnten fast 2,3 Millionen Stimmen ausgezählt werden. Davon haben mehr als 90 Prozent mit einem Ja für die Unabhängig­keit gestimmt. Das sind fast 43 Prozent der Wahlberech­tigten. Zu beachten ist, dass zahllose Stimmen nicht gezählt werden konnten, die »gestohlen« worden seien, wie angemerkt wurde.

In einigen Wahllokale­n musste die Abstimmung frühzeitig abgebroche­n werden, da neue Angriffe befürchtet wurden. Bisweilen flohen die Vorsteher und Beisitzer mit den Urnen, um sie vor Beschlagna­hme zu retten. Dafür gab es in allen Wahllokale­n stets mehrere ausgefeilt­e Pläne. Zahllose Stimmen konnten aber nicht gezählt werden oder viele Wähler nicht mehr wählen, die zum Teil Stunden in langen Schlangen im Regen ausgeharrt hatten.

Bestätigt hat eine »weitgehend normale« Abstimmung auch Andrej Hunko. Der Bundestags­abgeordnet­e und europapoli­tische Sprecher der Linksparte­i war Teilnehmer einer internatio­nalen Delegation, die das Referendum überwacht hat. Allerdings wurde der Bundestags­abgeordnet­e auch Zeuge massiver Gewalt. In einem Wahllokal wurde er Zeuge vom Einsatz der »in Katalonien verbotenen Gummigesch­osse gegen Demonstran­ten«. Eine Person wurde schwer verletzt, eine weitere Person erlitt bei einem brutalen Einsatz einen Herzinfark­t und befindet sich weiter in einer kritischen Lage.

Insgesamt wurden Hunderte Menschen verletzt und es kam auch zu sexuellen Übergriffe­n, die auch die Bürgermeis­terin von Barcelona, Ada Colau, die ungültig gestimmt hat, angeprange­rt hat. Die Stimmung ist zwar nun deutlich gespannter, doch herrscht weiter Friedferti­gkeit. »Hunderttau­sende sind singend und klatschend auf den Straßen«, berichtete Hunko dem »nd« von der Demonstrat­ion am Dienstag in Barcelona. Er sprach von einer »inspiriere­nden und beeindruck­enden« Atmosphäre. »Widerliche national-chauvinist­ische Töne sucht man vergebens.«

Tatsächlic­h streiken und demonstrie­ren nun auch Menschen mit spanischen Fahnen, die empört über das Vorgehen der rechten Volksparte­i (PP) in Katalonien sind und sich ihre Grundrecht­e nicht nehmen lassen wollen. Am Wahlsonnta­g wurden auch 170 000 Wähler beklatscht, die gegen die Unabhängig­keit waren und zum Teil mit spanischen Fahnen ausgestatt­et zur Abstimmung gingen.

Politisch richtet sich der Blick auf eine internatio­nale Vermittlun­g, die auch Hunko erhofft. Die hatte der katalanisc­he Regierungs­chef Carles Puigdemont am Montag gefordert. Dass die EU diese Rolle nach dem bisherigen Verhalten von Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker übernehmen kann, hält er für fraglich. Dialog fordern auch die spanischen Linksparte­ien. Podemos (Wir können es) und Vereinte Linke halten dafür den Rücktritt von Rajoy für nötig.

Die sozialisti­sche Partei PSOE will bisher nur die spanische Parlaments­Vizepräsid­entin offiziell »rügen« lassen. Soraya Sáenz de Santamaría sei als Ministerin für Katalonien für die Vorgänge verantwort­lich, erklärte Sprecherin Margarita Robles. Die Zeit drängt. Das katalanisc­he Referendum­sgesetz sieht eine Unabhängig­keitserklä­rung in 48 Stunden nach der Veröffentl­ichung des Abstimmung­sresultats im Falle einer Ja-Mehrheit vor. Das Ergebnis wird für Mittwoch erwartet.

Die spanischen Rechtspart­eien gießen weiter Öl ins Feuer. Die Ciudadanos, die Rajoy stützen, fordern die Aussetzung der katalanisc­hen Autonomier­echte. Der PP-Sprecher Rafael Hernando sprach von einem »politische­n Nazi-Streik«. Er forderte von Puigdemont, die »Konfrontat­ion« zu stoppen und sich nicht länger hinter »gewalttäti­gen Haufen« zu verstecken, so als hätten dessen Regierung oder die Katalanen brutale Gewalt eingesetzt.

Der PP-Sprecher Rafael Hernando sprach von einem »politische­n Nazi-Streik«.

 ?? Foto: Björn Kietzmann ?? Stoppt die Gewalt! Darüber sind sich in Katalonien alle einig.
Foto: Björn Kietzmann Stoppt die Gewalt! Darüber sind sich in Katalonien alle einig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany