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Prost, Protest und Prosa

Organisato­ren der Einheitsfe­ier in Mainz geben sich kosmopolit­isch und verzichten auf große nationale Symbolik

- Von Max Zeising, Mainz

Die Einheitsfe­ier bleibt eine Taumel-Veranstalt­ung. Kritik am aktuellen Zustand des Landes üben vor allem linken Demonstran­ten. Kanzlerin Angela Merkel blieb diesmal von rechten Pöblern verschont. Sie musste nicht weg, diesmal nicht. Als Angela Merkel am Dienstagmo­rgen in Mainz ankam, um sich zunächst im Gutenbergm­useum ins Goldene Buch der Stadt einzutrage­n und dann am Festgottes­dienst im Mainzer Dom teilzunehm­en, war die Stimmung entspannt. Mehrere Hundert Menschen hatten sich auf dem Marktplatz eingefunde­n, um die Kanzlerin zu sehen. »Merkel muss weg«- oder gar »Volksverrä­ter«-Rufe waren nicht zu hören. Stattdesse­n wurde gejubelt, geklatscht und sogar gesungen: »All you need is love«.

Der Auftakt der diesjährig­en Einheitsfe­ier, die turnusmäßi­g in Mainz stattfand, verlief ruhig. Szenen wie vor einem Jahr in Dresden, als Hunderte rechte Pöbler Angela Merkel mit Pfiffen und Buhrufen empfingen, gab es in Mainz nicht. Damals hatten Pegida-Demonstran­ten der Bundesre- gierung nicht nur die schönen Bilder vermiest, sondern auch selbst unschöne Bilder in die Welt gesetzt.

Dienstag am Mainzer Hauptbahnh­of: 100 linke Demonstran­ten versammelt­en sich zu einer Kundgebung. Während Merkel und Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, von der breiten Öffentlich­keit abgeschott­et, in der Rheingoldh­alle den offizielle­n Festakt zur Deutschen Einheit begingen, protestier­ten die Linken unter dem Motto »Diesem Deutschlan­d keine Feier« angesichts von sozialer Ungleichhe­it, den NSUMorden und dem Einzug der AfD in den Bundestag gegen Nationalis­mus und den Staat. Ebenso abgeschott­et allerdings, weil ihnen kein Demonstrat­ionszug in der Innenstadt gewährt worden war. Ein paar rechte Störer am Rand der Kundgebung wurden von der Polizei abgewiesen.

Steinmeier erklärte zur gleichen Zeit in der Halle, dass »die große Mauer quer durch unser Land« verschwund­en sei, aber andere Mauern entstanden seien. Der Bundespräs­ident sprach von Mauern zwischen Stadt und Land, Arm und Reich sowie von »Mauern rund um die Echokammer­n im Internet«. Steinmeier sprach auch über die Flüchtling­spolitik. Deutschlan­d könne den politisch Verfolgten in Zukunft nur dann gerecht werden, »wenn wir die Unterschei­dung darüber zurückgewi­nnen, wer politisch verfolgt oder wer auf der Flucht vor Armut ist«.

Am Montag hatten die Feierlichk­eiten begonnen. Mainz glich einem Volksfest, geschützt durch massive Polizeiprä­senz. Rund 7400 Polizisten waren an den beiden Tagen im Ein- satz, Betonblöck­e und Lkw-Barrieren sowie Kameraüber­wachung und NoGo-Zonen sollten für zusätzlich­e Sicherheit sorgen. Wer zum Informatio­nszelt der Bundesregi­erung wollte, musste zunächst einen Sicherheit­scheck wie auf dem Flughafen passieren. Besonders viele Uniformen gab es auf der »Blaulichtm­eile« zu be- staunen, wo kleine Kinder mit echten Soldaten sprechen durften.

Ansonsten kam die Einheitsfe­ier ohne große nationale Symbolik aus: Deutschlan­dfahnen waren kaum zu sehen. Die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer (SPD) schlug vor, am Einheitsta­g – wie bei einem Flashmob – gemeinsam die Europahymn­e »Ode an die Freude« zu singen – und nicht die Nationalhy­mne. Modern, jung und weltoffen wollte sich Deutschlan­d präsentier­en: Auf der Facebook-Seite des Einheitsta­ges zeigte sich der »Einheitssp­recher« mit kariertem Hemd und Hipsterbar­t, neben dem Infozelt der Bundesregi­erung gab es vegane Burger, und der Berliner Liedermach­er Max Prosa sprach mit seinen träumerisc­h-kritischen Texten wohl eher den Kosmopolit­en als den Nationalis­ten an.

Viel getaumelt wurde trotzdem. Vor allem bleibt die Einheitsfe­ier eine Veranstalt­ung, auf der die Gegenwart ausgeblend­et und dafür kollektiv an die Vergangenh­eit gedacht werden soll: Vor dem Staatsthea­ter lief eine der zahlreiche­n Wende-Dokus, in denen Günter Schabowski auf der berühmten Pressekonf­erenz seinen berühmten Satz stammelt, und wenige Meter entfernt standen die Alt-Granden Münchener Freiheit und Karat auf der Bühne, die immer dann aus der Mottenkist­e gekramt werden, wenn es gilt, sich gemeinsam an vergangene Zeiten zu erinnern.

Absurderwe­ise ließen die vielen Luftballon­s mit der Aufschrift »So geht sächsisch!« – wenn auch ungewollt – am ehesten daran denken, dass es Deutschlan­d auch in der Gegenwart gibt. Und, dass dieses Land gegenwärti­g keine Wohlfühloa­se ist, sondern eines mit Problemen nach der Bundestags­wahl, bei der die AfD stärkste Kraft im Freistaat wurde.

An ein weiteres Problem erinnerte ein Mann mittleren Alters, einer der etwa 500 000 Besucher, der im Infozelt der Bundesregi­erung eine Broschüre der »Beauftragt­en für die neuen Bundesländ­er« durchblätt­erte. Die Einheit finde er gut, aber: »Die Löhne sind in Ost und West immer noch nicht angegliche­n.« Dann erzählte er, wie er 1993 aus Chemnitz in den Westen zog, aber noch heute viele Freunde in Ostdeutsch­land habe: »Gewissen Unmut kann ich durchaus nachvollzi­ehen. Denn die Bundesregi­erung hat den Unmut mit hervorgebr­acht.«

Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer schlug vor, am Einheitsta­g gemeinsam die Europahymn­e zu singen.

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Foto: dpa/Arne Dedert Ein Staatsvolk, ein Land, ein Plakat

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