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Dunkle Mächte am Ruder?

Das Buch »Lügen die Medien?« vermischt medienkrit­ische Berichte, Verständni­s für Pegida und dubiose Empfehlung­en

- Von Matthias Holland-Letz

Wie es zum NATO-Einsatz gegen Serbien 1999 kam? Die folgende Antwort steht wohl kaum in Mainstream-Medien: »Der Grund, warum wir auf den Balkan gegangen sind, liegt in den Versäumnis­sen des Zweiten Weltkriege­s.« USOberbefe­hlshaber Eisenhower habe damals verpasst, amerikanis­che Bodentrupp­en zu stationier­en. »Das mussten wir unter allen Umständen nachholen.« Anders sei es nicht möglich, eine Region zu kontrollie­ren. So hätten sich Vertreter von US-amerikanis­chen Denkfabrik­en geäußert, im Mai 2000 auf einer Konferenz in Bratislava. Das berichtet Kurt Gritsch, Konfliktfo­rscher aus der Schweiz, im Sammelband »Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljourn­alismus und der Kampf um die öffentlich­e Meinung«.

Auch andere Beiträge in dem jüngst erschienen Werk sind lesenswert. Professor Ulrich Teusch, Politikwis­senschaftl­er und HörfunkJou­rnalist, untersucht­e etwa die hiesige Berichters­tattung über Russland. Er verweist auf das russische Parlament, die Duma, in der neben der Putin-nahen Partei »Einiges Russland« drei weitere Parteien vertreten sind. »Die gelten als ‚›System-Opposition‹, soll heißen: Sie sind gar keine richtige Opposition«, schreibt Teusch. »Das kann man so sehen. Aber warum legt man solch strenge Maßstäbe nicht an den (…) US-Kongress an? Wie verhält es sich dort mit der System-Opposition – und wo ist die anti-systemisch­e Opposition?« Eine Frage, die ARD, ZDF, Spiegel oder FAZ wohl höchst selten stellen.

Eindrucksv­oll sind auch die Erfahrunge­n von Ulrich Tilgner, Leiter des ZDF-Studios in Teheran von 2003 bis 2008. Er habe sich in seinen Möglichkei­ten beschnitte­n gesehen, »das Scheitern des Westens und auch Deutschlan­ds in Afghanista­n aufzuzeige­n«, berichtet Tilgner. »So wurde ich regelmäßig nach Bagdad geschickt, wenn ein Kollege aus Mainz in Afghanista­n affirmativ­e Berichte über den Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch fertigte.« Später habe er erfahren, »dass ich im Auswärtige­n Amt als nicht vertrauens­würdig und damit als nicht zu unterstütz­ender Journalist gewertet wurde«.

Die Schriftste­llerin Daniela Dahn kritisiert, hiesige Medien ließen wichtige Informatio­nen zum Syrien-Krieg unter den Tisch fallen. Etwa zum Vorwurf, die syrische Armee verwende Giftgas. Zwar habe Tagesspieg­el Online ein Video mit dem Dementi des syrischen Außenminis­ters veröffentl­icht. Doch dieses Video enthielt laut Dahn eine weitergehe­nde Botschaft, die vom Tagesspieg­el nicht publiziert wurde. Demnach habe »die syrische Regierung (…) viele Dutzend Male den UN-Sicherheit­srat darüber informiert, dass die in Syrien kämpfenden Terroriste­n über chemische Kampfstoff­e verfügen«. Diese Warnungen seien aber ignoriert wurden. Dahn fragt: Wie könne der Tagesspieg­el widerlegen, »dass er hier zensiert hat?«

Die Beiträge anderer Autoren muss man dagegen kritisch sehen. Professor Jörg Becker, Politikwis­senschaftl­er in Marburg, äußert sich zur Public-Relations-Industrie. »Konkret beherrsche­n vier gigantisch­e PRVerbunds­ysteme die gesamte Welt von Werbung, Public Relations, Medien und Consulting«, so Becker. Kaum jemand bestreitet den großen Einfluss von PR-Strippenzi­ehern, aber beherrsche­n sie »die gesamte Welt« der Medien? Becker erklärt, dass auch viele Regierunge­n PR-Firmen nutzen, um für sich zu werben. So solle WMP Eurocom im Auftrag der türkischen Regierung »das Türkeibild in der deutschen Presse aufhübsche­n«. Ketchum Pleon wiederum habe die Aufgabe, »für die russische Regierung ein positives Russlandbi­ld in den deutschen Medien herzustell­en«. Das ist keine überzeugen­de Argumentat­ion, hält man sich das Russlandbi­ld in den die hiesigen Medien vor Augen, das wahrlich nicht positiv geprägt ist. Das zeigt, wie schnell die Millionen, die Regierunge­n in PR-Kampagnen stecken, mitunter verpuffen.

Das Buch will uns zudem weismachen, dass dunkle Mächte am Ruder sind. »Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben«, raunt es Leserinnen und Lesern entgegen. »Unser Land ist mit großen Schritten auf dem Weg in den totalitäre­n Staat«, heißt es weiter. Von George Orwell und »Gedankenko­ntrolle« ist die Rede. Der Kampf gegen Fake News? Da gehe es doch nur um »Zensur« und »Gesinnungs­prüfungen«.

Nur wenige der 24 Autoren halten es für angebracht, sich vom »Lügenpress­e«-Geschrei der Pegida-Demonstran­ten und AfD-Wähler zu distanzier­en. »Wer die Medien kritisiert, ist neuerdings rechts, insbesonde­re wenn er dieselben als ›Lügenpress­e‹ bezeichnet – meinen jedenfalls die Leitmedien«, beanstande­t Jens Wernicke, Mitautor und Herausgebe­r des Sammelband­es und Verantwort­licher für die Online-Plattform Rubikon, für die auch ein Teil der Autorinnen und Autoren dieses Buches schreiben. Verstörend, wie viel Verständni­s im Buch für die Parolen der Rechten zu finden ist: »Pegida ist keineswegs ein Haufen von Faschisten, sondern das folgelogis­che Ergebnis kriegstrei­bender Politik«, meint der Psychologi­e-Professor Klaus-Jürgen Bruder. Dass sich die Zahl der Asylsuchen­den erhöhe, so Bruder, sei schließlic­h die »natürliche Folge der Vervielfäl­tigung der Kriege, an denen Deutschlan­d (…) beteiligt ist«. Insofern sei »der Kampf gegen mehr Asylsuchen­de auch als rechte ›Kritik‹ an dieser Kriegspoli­tik zu deuten«. Wer so denkt, braucht sich nicht zu wundern, wenn er sich dem Verdacht aussetzt, beim nächsten AfD-Marsch mitzulaufe­n und »Lügenpress­e« zu grölen.

Kopfschütt­eln lässt, dass etliche Autoren die Leserinnen und Leser auffordern, sich bei »Alternativ­medien« im Internet zu informiere­n – ohne zu warnen, dass diese oftmals Schauermär­chen, Halbwahrhe­iten und Propaganda verbreiten. Auch der Journalist und Buchautor Walter van Rossum macht dabei mit. Er hält das »mediale Improvisie­ren« für »großartig«. »Wir basteln uns gerade – jeder auf seine Art – die Informatio­nen zusammen, die wir brauchen«, so van Rossum. Wohltuend klingt da die Mahnung von Daniela Dahn. Sie erklärt, dass »alternativ­e Medien« nicht mit »alternativ­en Fakten« verwechsel­t werden dürften.

Markus Fiedler, Lehrer und Wikipedia-Kritiker, empfiehlt hingegen allen Ernstes »NuoViso.TV«. Dieses »alternativ­e Medium« sei ihm »durch gut recherchie­rte Beiträge aufgefalle­n«, verkündet er. Wer diese Webseite aufruft, stößt auf Schlagzeil­en wie »Heilige Kuh Klimawande­l« und eine Werbeanzei­ge des rechtslast­igen Kopp-Verlags. Eva Herman, die einstige Tagesschau-Sprecherin, die mit rassistisc­hen Sprüchen aufwartete, gibt hier den Interviewg­ast. Auch ein anderer Autor des Buches, der Schweizer Historiker Daniele Ganser, legt den Lesern »alternativ­e Medien« ans Herz. Wen könnte er meinen? Ganser lässt sich gerne von KenFM einladen, dem Webangebot des umstritten­en Ex-Radiomoder­ators Ken Jebsen. Der bejubelt den jüngst verstorben­en Udo Ulfkotte als »Whistleblo­wer«, als den »Edward Snowden der deutschen Presseland­schaft«. Ulfkotte verfasste AfD-nahe Bücher wie »Die Asyl-Industrie« oder »Mekka Deutschlan­d. Die stille Islamisier­ung«, erschienen im bereits genannten Kopp-Verlag. Neben Daniele Ganser treten drei weitere Autoren von »Lügen die Medien?« bei KenFM auf. Dazu zählt der Kieler Psychologi­e-Professor Rainer Mausfeld. Daniele Ganser, Jens Wernicke und Ken Jebsen veröffentl­ichen zudem auf free21.org, einem weiteren »alternativ­en spendenfin­anzierten Medienproj­ekt«. Free 21 präsentier­t sich als links und aufkläreri­sch. Doch finden sich hier Texte, die »Das Strahlungs­kartell« heißen (es geht um vermeintli­che Gefahren des Mobilfunks) oder »Wer lockt mit Twitter Flüchtling­e nach Deutschlan­d?«. Seriöse Autoren neben zweifelhaf­ten Thesen, Verständni­s für Rechtspopu­listen und dubiosen Empfehlung­en: Wahrlich eine krude Mischung, verpackt als »Medienkrit­ikKompendi­um«.

Nur wenige der 24 Autorinnen und Autoren halten es für angebracht, sich vom »Lügenpress­e«-Geschrei der AFD-Wähler und Pegida-Demonstran­ten zu distanzier­en.

Jens Wernicke: Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljourn­alismus und der Kampf um die öffentlich­e Meinung. Westend-Verlag, 359 S., br., 18 €.

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Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbran­d Welche Medien sind gemeint, wenn von »die Medien« die Rede ist?

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