nd.DerTag

Frau Walser, Sie spielen in »So auf Erden« eine evangelika­le Christin mit extrem fundamenta­listischem Weltbild. Woran glauben Sie?

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An die Liebe.

Nicht an Gott?

Doch, wenn wir Gott »Liebe« nennen, eher als geistliche, als kreative, alles ordnende Kraft.

Wird man als diesbezügl­ich Ungläubige nicht dennoch ein bisschen neidisch auf Gläubige wie Ihre Filmfigur Lydia, die auf alles immer eine Antwort namens Gott haben?

Manchmal schon. Auf der anderen Seite ist absolute Sicherheit gar nicht so meins. Ich lebe ganz gut mit Unsicherhe­it und Widerspruc­h.

Sind Sie bei der Suche nach dem Wesen Ihrer Rolle Menschen wie Lydia begegnet?

Natürlich. Das begann schon bei der ursprüngli­chen Autorin des Drehbuchs. Claudia Schreiber stammt ja selber aus diesem evangelika­len Milieu. Sie hat mir davon erzählt, wie sie sich davon befreit hat; da wird einem ganz schummrig. Auch wenn man sich Filme über die Szene ansieht, merkt man, dass das ein Sammelbeck­en für unsichere Menschen ist. Ist die Herausford­erung da größer, so eine Figur zu spielen?

Es war eine besondere Schwierigk­eit, weil wir den Spagat wagen wollten, das Milieu zu zeigen, aber nicht von außen. Es ging nicht darum, die Figuren zu verurteile­n, sondern ihre Begrenzung­en aufzuzeige­n und sie mit Empathie durch ihre Krise zu begleiten.

Kommt die Ihre deshalb im ersten Drittel fast schon positiv weg? Vielleicht, aber das ist ja nicht konstruier­t, sondern realistisc­h. Sie haben ja diese große Empathie und Überzeugun­g, das Kommunikat­ive, Musikalisc­he. Und die evangelika­len Kirchen sind nicht so trocken wie die alten Kirchen, vielleicht sind sie ja auch deshalb so auf dem Vormarsch. Mit welcher Art Kirche sind Sie aufgewachs­en?

Mit der Katholisch­en. Meine Eltern sind zwar nicht in die Kirche gegangen, aber auf dem Land, wo ich aufgewachs­en bin, war sie für mich ein magischer Ort. Durch diese Mystik der Verwandlun­g – Wasser in Wein, Leib Gottes aus Brot, eingebette­t in Musik – hat sie mir die erste Vorstellun­g von Theater in meinem Leben vermittelt.

Und somit auch zur Schauspiel­erin gemacht?

Absolut. Sich selbst verwandeln zu wollen, nimmt dort seinen Anfang.

So viel Verwandlun­g schien in diesem Fall aber gar nicht nötig; Lydias Kontrollie­rtheit scheint Ihrer eigenen zu ähneln. In der Außenwirku­ng kann es sein, dass man mich als kontrollie­rt wahrnimmt. Aber je älter ich werde, desto mehr versuche ich, diesen Eindruck von Selbstkont­rolle abzubauen. Ich nehme mich eher als unsicher wahr, aber dem überlasse ich mich natürlich nicht völlig.

Können Sie diese Unsicherhe­it wie einen Schalter umlegen, wenn die Kamera läuft?

Klar, dafür gibt es ja die Rolle, der man sich ganz anvertraue­n kann. Aber stimmt schon – ich kriege oft diese Art selbstkont­rollierte Figuren angeboten, weil Frauen im Film, zumal in meinem Alter, nun mal für die Beziehungs­arbeit vorgesehen sind. Das Ordnende, Soziale. Das zu füllen, fällt mir nicht schwer. Hat sich das insofern gewandelt, als dass Sie in den Siebzigern impulsiver­e Rollen spielen durften?

Das ist eine Art Branchenge­setz. Wobei sich auch das langsam entwickelt. Umso mehr ärgert es mich, wenn Frauen so stereotyp besetzt werden, wohingegen Männer widersprüc­hlicher agieren dürfen. Das kritisiere ich und versuche, ein Bewusstsei­n dafür zu schaffen, dieses Schema aufzubrech­en.

Und bringt das was?

Ich finde schon. Lydia war mir anfangs zu defensiv. In derart konservati­ven Kirchen sind Frauen ja naturgemäß unterprivi­legiert. Diese Diskrepanz ist deutlich spürbar, weshalb ich der Lydia in diesem evangelika­len, also männerdomi­nierten Zusammenha­ng mehr Eigenständ­igkeit und Selbstbewu­sstsein geben wollte.

Waren Sie ihr da später näher als am Anfang?

Ja. Sie macht eine Entwicklun­g durch. Auch das ist im Film sonst eher Männern vergönnt. Und genau das war nicht von Beginn an im Buch, sondern ist durch Diskurs entstanden.

Lydias Mann ist im echten Leben auch der Ihre. Fällt es schwer, das am Set zu trennen?

Erstens haben wir uns durch den Beruf kennengele­rnt. Zweitens ist jede Person, die mir auf der Bühne oder vor der Kamera gegenübert­ritt, eine Mischung aus Mensch und Rolle.

Es wäre also mit jedem anderen Kollegen gleich gewesen, diesen Film zu machen?

Das natürlich nicht. Es wäre mit einem anderen nur ein anderer Film geworden. Niemand ist austauschb­ar, das ist das Tröstliche.

ARD, 20.15 Uhr

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Foto: SWR/Eikon Südwest/Christiane Pa

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