nd.DerTag

Verlass den Gesellscha­ftskadaver

Mit »Jetzt!« meldet sich das Unsichtbar­e Komitee zurück und predigt die Unregierba­rkeit

- Von Florian Schmid

Dagegensei­n, sich Verweigern und aus der Reihe treten. Für die Autor_innen ist dies unabdingba­r, um der beinahe alles absorbiere­nden Kraft des Kapitalism­us zu widerstehe­n. Doch dann: wie weiter? Vor ein paar Jahren machte das aus Frankreich stammende Unsichtbar­e Komitee mit seinem anarchisti­schen Manifest »Der kommende Aufstand« weltweit Furore. Im Jahr 2005 hatte es in den französisc­hen Banlieues gekracht, im Jahr darauf folgten landesweit­e Unruhen wie die mitunter militanten Jugendprot­este. Sie hatten sich erfolgreic­h gegen das »Erstanstel­lungsgeset­z«, das Unternehme­n die »flexible« Anstellung von Berufseins­teigern ermögliche­n sollte, zur Wehr gesetzt. Der unter diesem Eindruck erschienen­e Text wurde damals hierzuland­e überrasche­nderweise auch vom konservati­ven Feuilleton positiv aufgenomme­n.

Nach dem »Hamburger Aufstand«, wie die Krawalle zum G20-Gipfel mittlerwei­le oft genannt werden, dürfte sich die Begeisteru­ng der konservati­ven Presse über das neue Buch des Unsichtbar­en Komitees mit dem programmat­ischen Titel »Jetzt« in Grenzen halten. In dem gut hundertsei­tigen Manifest geht es vor allem um die Proteste des »langen französisc­hen Frühlings 2016«, wie es in dem Text heißt, als in Frankreich im vergangene­n Jahr Tausende Menschen monatelang gegen die Arbeitsrec­htsreform protestier­ten. Die Regierung Macron hat die unpopuläre­n Reformen inzwischen durchgedrü­ckt und gerade nehmen die Proteste gegen den Präsidente­n Fahrt auf. Auch insofern ist das Buch von aktuellem Interesse.

»Was im Frühling 2016 in Frankreich stattfand, war keine soziale Bewegung, sondern ein politische­r Konflikt, genauso wie 1968 (…) Es könnte gut sein, dass eine Generation un- regierbar geworden ist«, heißt es in dem gerade auf deutsch erschienen­en Text. Er argumentie­rt über weite Strecken ebenso abgehoben philosophi­sch, wie er dann wieder ganz nah, fast reportagea­rtig an den Protest-Ereignisse­n 2016 in Frankreich dran ist. Wobei für die namentlich ja immer noch nicht bekannten Autor_innen des Unsichtbar­en Komitees das regelmäßig­e Kapern der Demospitze auch großer gewerkscha­ftlicher Aufmärsche durch den schwarzen Block das wichtige und stark symptomati­sche Ereignis für diese dichte Abfolge radikaler Proteste war. »Allen leben- digen Demonstran­ten (erschien es) selbstvers­tändlich, dass die Mitlatschd­emos nichts anderes sind als die Befriedung eines Protests. So konnte man miterleben, wie sich von einer Demo zur nächsten an der Spitze des Demozugs alles versammelt­e, was aus dem Gesellscha­ftskadaver desertiere­n will, um nicht seinen kleinen Tod mitzusterb­en.« Bei der Großdemons­tration am 14. Juni, so weiß das Unsichtbar­e Komitee zu berichten, waren es dann ganze Gewerkscha­ftsverbänd­e, die sich in der militanten Demospitze wiederfand­en.

Auch wenn dieses situationi­stische Manifest die »Entschloss­enheit zu desertiere­n, aus der Reihe zu treten, sich zu organisier­en« einfordert, bleiben die Autoren ihrer bisherigen Kritik an jeglicher weitergehe­nden Organisier­ung treu. Diese hatten sie auch schon vor zwei Jahren in einer Publikatio­n, die sich kritisch mit den Krisenprot­esten auseinande­rsetzte, vorgebrach­t. Dementspre­chend stehen sie auch der Bewegung Nuit debout, die im Frühling 2016 Plätze in Frankreich besetzte und ein basisdemok­ratisches Konzept verfolgte, recht kritisch gegenüber: »So glich Nuit debout letztlich einem imaginären Parlament, einer Art legislativ­em Organ ohne Exekutive und somit einer öffentlich­en Darbietung von Machtlosig­keit, wie sie den Medien und Regierende­n gut in den Kram passt.« Doch sie soll die auf der Agenda stehende Auseinande­rsetzung mit dem spätkapita­listischen Krisenregi­me in Frankreich und anderswo aber konkret aussehen? Eine schlüssige Antwort auf diese Frage bleiben die Autor_innen letztlich schuldig.

Für sie ist, ganz im Stil autonomer Politik, die Geste des Dagegensei­ns, des sich Verweigern­s und aus der Reihe Tretens grundlegen­d. Die Erfahrung, dass der Kapitalism­us in der Lage ist, jede Kritik zu absorbiere­n und so auch ihrer Meinung nach die Syriza nicht mehr als »zum idealen Vermittler der Sparpoliti­k der Europäisch­en Union wurde«, bedeutet, dass es vor allem darum gehen müsse, sich radikal abzugrenze­n. »Lasst uns unregierba­r sein!« ist dementspre­chend das zentrale Motto ihres Kampfes.

Welche Rolle diese radikale linke Politik auf der Straße in den nächsten Jahren für kommende Protestgen­erationen spielen wird, muss sich noch erweisen. Fest steht: Egal ob in Athen, Paris, Chile oder zuletzt in Hamburg, militante schwarze Blöcke tauchen immer öfter medienwirk­sam auf Demonstrat­ionen auf. Dass diese Auseinande­rsetzungen eine gesamtgese­llschaftli­che Relevanz haben und breite Diskussion­en auslösen, hat auch der »Aufstand von Hamburg« noch einmal deutlich gezeigt. In Frankreich gehen die Proteste gegen die neoliberal­e Regierung Macron indes in die nächste Runde. Die jungen radikalen Linken in den schwarzen Blöcken werden ein Teil davon sein.

Egal ob in Athen, Paris, Chile oder Hamburg, militante schwarze Blöcke tauchen immer öfter medienwirk­sam auf Demos auf.

Das Unsichtbar­e Komitee: »Jetzt«, Nautilus-Verlag, 128 S., 14 €.

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Foto: AFP/Philippe Lopez Aus dem Gesellscha­ftskadaver desertiere­n: Autonome bei einer Demonstrat­ion am 1. Mai dieses Jahres in Paris

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