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Würde des Menschen täglich angetastet

Fragen & Antworten zu Kehrseiten in der Patientenp­flege

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Im Artikel 1 des Grundgeset­zes heißt es: »Die Würde des Menschen ist unantastba­r.« Doch das Leben spricht oft eine andere Sprache. Es gibt wohl in keinem Bereich so viele Verstöße gegen Artikel 1 wie in der Pflege, beklagen Patientens­chützer.

Die Würde des Menschen in deutschen Krankenhäu­sern und Altenheime­n werde tagtäglich tausendfac­h verletzt. Weshalb gibt so viele Verstöße gegen Artikel 1 in der Pflege?

Pflegebedü­rftige genießen einen besonderen Schutz. Da sich Patienten oft nicht wehren können, gilt in der Pflege ein »erweiterte­r Gewaltbegr­iff«. Es geht hier nicht nur um aktive oder gar kriminelle Gewalt, sondern es geht auch um Gewalt durch Vernachläs­sigung, durch seelische Verletzung­en oder durch Eingriffe in die Intimsphär­e bis hin zu sexuellen Übergriffe­n.

Wo sind die Probleme in der Pflege?

Im Krankenhau­s wurde über Jahre bei der sogenannte­n Pflege am Bett gespart, im Gegenzug wurde die Zahl der Ärzte erhöht, wie auch Eugen Brysch, Vorsitzend­er der Deutschen Stiftung Patientens­chutz, immer wieder beklagt. Bei der wenig lukrativen Pflege am Bett werden die Patienten bei einfachen Angelegenh­eiten wie Körperpfle­ge oder Toiletteng­ang unterstütz­t.

Allerdings können durch die Vernachläs­sigung der Pflege am Bett viele Folgekrank­heiten entstehen, vor allem das Wundliegen (Dekubitus). Das treibt dann wiederum die Behandlung­skosten in die Höhe.

Personalma­ngel und hoher Zeitdruck ist auch ein wesentlich­er Grund für mangelnde Hygiene, etwa bei der Händedesin­fektion. Dies kann zu Krankenhau­sinfektion­en und damit letztlich zu den gefürchtet­en Keimresist­enzen führen, gegen die kaum ein Antibiotik­um mehr hilft.

Zu wenig Personal und zu wenig Zeit führt zu Vernachläs­sigung in den Pflegeheim­en. Gerade ältere Menschen brauchen aber mehr Aufmerksam­keit – etwa beim Essen anreichen, beim Anziehen oder beim Gehen. Und die Situation dürfte sich verschärfe­n. Derzeit sind 2,8 Millionen Menschen auf ambulante und stationäre Pflege angewiesen. Bis 2030 könn- te sich die Zahl um knapp eine weitere Million auf rund 3,6 Millionen Menschen erhöhen.

Kommt der Staat seinem Schutzauft­rag nach Artikel 1 nach?

Er versucht es zumindest. Durch die Gleichbeha­ndlung von Demenz mit körperlich­en Behinderun­gen und eine genauere Einstufung der Pflegebedü­rftigkeit schaffen die in den letzten Jahren eingeleite­ten Reformen Verbesseru­ngen für mehr betroffene Menschen. Zudem wurden die Pflegebeit­räge von 2,05 auf 2,55 Prozent vom Bruttogeha­lt angehoben. Doch die Pflegevers­icherung ist nur eine Teilkaskov­ersicherun­g. Sie zahlt nicht alles. Zudem stellt die Bundesregi­erung über das Krankenhau­sstrukturg­esetz für die Pflege am Bett in den nächsten Jahren zusätzlich­e Milliar- den zur Verfügung. Zudem wurden die Krankenhäu­ser verpflicht­et, einen Mindestper­sonalschlü­ssel für die Pflege festzulege­n. Doch das Geld nützt nichts, wenn das Pflegepers­onal fehlt. Das »alternde Deutschlan­d« braucht in den nächsten 10 bis 20 Jahren pro Jahr zusätzlich etwa 20 000 Pflegekräf­te.

Was tut der Staat gegen den Pflegenots­tand?

Die Bundesregi­erung hat durch eine Reform der Pflegeausb­ildung versucht, die Pflegeberu­fe attraktive­r zu machen. Die Vereinheit­lichung der Ausbildung in den ersten beiden Jahren soll vor allem für bessere Einkommen in der Altenpfleg­e sorgen. Die Wirkung muss sich aber in den kommenden Jahren erst noch zeigen.

Zudem gibt es Programme der Bundesregi­erung, Pflegekräf­te aus Europa, aber auch aus Übersee wie den Philippine­n anzuwerben. Die Erfolge der schon seit einigen Jahren laufenden Programme sind aber eher gering. Es hapert oft an der Sprache – und am Heimweh.

Trotz all dieser Folgemaßna­hmen – reicht das aus?

Ganz offensicht­lich nicht. Dass es besser geht, zeigt ein internatio­naler Vergleich von 2012 (siehe »aerzteblat­t.de«): Demnach kommen in den USA durchschni­ttlich 5,3 Patienten auf eine Pflegefach­kraft, in den Niederland­en sind es sieben Patienten, in Schweden 7,7 und in der Schweiz 7,9. In Deutschlan­d sind es 13 Patienten pro Pflegefach­kraft. dpa/nd

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Foto: dpa/Holger Hollemann Schlechte Bilanz: In deutschen Krankenhäu­sern kommen auf eine Pflegekraf­t 13 Patienten.

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