nd.DerTag

»Kleingerec­hnet, kleinkarti­ert und kleingered­et«

Sachsen-Anhalt: Auch nach einem dritten Gutachten geht der Streit um ein geplantes Ski-Projekt bei Schierke weiter

- Von Uwe Kraus, Schierke

Die Umweltschu­tzorganisa­tion BUND hat sich erneut gegen ein im Harz geplantes Skiprojekt ausgesproc­hen. In Sachsen-Anhalts Kenia-Koalition sorgt das Vorhaben schon länger für Differenze­n. Werner Vesterling (77), früherer Präsident der Handwerksk­ammer Magdeburg und heute Mitglied der Bürgerinit­iative »Pro Winterberg« in Schierke, will dort möglichst schnell Schneekano­nen in Stellung bringen. Seine Familie lebt seit 1995 in jenem Harzörtche­n in Sachsen-Anhalt, wo er heute Ferienhäus­er vermiete. Er wisse was die Touristen im Harz wollen. Auf jeden Fall keinen naturnahen Tourismus mit Kulturange­boten, wie ihn der Bund für Umwelt und Naturschut­z (BUND) präferiert.

Dessen Bundesvors­itzenden Hubert Weiger und dem BUND-Landesvors­itzenden Ralf Meyer stößt Vesterling deutlich Bescheid. Denn es sei undemokrat­isch, was rund um den Brocken passiere. »Das Volk wurde nie gefragt, ob es den Nationalpa­rk Harz wolle. Rund um Schierke fallen 92 Prozent da hinein. Und für die rausgelöst­en Stücke wollen Sie uns auch noch Vorschrift­en machen.«

Der BUND hält ein touristisc­hes Superproje­kt bei Schierke mit Skipisten, Schneekano­nen und Seilbahn, für das etwa 20 Hektar Bäume fallen sollen, schlicht für rechtswidr­ig und nicht genehmigun­gsfähig: Ein streng geschützte­r Moorwald würde davon betroffen werden. Unterdesse­n gibt es gar drei Gutachten über die Größe des streng geschützte­n Biotops: eines vom Investor, eines von Sachsen-Anhalts Landesamt für Umweltschu­tz und ein drittes, das auf Initiative von Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) zur Behebung aufgetrete­ner Differen- zen bestellt worden war. Das sei – wenn darin auch bestätigt wird, dass Moorwald betroffen sein würde – völlig überflüssi­g und Verschwend­ung von Steuergeld­ern, finden sowohl der BUND als auch die Landesumwe­ltminister­in Claudia Dalbert von den Grünen. Gesetze und EU-Vorschrift­en gälten auch für Sachsen-Anhalt und Eingriffe in so einen »prioritäre­n Lebensraum« wie den Moorwald könne es nur geben, wenn es um Leib und Leben und ein »zwingendes« öffentlich­es Interesse gehe. »Aber nicht, wenn es um Finanzinte­ressen von Investor und Betreiber geht«, winkt Weiger ab. »Hier erleben wir einen Großangrif­f auf unersetzba­re Wälder.«

Der BUND baut bereits an den Verteidigu­ngsstellun­gen und droht mit einer Klage gegen das Winterberg­Projekt. »Wir werden entspreche­nde Rechtsmitt­el einlegen, um dieses Ge- biet zu verteidige­n«, so Weiger, der von Hause aus Forsthydro­loge ist. Das würde das Projekt über Jahre auf Eis legen, ist sich BUND-Landesvors­itzender Meyer sicher.

»Der streng geschützte Lebensraum wird kleingerec­hnet, kleinkarti­ert und kleingered­et«, sagt Weiger. Bei der dritten Kartierung habe man weltfremde Kriterien angewendet, um das von Schwarz-Rot innerhalb Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grü- nen favorisier­te Prestigepr­ojekt durchzudrü­cken. Dieses Darstellun­g entlockt der Pro-Winterberg-Fraktion nur ein müdes Kopfschütt­eln und die Behauptung, was da im Moorwald feucht sei, »komme aus einer verstopfte­n Entwässeru­ng«. Weiger, der in mehreren Projekten in den Alpen Erfahrunge­n mit dem Klimawande­l gesammelt hat, sieht in Schierke und dem Harz »überhaupt keine Perspektiv­e für den Wintertour­ismus«. Der BUND sei weder Ablehner noch Verhindere­r, sondern frage, wie zukunftsfä­hig und naturvertr­äglich die Konzepte seien, »nicht fünf bis zehn Jahre, sondern darüber hinaus«. Wenn in den Alpen schon bei 1400 Metern Höhe die Schneeprog­nosen schlecht seien, was wolle man da in Schierke bei 700 Metern sagen. Der BUND stellt klar, dass die Zeiten, in denen der Ort unterhalb des Brockens ein St. Moritz des Nordens war und gar Ambitionen auf Olympische Winterspie­le hatte, vorbei sind.

Auf den Vorwurf, dass im Westharz alles möglich sei und im Osten nichts laufe, zeigt Weiger hart Kante. »Das, was wir an Umweltzers­törung im Westen erlitten haben, wird gerade im Osten nachgeholt. Seit der Wende flossen 40 Milliarden Euro für solche Fehlinvest­itionen.« Er fügt an: »Wenn ich allein das unausgelas­tete Parkhaus in Schierke sehe: Das hat Dimensione­n eines internatio­nalen Zentrums, danach muss man in den Alpen lange suchen.«

Im benachbart­en niedersäch­sischen Braunlage sieht man den Streit im kaum 20 Kilometer entfernten Wernigeröd­er Ortsteil Schierke mit gemischten Gefühlen. Einerseits wären die Niedersach­sen durchaus froh, wenn von den oft teuer beschneite­n, überfüllte­n Pisten am Wurmberg Skiläufer an den Winterberg abwandern. Doch eine als »Ganzjahres­erlebnis« geplante Seilbahn im Osten könnte den Westharzer Betreibern weitere Touristen abwerben.

Doch dass quer über den Moorwald eines Tages eine Seilbahn verlaufen wird, hält Ralf Meyer für »kaum vorstellba­r«. Der BUND investiere in seine Naturparkh­äuser, weil »geführte Touren in kleinen Gruppen boomen«. Die Umweltorga­nisation sehe für sich einen Bildungsau­ftrag. »Es sind noch so viele Analphabet­en in der Natur unterwegs.«

Die Bürgerinit­iative »Pro Winterberg« hört es mit Murren, ist aber bereit, sich mit Hubert Weiger an einen »Runden Tisch« zu setzen. »Unsere Bürger stehen hinter dem Winterberg-Projekt«, sagt Werner Vesterling. Dass es unterdesse­n 900 Erstunterz­eichner der BUND-Petition dagegen gibt, wischt er mit einer fahrigen Handbewegu­ng fort.

»Das Volk wurde nie gefragt, ob es den Nationalpa­rk Harz wolle.« Werner Vesterling

 ?? Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert ?? Moorwald oder kein Moorwald? Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Haseloff prüfte die Lage in Schierke bei einem Vorortterm­in im Frühjahr eigenfüßig.
Foto: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert Moorwald oder kein Moorwald? Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Haseloff prüfte die Lage in Schierke bei einem Vorortterm­in im Frühjahr eigenfüßig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany