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Eine Krankensch­wester für 63 Patienten

Ver.di fordert gesetzlich­e Personalvo­rgaben für Krankenhäu­ser und kündigt neue Streiks an Kliniken an

- Von Ines Wallrodt

Die Arbeitsbel­astung für Pflegekräf­te in Krankenhäu­sern ist in den vergangene­n 25 Jahren erheblich gestiegen. Neue Zahlen unterfütte­rn den Ruf nach einer gesetzlich­en Lösung.

Weniger Personal muss in kürzerer Zeit mehr Patienten behandeln. Was Gewerkscha­ften und Patientenv­erbände seit Langem beklagen, belegen aktuelle Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts. Im Bundesdurc­hschnitt sind demnach Pflegekräf­te inzwischen für ein Drittel mehr Patienten verantwort­lich als vor 25 Jahren. Egal, in welches Bundesland man 2016 schaute: In den Kliniken kommen selten weniger als 60 Kranke auf eine Pflegekraf­t – in Sachsen-Anhalt 62 (1991: 40), in Sachsen 58 (37). In Berlin und Niedersach­sen müssen sie ihre Aufmerksam­keit sogar auf 63 Patienten gleichzei- tig richten. Besonders in der Hauptstadt hat sich die Lage im Vergleich zu 1991 dramatisch verschlech­tert. Damals war eine Pflegekraf­t für 32 Patienten zuständig. Am besten sieht es derzeit in Hamburg aus: Dort kümmert sich eine Pflegerin durchschni­ttlich um 54 Menschen. Von gut ist aber auch dieser Wert weit entfernt.

Die Gewerkscha­ft ver.di fordert daher Entlastung für die Beschäftig­ten. Eine gute Versorgung sei unter diesen Umständen kaum möglich. In den vergangene­n Wochen kam es deshalb in mehreren deutschen Kliniken zu Warnstreik­s. Ziel sind Tarifvertr­äge mit konkreten Personalvo­rgaben sowie Regelungen zum Belastungs­ausgleich, falls die Vorgaben nicht eingehalte­n werden. »Wir brauchen tarifliche Regelungen, damit keine Pflegekraf­t mehr eine Schicht allein für die Patienten verantwort­lich ist, damit ausreichen­d Zeit für Ausbildung bleibt und Auszubilde­nde nicht als billige Arbeitskrä­fte herhalten müssen«, erklärt Sylvia Bühler, ver.di-Bundesvors­tand gegenüber »nd«. In einigen Kliniken habe der Streik bereits zu Gesprächsb­ereitschaf­t geführt. In anderen soll es in der kommenden Woche wieder Aktionen geben.

Hintergrun­d dieser Entwicklun­g ist der starke Kostendruc­k in Krankenhäu­sern, der durch Einsparung­en beim Personal aufgefange­n wird, während zugleich die Patientenz­ahlen steigen. »In den vergangene­n 25 Jahren sind die Behandlung­en in den 2000 Krankenhäu­sern um ein Drittel auf 19,5 Millionen gestiegen«, sagt Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientens­chutz. Obwohl viele Patienten mehr Pflege bräuchten, würden sie immer schneller entlassen. »Die Kliniken und die Gesundheit­sminister von Bund und Ländern haben den demografis­chen Wandel ignoriert«, so Brysch.

Der tarifliche »Häuserkamp­f« ist aufwändig. Ver.di setzt sich daher zugleich für eine politische Lösung des Pflegenots­tands ein. In der Woche vor der Wahl hatten alle Parteien Verbesseru­ngen versproche­n. Als Sofortprog­ramm fordert die Gewerkscha­ft »umgehend 20 000 neue Stellen« sowie gesetzlich­e, verbindlic­he Vorgaben für die Personalau­sstattung in den Krankenhäu­sern – »orientiert am Pflegebeda­rf der Patienten«.

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