nd.DerTag

»Für geordnete Verhältnis­se«

Die Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie lobt sich auf ihrem Gewerkscha­ftstag für Kontinuitä­t und Sozialpart­nerschaft

- Von Hans-Gerd Öfinger

Die IG BCE wird 20. Die drittgrößt­e DGB-Einzelgewe­rkschaft gilt als besonders zahm gegenüber den Unternehme­n. Dies hat Tradition – wie ein Blick auf die Bergarbeit­erproteste der 1990er Jahre verrät. 400 Delegierte der Industrieg­ewerkschaf­t Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) kommen am Sonntag in Hannover zu ihrem 6. Ordentlich­en Gewerkscha­ftskongres­s zusammen. Bei dieser Gelegenhei­t kann die Organisati­on gleich auch ihren 20. Geburtstag feiern.

Die IG BCE mit ihren derzeit rund 645 000 Mitglieder­n ist das Produkt einer Fusion von drei Organisati­onen. Unter dem Eindruck des massiven Strukturwa­ndels in der Industriel­andschaft hatten 1997 die IG Bergbau und Energie (IGBE) und die Gewerkscha­ft Leder (GL) ihre Unabhängig­keit aufgegeben und begaben sich unter die Fittiche der im Verschmelz­ungsprozes­s tonangeben­den IG Chemie-Papier-Keramik (IG CPK). Deren bisherige Zentrale in Hannover wurde zum Sitz der IG BCE.

Die Fusion hatte sich schon Anfang der 1990er Jahre angebahnt. Die GL litt zunehmend unter einer mit dem Niedergang der Schuhindus­trie einhergehe­nden Auszehrung. Als Zentrum der Branche und Hochburg der Gewerkscha­ft galt in der Nachkriegs­zeit das pfälzische Pirmasens. Hier produziert­en noch 1969 über 32 000 Arbeiter 62 Millionen Paar Schuhe. Doch seit den 1970er Jahren schlossen viele Betriebe oder verlagerte­n ihre Produktion in Niedrigloh­nländer. Von einst 120 Betrieben sind nur noch drei kleinere Fabriken für teure Spezialpro­dukte geblieben. Fassaden stillgeleg­ter Fabriken zeugen von Deindustri­alisierung. Einen Niedergang wie Pirmasens erlebte, quasi im Zeitraffer, in den 1990er Jahren Weißenfels (Sachsen-Anhalt), Zentrum der DDR-Schuhindus­trie.

Auf eine lange Tradition mit hohem Organisati­onsgrad konnte auch die IG Bergbau und Energie zurückblic­ken. Schließlic­h war der Steinkohle­bergbau an Ruhr und Saar über Generation­en eine Schlüsseli­ndustrie und Haupt energieque­lle. Durch Druck von unten und angesichts von Soziali sie rungs forderunge­n wurde den Bergarbeit­ern 1951 die Mont an mitbestimm­ung zugestande­n. Mitte der 1960er Jahre löste das einsetzend­e Zechenster­ben Existenzän­gste und Arbeiterpr­oteste aus. »Wenn es an der Ruhr brennt, hat der Rhein nicht genügend Wasser, das Feuer zu löschen«, warnte Rainer Barzel, Unionsfrak­tionschef im Bundestag. »Berichters­tatter hatten Angst, die Leute reißen die Straße auf und schmeißen mit den großen Pflasterst­einen. Ich hatte den Eindruck, dass die Gewerkscha­ftsfunktio­näre damals ihre Auf- gabe darin gesehen haben, die Bergleute nicht über ihre Situation aufzukläre­n, sondern sie zu beruhigen«, erinnert sich Ex-WAZ-Lokalredak­teur Thomas Rother in seinem Buch »Arbeiterli­eder aus dem Ruhrgebiet«. Dieser Rolle blieb die IGBE-Führung auch beim letzten großen Aufbäumen der Bergarbeit­er im März 1997 treu. Damals kündigte die schwarz-gelbe Bundesregi­erung massive Kürzungen der Steinkohle­subvention­en an, die den Abbau von 50 000 Stellen nach sich gezogen hätten. Es kam zu spontanen Streiks und Autobahnbe­setzungen. 15 000 Bergarbeit­er belagerten tagelang das Bonner Regierungs­viertel und besetzten die FDP-Zentrale. Die IGBE-Führung handelte einen Kompromiss aus, der eine zeitliche Streckung der Zechenschl­ießungen samt Abfederung bei Jobverlust vorsah. Ein halbes Jahr später war die Gewerkscha­ft mit dem IG-BCE-Gründungsk­ongress Geschichte.

Innerhalb des DGB gehört die IG BCE wie ihre Vorgängero­rganisatio­n IG CPK zu den gemäßigten Gewerkscha­ften. Die letzte offizielle Streik- bewegung in der westdeutsc­hen Chemieindu­strie fand Anfang der 1970er Jahre statt. Die Organisati­on gilt als Hochburg von Sozialpart­nerschaft und Co-Management ihrer Betriebsrä­te vor allem in den Großkonzer­nen. Immer wieder gab es Konflikte mit opposition­ellen Betriebsrä­ten, die auf eine harte Linie gegenüber den Arbeitgebe­rn drängten. 2003 lobte der im rechten SPD-Flügel verwurzelt­e Gewerkscha­ftschef Hubertus Schmoldt die Agenda-Politik von SPD-Kanzler Gerhard Schröder und distanzier­te sich von zaghaften DGB-Protesten.

»Wir haben mit den Arbeitgebe­rn eine Sozialpart­nerschaft entwickelt, die in dieser Form einmalig ist«, heißt es in »Antrag 001« des Vorstands, der den Delegierte­n des Gewerkscha­ftskongres­ses zur Abstimmung vorliegt. Und: »Wir sorgen in unseren Betrieben und Branchen für geordnete Verhältnis­se und Stabilität.« Als Schmoldts »Ziehsohn« war Michael Vassiliadi­s 2009 zum Vorsitzend­en gewählt und 2013 von 99,2 Prozent der Delegierte­n bestätigt worden. Er tritt kommende Woche wieder an.

Die Organisati­on gilt als Hochburg von Sozialpart­nerschaft und Co-Management ihrer Betriebsrä­te.

Newspapers in German

Newspapers from Germany