»Katalonien ist die Schlacht von ganz Europa«
Spaniens Premier Rajoy erteilt Dialog eine Absage und sieht sich in seiner Haltung von Brüssel gestützt
In Spanien und Katalonien wurde am Wochenende für Dialog und Einheit demonstriert. Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hält seinen Kurs der harten Hand ohne Dialog bei. »Ich bin der einzige Spanier, der nicht sagen kann, was er machen wird, weil ich es im entsprechenden Moment machen muss. Mir würde es gefallen, wenn schnellstmöglich die Drohung der Unabhängigkeitserklärung zurückgezogen würde, weil es die Sachen in der Zukunft enorm erschweren würde.« Das sind Auszüge aus einem langen Interview, das Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy der spanischen Zeitung »El País« am Wochenende rund um den Katalonienkonflikt gegeben hat. Rajoy gestand dabei ein, dass es sich um eine der schwersten Krisen der spanischen Demokratie handele. Er bekräftigte, dass er »jede Unabhängigkeitserklärung verhindern werde«, und versicherte, dass die spanische Guardia Civil und die spanische Nationalpolizei so lange mit Zusatzkräften in Katalonien stationiert blieben, bis »die Normalität zurückkehren« werde. »Katalonien ist die Schlacht von ganz Europa.« Sein Argument: »2012 wurde in Spanien die Schlacht um den Euro geschlagen und die Europäer haben gewonnen. Jetzt steht die Schlacht um die europäischen Werte auf dem Spiel und wir werden wieder gewinnen.«
Rajoy will auf alle Mittel zurückgreifen, die ihm Recht und Gesetz einräumen. Er verwies explizit auf den Artikel 155 der Verfassung. Damit könnte die spanische Regierung die Autonomie der Region aussetzen und eine Abspaltung verhindern. Katalonien würde dann unter Zwangsverwaltung von Madrid gestellt werden – die Regionalregierung verlöre damit jegliche Handlungs- spielräume. Idealerweise sollten drastische Lösungen nicht nötig sein, dafür müsse sich die Lage aber ändern, winkte Rajoy mit dem Artikel 155.
Kataloniens Regionalregierung hat unterdessen eine für Montag angesetzte Parlamentssitzung zur Debatte über den Ausgang des
Referendums auf Dienstag verschoben. Unter anderem über die Ausrufung der Unabhängigkeit hätte am Montag debattiert werden können. Nachdem das spanische Verfassungsgericht die an- gesetzte Sitzung aber untersagte, verschob Regionalpräsident Carles Puigdemont seinen Auftritt vor den Abgeordneten auf Dienstagabend. Und die Tagesordnung ist noch schwammig: Puigdemont will sich über die »aktuelle politische Situation« äußern. Eine Sitzung mit dieser Tagesordnung lässt sich vom Verfassungsgericht nicht verbieten.
Der Regionalpräsident hat sich wiederholt für eine internationale Vermittlung im Konflikt zwischen Madrid und Barcelona starkgemacht. Puigdemont steht in Kontakt mit einer von Barcelonas Anwaltskammer geschaffenen Kommission, die drei Punkte für einen Ausweg aus der Krise vorschlägt: Ein Verzicht auf sofortige Entscheidungen von beiden Konfliktparteien, ein Rückzug der von der Zentralregierung nach Katalonien entsandten Polizisten sowie die Einrichtung einer unabhängigen Kommission für einen Dialog.
»2012 wurde in Spanien die Schlacht um den Euro geschlagen und die Europäer haben gewonnen.« Mariano Rajoy
Sofern das katalanische Regionalparlament diese Woche die Unabhängigkeit ausruft, hätte das Auswirkungen auf ganz Europa. Viele Regionen in- und außerhalb der EU streben aus ihren Nationalstaaten.
Im zentralistischen Frankreich wurden die Regionen jahrelang vernachlässigt. Dort pflegen Ehrenamtliche das Kulturerbe, vor allem um lokale Sprachen wird gestritten. Aufmerksam und besorgt wird in Frankreich die Forderung nach Unabhängigkeit für Katalonien verfolgt. Nicht nur wegen der Sprengwirkung, die die Auseinandersetzung für das Nachbarland Spanien hat, sondern auch aus Sorge um Europa. Emmanuel Macron stellt sich eindeutig hinter die Regierung in Madrid und ihr Pochen auf das Gesetz.
Sorgen wegen eines möglichen Übergreifens auf Frankreich muss sich der Präsident allerdings nicht machen. Hier ist die Lage anders, wenngleich durchaus kompliziert. Frankreich ist traditionell eine zentralistisch ausgerichtete Republik, in der alle wichtigen Entscheidungen in Paris fallen. Entsprechend gab und gibt es ständig Klagen in den Regionen, die sich in der einen oder anderen Frage benachteiligt fühlen. Darüber hinaus gibt es einige Provinzen mit eigener Geschichte, Tradition, Sprache und Kultur: Korsika, die Bretagne, das Elsass, der französische Teil des Baskenlands oder das an Katalonien angrenzende südfranzösische Okzitanien. Deren Bevölkerung legt mehrheitlich durchaus Wert darauf, die eigene Identität stärker ausleben zu können und respektiert zu sehen. Das geht aber nicht wie etwa bei Katalonien, Schottland, Flandern oder der Lombardei bis zur Forderung nach Austritt aus dem Staatsverband und nach nationaler Unabhängigkeit.
Solche Stimmen gibt es in Frankreich auch, aber sie sind vereinzelt und ohne echte Wirkung. So hat sich die Unabhängigkeitsbewegung in der Bretagne dadurch diskreditiert, dass sie sich im Krieg den deutschen Besatzern angedient hat, in der Hoffnung, durch sie zum Ziel zu kommen. Die Elsässer haben den Anschluss an Deutschland zwischen 1871 und 1918 als Zwang empfunden und fühlen sich seither mehr denn je Frankreich zugehörig. In Korsika haben sich viele Menschen von der Unabhängigkeitsbewegung abgewandt, weil die lange mit Gewalt und Mord operierte und die Grenzen zur Bandenkriminalität fließend waren. Das schadete nicht zuletzt dem Tourismus, der hier der wichtigste Wirtschaftszweig ist, denn Korsika ist arm und abhängig von der massiven Finanzhilfe durch Paris.
Entsprechend konnte Ex-Premier Raymond Barre 1996 angesichts einer Welle von Terrorakten korsischer Nationalisten in einem Interview ausrufen: »Wenn sie unbedingt unabhängig sein wollen, dann sollen sie doch Korsika nehmen und abziehen!« Die Gefahr, dass es dazu käme, bestand zu keinem Zeitpunkt, denn als Staat wäre die Insel nicht lebensfähig. So schätzt selbst Gilles Simeoni von der Bewegung der Korsischen Nationalisten, der durch deren Erfolg bei der letzten Regionalwahl zum Präsidenten des Exekutivrats von Korsika gewählt wurde, heute nüchtern ein: »Die Frage der Unabhängigkeit steht nicht auf der Tagesordnung.«
Allerdings gibt es unterhalb dieser Schwelle eine Menge Forderungen, die durchaus legitim sind. Frankreichs Zentralregierung hat nicht nur über viele Jahrzehnte die Regionen vernachlässigt und erst seit den 1970er Jahren zaghafte Schritte in Richtung einer Dezentralisierung des Staatsapparates gemacht, die auch 50 Jahre später nur Stückwerk bleiben. Noch viel mehr hat sich der Staat gegenüber den historischen Provinzen versündigt. Sie mussten jahrzehntelang zäh um Geld für Vereine und Kultureinrichtungen, für Museen und den Schutz ihre Kulturdenkmäler kämpfen. Doch vor allem konzentrierte sich der Kampf der Nationalisten dieser Provinzen auf die Zulassung ihrer Sprache neben dem Französischen an Schulen, Behörden oder bei Presse, Rundfunk und Fernsehen.
Auf diesem Gebiet ist viel erreicht worden, wie man beim Besuch dieser Provinzen auf Schritt und Tritt feststellen kann. Doch nach wie vor gibt es offene Wünsche, von denen nicht wenige in Zeiten knapper Kassen unerfüllt bleiben. Viel wird vor Ort kompensiert durch das ehrenamtliche Engagement von Menschen bei der Pflege des Kulturerbes oder der Vermittlung der Sprache. Vor allem aber geht es um die Gewährung von mehr Autonomie, Selbstbestimmung und Selbstverwaltung. Das kostet wenig und stärkt den Stolz der Einwohner, die sich so eher in der Republik respektiert und zu Hause fühlen.